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Glarner dürfen ab 16 Jahren stimmen und wählen

Die Glarner Landsgemeinde bei der Abstimmung am Sonntag. Keystone

Die Glarner Jugendlichen dürfen künftig schon mit 16 Jahren in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten mitbestimmen. Der Entscheid der Landsgemeinde am Sonntag war knapp.

Der Kanton Glarus nimmt damit schweizweit eine Vorreiterrolle ein. Allerdings wird das Thema in mehreren Kantonen diskutiert.

Die Landsgemeinde (Versammlung der Stimmberechtigten) nahm am Sonntag bei strömenden Regen und im Beisein von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey den Antrag der Jungsozialisten (JUSO) an.

Ursprünglich hatten diese beantragt, das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht ab 16 Jahren zu gewähren: Die Jugendlichen sollten also sowohl abstimmen und wählen, als auch selbst gewählt werden können.

In letzter Minute schwenkten sie mit einem Abänderungsantrag im Landsgemeindering auf den regierungsrätlichen Gegenvorschlag ein. Dieser beschränkt die Herabsetzung auf das Stimm- und das aktive Wahlrecht. Das so genannte passive Wahlrecht bleibt bei 18 Jahren.

Der Landrat – das Kantonsparlament – hatte sowohl den Memorialsantrag der JUSO als auch den Gegenvorschlag abgelehnt.

Beste Imagewerbung

Fast eine Stunde lang diskutierten die Glarnerinnen und Glarner aufs Lebhafteste und ungeachtet des strömenden Regens.

Regierungsrätin Marianne Dürst appellierte in der Diskussion an die Stimmberechtigten, der Jugend zu vertrauen. Wenn sie die Politik aktiv mitgestalten dürften, werde eine «Brücke zwischen Staatskundeunterricht und der Praxis geschlagen».

Ein Ja wäre «beste Imagewerbung für den Kanton» sagte eine Befürworterin aus dem Ring in der Diskussion. Ein Stimmberechtigter erinnerte an die Einführung des Frauenstimmrechts und appellierte an die Solidarität der Frauen.

Chancenlos blieb ein Eventualantrag der Gegnerseite, der eine Erhöhung des Stimm- und Wahlrechtsalters zum Ziel hatte: Stimm- und aktives Wahlrecht ab 19, passives Wahlrecht gar erst ab 20 Jahren.

Drei Abstimmungsgänge nötig

Gegner und Befürworter hielten sich zahlenmässig fast die Waage. Schliesslich waren drei Abstimmungsgänge nötig, um das Mehr auszumachen. Landammann Röbi Marti musste gar seine Regierungskollegen aufs Rednerpult bitten, damit sie ihn beim Zählen unterstützten.

Zuletzt aber stand fest: Eine ganz knappe Mehrheit im Ring auf dem Glarner Zaunplatz war dafür, dass schon 16-Jährige das Recht haben sollen, bei Abstimmungen und Wahlen mitzutun. Selbst in Ämter und Behörden gewählt werden können sie nach wie vor nicht.

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Landsgemeinde

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Landsgemeinde ist eine der ältesten und einfachsten Formen der Schweizer Direktdemokratie. Alle Wahl- und Stimmfähigen eines Kantons versammeln sich einmal jährlich unter freiem Himmel zur Wahl der Regierung (Appenzell Innerrhoden) und zur Verfassungs- und Gesetzgebung oder Festsetzung des Steuerfusses (Appenzell Innerrhoden und Glarus). Sie tun dies durch Aufheben der Hand oder des Stimmrechtsausweises. Diese…

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«Stolz auf die Landsgemeinde»

Nach dem Ja zeigte sich Regierungsrätin Dürst hocherfreut über diesen «unglaublichen Vertrauensbeweis gegenüber der Jugend», wie sie sagte. Das Ja sei nun eine Einladung an die Jungen, sich aktiv politisch zu betätigen.

Glücklich war auch JUSO-Mitglied Michael Pesaballe, der den siegreichen Antrag gestellt hatte. Er freue sich sehr über die Fortschrittlichkeit des Kantons Glarus, sagte er. Er sei stolz auf die Landsgemeinde und hoffe, dass deren Beschluss ein Zeichen sei für andere Kantone.

In der Schweiz kennt noch kein einziger anderer Kanton das Stimmrechtsalter 16. Ein Thema ist eine Senkung allerdings in mehreren Kantonen und auf Bundesebene.

In verschiedenen deutschen und österreichischen Bundesländern ist das Stimmrechtsalter 16 auf Gemeinde- und teilweise auch auf Landesebene bereits eingeführt. Österreich will es, als erstes europäisches Land, auch auf Bundesebene einführen.

swissinfo und Agenturen

Der junge Bundesstaat legte 1848 das Stimm- und Wahlrechtsalter für eidgenössische Angelegenheiten auf 20 Jahre fest.

Nachdem einzelne Kantone ab 1977 das Stimmrechtsalter für kantonale Angelegenheiten auf 18 Jahre gesenkt hatten, gewährten am 3. März 1991 Volk und Stände den 18- und 19jährigen auch auf Bundesebene das integrale Stimm- und Wahlrecht.

Binnen Jahresfrist folgten die übrigen Kantone diesem Schritt. Am 17. Mai 1992 sagten die St. Galler als letzter Kanton Ja zum Stimmrechtsalter 18.

Vor allem jüngere linke Polit-Aktivistinnen und Aktivisten fordern seit längerem eine weitere Absenkung des Stimmrechtsalters auf 16 Jahre.

Auch auf Kantonsebene sind die Stimmrechtsalter-16-Befürworter aktiv.

Die Berner Kantonsregierung stellte sich letzte Woche hinter einen Vorstoss der Sozialdemokraten und Jungsozialisten zur Einführung von Stimmrechtsalter 16 im Kanton. Das Parlament entscheidet im Juni, das letzte Wort hat das Volk.

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