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Guantanamo-Häftlinge: Schweiz will Aufnahme prüfen

Die Schweiz könnte zur Lösung des Guantanamo-Problems beitragen. Reuters

Die Schweiz ist bereit, die Aufnahme entlassener Guantanamo-Häftlinge zu prüfen. Der Bundesrat hat dies am Mittwoch der neuen US-Regierung signalisiert, wie Bundesratssprecher Oswald Sigg den Medien mitteilte.

Die Schweiz begrüsse die bekräftigte Absicht des neuen US-Präsidenten Barack Obama, Guantanamo so rasch wie möglich zu schliessen, heisst es in der von Sigg verlesenen Erklärung der Landesregierung.

Für die Schweiz sei die Inhaftierung von Personen in Guantanamo auf Kuba völkerrechtswidrig.

Laut Bundesrat ist die Schweiz bereit zu prüfen, wie sie zur Lösung des Problems Guantanamo beitragen kann.

«Konkret ist sie bereit zu prüfen, ob und inwiefern sie Häftlinge aufnehmen kann, die aus Guantanamo entlassen werden. Dies bedingt eine eingehende und sorgfältige Analyse, wobei Sicherheitsaspekte und rechtliche Implikationen zu prüfen sind», heisst es.

Im Alleingang oder im Verbund?

Ob die Schweiz eine Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen auch im Alleingang oder nur im Verbund mit andern Staaten durchführen würde, liess der Bundesratssprecher offen. Er verwies einzig darauf, dass die Schweiz nun vor der Europäischen Union (EU) ein entsprechendes Signal ausgesandt habe.

Vor knapp zwei Wochen hatte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung Le Temps darauf hingewiesen, dass es nicht die Pflicht der Schweiz sei, im Alleingang freigelassene Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen.

Das Gefangenenlager auf einem Marinestützpunkt im Südosten von Kuba sei in erster Linie eine Angelegenheit der USA; diese hätten deshalb das Problem im Fall einer Aufhebung des Lagers auch zu lösen, sagte sie damals.

Sollte sich jedoch eine europäische Lösung abzeichnen, so schloss die Justizministerin allerdings auch damals nicht aus, dass sich die Schweiz ebenfalls daran beteiligen könnte.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Menschenrechts-Organisation Amnesty International (AI) kommentierte die Ankündigung des Bundesrates positiv. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Er bedeute einen Hoffnungsschimmer für alle Gefangenen, die teilweise seit Jahren auf ihre Freilassung warteten.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hingegen kritisierte, der Bundesrat vergesse «den ganzen Rattenschwanz an Folgen», welche die Einreise mutmasslicher Terroristen hätte. Er setze ein falsches Signal, insbesondere nachdem die Asylgesuche in der Schweiz schon im letzten Jahr massiv gestiegen seien.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Bundesrat ist die Schweizer Regierung (Exekutive). Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Parlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt oder bestätigt werden. Ein Mitglied der Landesregierung wird «Bundesrat» oder «Bundesrätin» genannt. Jeder Bundesrat, jede Bundesrätin, steht einem Departement als Minister oder Ministerin vor. Aus ihrer Mitte wird jährlich abwechselnd nach Amtsdauer der Bundespräsident…

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Dick Marty: Schwierige Schliessung

Die Ankündigung Barack Obamas, die so genannten Sondergerichte von Guantanamo während 120 Tagen auszusetzen, ist laut Dick Marty, Menschenrechts-Berichterstatter des Europarates, «ein positives Zeichen».

Die Schliessung des Gefängnisses sei jedoch mit «grossen Schwierigkeiten» verbunden. «Das Problem ist, dass man nicht weiss, wie Guantanamo geschlossen werden kann», sagte Dick Marty am Mittwoch.

Obwohl die USA erklären, keine Beweise zu haben, dass es sich bei den Personen um Terroristen handle, können die meisten der Betroffenen nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren. Einige der Herkunftsstaaten verweigern eine Wiederaufnahme ihrer Landsleute, andere bedrohen die Betroffenen gar mit dem Tod.

Auch die Gewährung von Asyl in den USA sei nur «schwer haltbar», sagte der Tessiner Ständerat von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP). Washington würde sich mit juristischen Schwierigkeiten konfrontiert sehen, da die Gefangenen Entschädigungen wegen illegaler Haft fordern könnten.

Zurzeit befinden sich noch mehr als 200 Gefangene in dem amerikanischen Spezialgefängnis Guantanamo Bay auf Kuba.

«Feindliche Kämpfer» erfunden

Eine Lösung könne auch nicht in den Genfer-Konventionen gefunden werden, sagte Marty.

Die Konventionen gelten in Kriegszeiten und bestimmen die Rechte von Kriegsgefangenen.

Die Gefangenen in Guantanamo seien jedoch so genannte «feindliche Kämpfer». Dieser juristische Begriff existiert im internationalen Recht nicht.

Er sei von den USA «erfunden» worden, um zu verhindern, dass die Konventionen geltend gemacht werden können, betonte Marty.

Der Menschenrechts-Experte fordert, dass alle Länder, die das Gefangenenlager kritisiert haben, sich bereiterklären, den betroffenen Menschen Asyl zu gewähren.

Europa habe Verpflichtungen gegenüber den Gefangenen, da auch europäische Geheimdienste an illegalen Verhaftungen beteiligt gewesen seien.

Rekurs gegen negativen Entscheid

Auch die Schweiz müsse einen Beitrag leisten, sagte Marty. Die Parlamentarische Gruppe für Menschenrechte, zu der auch der FDP-Ständerat gehört, stehe hinter den Asyl-Anträgen von drei Häftlingen, die diese mit Hilfe von Amnesty International eingereicht haben.

Der Antrag wurde vom Bundesamt für Migration (BFM) bereits abgelehnt. Gegen den Entscheid wurde nun Rekurs eingelegt.

Die Parlamentarische Gruppe werde die Angelegenheit in den kommenden Wochen mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey besprechen, sagte Marty. Dass die Schweiz nun bereit ist, die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen zu prüfen, scheint auf eine politische Lösung hinzudeuten.

swissinfo und Agenturen

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Die deutsche Regierung gab am Mittwoch bekannt, dass sie eine Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen erst prüfen wolle, wenn es eine entsprechende Anfrage aus den Vereinigten Staaten gebe.

Ob sich dann ein Handlungsbedarf auf europäischer oder nationaler Ebene ergebe, werde Deutschland davon abhängig machen, wie die Überlegungen aus den USA aussähen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in Berlin.

Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier hat dem neuen US-Präsidenten Obama in einem offenen Brief allerdings ebenfalls schon die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen angeboten.

Andere Länder haben sich in ähnlichem Sinn wie Deutschland geäussert, so Grossbritannien, Frankreich und Portugal. Schweden, Dänemark und die Niederlande dagegen wollen nichts wissen von einer Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen.

EU-Justizkommissar Jacques Barrot zeigte sich erfreut, dass Obama das «traurige Kapitel» Guantanamo beenden wolle.

Ein Militärrichter im US-Gefangenenlager Guantanamo hat am Mittwoch das Verfahren gegen einen jungen Kanadier für 120 Tage ausgesetzt.

Das US-Verteidigungsministerium hat beantragt, alle Verfahren in dem Lager auf Kuba auszusetzen. Die Prozesse sollen vor regulären Gerichten in den USA fortgeführt werden.

US-Präsident Barack Obama hatte wenige Stunden nach seinem Amtsantritt die Militärankläger angewiesen, in allen 21 laufenden Verfahren eine 120-tägige Aussetzung zu beantragen.

Er hatte angekündigt, das Gefangenenlager im US-Militärstützpunkt auf Kuba, wo noch etwa 250 Häftlinge festgehalten werden, zu schliessen.

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