Grundeinkommen gegen die Sozialhilfe-Bürokratie
Grundeinkommen für alle statt Sozialhilfe für Bedürftige: Das wäre in der Schweiz ein radikaler Systemwechsel. Entsprechend ablehnend reagiert die Politik. In den nächsten 10 Jahren erwarte er eine intensive Diskussion, sagt der Sozialethiker Hans Ruh.
Die Idee stammt vom liberalen Ökonomen Milton Friedman. Alle Einwohnerinnen und Einwohner eines Landes erhalten vom Staat einen Grundlohn. Damit können sie machen was sie wollen. Die Auszahlung des Geldes ist mit keiner Bedingung verknüpft.
In der radikalen Form des Modells ersetzt der bedingungslose Grundlohn die Leistungen der Sozialversicherungen und der Arbeitslosenversicherung.
Der Schweizer Theologe und Sozialethiker Hans Ruh setzt sich seit Jahren für das Modell ein, möchte jedoch die Arbeitslosenversicherung beibehalten und Kinder bis zum Alter von 18 Jahren vom Grundlohn ausschliessen.
swissinfo: Wieso wollen Sie die Kinder vom Grundlohn ausschliessen?
Hans Ruh: Dass bereits Kinder einen Grundlohn erhalten, halte ich für unrealistisch. An sich habe ich nichts dagegen. Politisch hätte das jedoch keine Chance, obwohl es natürlich auch ein Anreiz wäre, wieder mehr Kinder zu gebären.
swissinfo: Wo soll der Staat das Geld für den Grundlohn hernehmen?
H.R.: Zu grössten Teilen handelt es sich ja um eine Veränderung der Transferzahlungen. Die wichtigsten Sozialleistungen wie AHV, Sozialhilfe und Stipendien sind im Grundlohn integriert. Der Unterschied bei den Kosten ist gar nicht so gewaltig.
Mit dem Grundlohn würde der grösste Teil der Sozialhilfen entfallen. Alle Probleme in diesem Bereich wären zwar nicht gelöst, aber die Bürokratie würde wesentlich verkleinert.
Dazu kommt: Ich möchte das mit einer Steuerreform verbinden. Arbeit müsste weniger besteuert werden, dafür müssten Produkte mit einem negativen Einfluss auf Gesundheit, Umwelt oder Sicherheit höher besteuert werden.
swissinfo: Heisst das konkret höhere Tabak- und Alkoholsteuern?
H.R.: Ja, aber ich denke auch an andere Produkte. Im Bereich der Gesundheit kann ich mir eine Fettsteuer vorstellen. Ich denke an höhere Benzinpreise oder an eine Steuer für Video- oder Internetproduktionen, die mit Sinnlosigkeit und Gewalt zu tun haben.
swissinfo: Gegner des Modells argumentieren, damit werde der Anreiz, eine Arbeit anzunehmen, kleiner.
H.R.: Das ist erwünscht. Arbeit im Tieflohnbereich ist doch nichts anderes, als eine Ausnützung dieser Menschen. Arbeitgeber in Bereichen wie Gastgewerbe, Verkauf oder auch Müllabfuhr müssen dann halt mehr bezahlen. Wenn die Leute nicht mehr für 3000 Franken im Monat arbeiten müssen, dann ist das in Ordnung.
Ich sage nicht, die Arbeitgeber müssten die Löhne erhöhen, die Leute kriegen ja den Grundlohn hinzu.
Das Modell bringt zudem die Möglichkeit, dass die Leute nicht von heute auf Morgen einen Job annehmen müssen. Sie können auch einen oder zwei Monate warten, bis sie wieder arbeiten.
swissinfo: Ihr Modell wäre ein radikaler Systemwechsel. Wie hoch schätzen Sie die politische Machbarkeit ein?
H.R.: Wenn ich die Diskussionen in Deutschland verfolge, stelle ich fest, dass die Einsicht steigt, dass neue Lösungen gesucht werden müssen.
Die Situation verändert sich, die Gesellschaft überaltert. In Deutschland sind auch Leute wie Dieter Althaus, der Ministerpräsident von Sachsen, oder der Milliardär und Arbeitgeber von 33’000 Leuten, Götz Werner, dafür.
Der bedingungslose Grundlohn ist eine liberale Idee. Es ist keine linke Idee. Am stärksten dagegen sind ja die Gewerkschaften, das sollten sich all jene merken, die den Grundlohn für eine linke Idee halten.
In den kommenden zehn Jahre erwarte ich aufgrund der kommenden demographischen Veränderungen auch in der Schweiz eine intensive Diskussion zum diesem Thema.
1933 geboren, Studium der Theologie und Promotion bei Karl Barth.
1983 bis 1998 ordentlicher Professor an der Universität Zürich und Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Sozialethik.
Verwaltungsratspräsident der «Blue Value AG», eines Kompetenzzentrums, das den Transfer von Ethik in die Wirtschaft zum Ziel hat.
Autor mehrerer Bücher: «Die Zukunft ist ethisch oder gar nicht» (2006), «Störfall Mensch» – Lebensformen (2005), «Ethik im Management» (2004).
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