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Haben Geflüchtete aus der Ukraine noch eine sichere Zukunft in der Schweiz?

Ukrainische Reisepässe
Der Schutzstatus S für Geflüchtete aus der Ukraine trat im Frühling 2022 in Kraft. Keystone / Michael Buholzer

Seit Ausbruch des Ukrainekriegs hat die Schweiz die Bearbeitung von Schutzgesuchen ukrainischer Flüchtlinge beschleunigt. Unterdessen lehnt sie aber mehr Anträge ab als je zuvor.

Im vergangenen November konnten Geflüchtete aus der Ukraine in der Schweiz aufatmen, als die Regierung den besonderen Schutz bis März 2025 verlängerteExterner Link, der seit März 2022 besteht.

Der “Schutzstatus S” erlaubt es ihnen, in der Schweiz zu leben, zu arbeiten und Sozialhilfe zu beziehen. Dieser Sonderstatus bedeutet auch, dass sie nicht das normale Asylverfahren durchlaufen müssen, sondern im Schnellverfahren als Flüchtlinge anerkannt werden.

Dies, sofern sie bereits vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 in der Ukraine gelebt haben und in die Schweiz eingereist sind.

Am 31. Juli twitterte das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass derzeit 66’182 Ukrainerinnen und Ukrainer einen gültigen Status S besitzen. Der Post enthüllte jedoch auch, dass 26’392 Status-S-Bewilligungen seit ihrer Erstausstellung im März 2022 widerrufen wurden.

Die Regierung hat das Recht, die S-Bewilligung zu widerrufen, wenn Inhaberinnen oder Inhaber ihren Wohnsitz in ein Drittland verlegen und dort ein legales Aufenthaltsrecht erhalten.

Darüber hinaus kann die Genehmigung widerrufen werden, wenn sich eine Person länger als 15 Tage pro Quartal in der Ukraine aufhält. Von dieser Regelung ausgenommen ist, wer nachweisen kann, sich auf eine dauerhafte Rückkehr in die Ukraine vorzubereiten.

Aus den Statistiken des UNO-Hochkommissariats für FlüchtlingeExterner Link (UNHCR) geht hervor, dass am 4. Juli lediglich 63,1% aller Ukrainerinnen und Ukrainer, die in der Schweiz um Asyl oder vorübergehenden Schutz nachgesucht haben, in der Schweiz registriert waren.

Anstieg der Ablehnungsquote

Neben dem Entzug der S-Bewilligung können die Migrationsbehörden Schutzgesuche von Ukrainerinnen und Ukrainern auch ablehnen. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat das SEM bisher rund 2500 Personen aus der Ukraine den Schutzstatus S verweigert. Die Ablehnungsquote ist steigend.

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SEM-Sprecher Daniel Bach sagte gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS, viele Ukrainerinnen und Ukrainer kämen nicht mehr direkt aus der Ukraine, sondern aus anderen europäischen Ländern in die Schweiz.

Dies sei einer der Hauptgründe, weshalb sie die Kriterien für eine S-Bewilligung nicht erfüllten. Warum versuchen Ukrainerinnen und Ukrainer aus sicheren europäischen Ländern ihr Glück in der Schweiz?

“Es ist möglich, dass Personen, die bereits in einem anderen Land Schutz erhalten haben, aus verschiedenen Gründen ein Gesuch in der Schweiz stellen. Zum Beispiel, weil Familienangehörige hier leben”, schreibt Lionel Walter, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), per E-Mail.

“Das SEM klärt dies dann ab und verweist je nach Fall auf diesen bestehenden Schutz. Das ist nicht ungewöhnlich und kommt auch in Verfahren anderer Herkunftsländer vor. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Menschen Zugang zu Schutz in einem Land haben, das ihre Grundrechte respektiert”, so Walter weiter.

Laut der SFH ist die Schweiz kein beliebteres Zielland als das übrige Europa, da der Schutzstatus ähnlich ist. Ihre Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Wahl des Ziellands nicht nur von den rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt wird, sondern auch von der kulturellen Nähe, der Sprache, den Gemeinschaften und dem Vorhandensein von Verwandten.

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“Der Grund ist einfach und brutal: Der Krieg in der Ukraine geht weiter, und die Situation ist nicht besser als vor einem Jahr, sondern wahrscheinlich noch schlimmer”, sagt Sasha Volkov, Vorstandsmitglied und Sprecher des Ukrainischen Vereins Schweiz, gegenüber SWI swissinfo.ch.

Volkov war kürzlich in der Ukraine und lebte zwei Wochen bei seiner Familie in der Nähe von Kiew. Die Stromversorgung sei unregelmässig, in der Hauptstadtregion gebe es sechs Stunden Stromausfall und anschliessend Strom während drei Stunden, berichtet er.

“Menschen, die eine Rückkehr in die Ukraine erwägen, stellen fest, dass sie Generatoren brauchen, wenn sie in ihre Häuser zurückkehren wollen, und dass deren Betrieb teurer ist als der Strom in der Schweiz”, sagt er.

“Sie haben kein Geld, um in die Ukraine zurückzukehren und zögern aber auch, dort zu bleiben, wo sie sind. Weil die Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern nicht mehr so gross ist wie zu Beginn des Kriegs.”

Integration und Rückkehrpläne

Die Schweizer Regierung hat erkannt, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer auf absehbare Zeit nicht in ihre Heimat zurückkehren werden.

Im November letzten Jahres hat sie sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis Ende 2024 40% der hier lebenden Menschen in die Arbeitswelt zu integrieren. Derzeit sind es 25%.

Zu diesem Zweck wurden 3000 Franken pro Person bereitgestellt, die hauptsächlich für Sprachkurse verwendet werden sollen.

Ein Vorschlag des Parlaments zur Einführung einer Online-Registrierung anstelle von Arbeitsgenehmigungen dürfte, sofern er angenommen wird, auch den bürokratischen Aufwand für Unternehmen verringern, die Ukrainerinnen und Ukrainer einstellen wollen.

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Ein Schatten der Ungewissheit liegt jedoch weiterhin über den ukrainischen Flüchtlingen, da der vorläufig bis März 2025 gültige S-Status nie für einen langfristigen Aufenthalt in der Schweiz gedacht war.

Im vergangenen September hat die Schweizer Regierung ihre vorläufige Strategie zur Erleichterung der Rückkehr ukrainischer Flüchtlinge nach der Aufhebung des S-Status bekanntgegeben.

Es wird geschätzt, dass 80% der Flüchtlinge freiwillig ausreisen würden, da sich ihre männlichen Familienangehörigen in der Ukraine aufhalten.

Der Bericht empfiehlt, den Geflüchteten sechs bis neun Monate Zeit zu geben, um ihre Ausreise zu planen.

Dafür schlägt er einen finanziellen Anreiz von 1000 bis 4000 Franken pro Person vor. Wobei diejenigen, die früher ausreisen, mehr Geld erhalten sollen.

Eine Rückkehr wird für manche unwahrscheinlicher

Je länger der Aufenthalt in der Schweiz dauert, desto unwahrscheinlicher ist es jedoch, dass eine Person bereit ist, die Schweiz freiwillig zu verlassen.

Zudem könnten sie nach fünf Jahren ununterbrochenem Aufenthalt eine Schweizer B-Bewilligung erhalten, die fünf Jahre gültig ist.

Auch eine im Dezember veröffentlichte Umfrage des UNHCR, des SEM und des Marktforschungsinstituts IpsosExterner Link deutet darauf hin, dass eine freiwillige Rückkehr der ukrainischen Flüchtlinge nicht einfach sein wird.

Ein Drittel der befragten ukrainischen Flüchtlinge möchte nicht in ihre Heimat zurückkehren, 40% erklärten sich als unentschlossen.

“Einige geben die Ukraine auf. Das ist unvermeidlich, je länger der Krieg dauert”, sagt Volkov vom Ukrainischen Verein Schweiz.

Editiert von Mark Livingston, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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