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Hamas-Verbot: Die neutrale Schweiz bezieht Position

Hamas
Hamas-Kämpfer feiern am 7. Oktober 2023 das Massaker an Israelis. Copyright 2023 The Associated Press. All Rights Reserved.

Schadet es den Guten Diensten der Schweiz, wenn sie die Hamas verbietet? Darüber stritt das Parlament über Jahre. Jetzt ist der Entscheid da. Die Argumente für eine Ächtung setzten sich durch.

Die Schweiz übte bisher bewusst Zurückhaltung mit Verboten von terroristischen Organisationen. Sie hält sich die Türen offen. «Wir reden mit allen», lautet die Parole der Schweizer Diplomatie.

Das galt auch für die Hamas. Mit ihr pflegte die Schweiz während Jahrzehnten einen diskreten, aber zeitweise intensiven Dialog, noch bis vor wenigen Jahren.

«Die Schweiz nutzt die Kontakte mit der Hamas in Gaza, um diese zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts anzuhalten.» So erklärte der Bundesrat 2017 sein Motiv, als im Schweizer Parlament erstmals die Forderung auftauchte, die Hamas zu verbietenExterner Link.

«Kontaktpolitik mit der Hamas»

Der Bundesrat verwies schon damals auf die Bedeutung der Guten Dienste in seiner Aussenpolitik. Seine sogenannte «Kontaktpolitik mit der Hamas» begründete er zudem so: «Das Schweizer Engagement zielt auf die Prävention von gewalttätigem Extremismus.»

Dieses Engagement zumindest wirkte nicht. 2023 schritt die Hamas zum Massaker des 7. Oktober, dem schlimmsten Pogrom an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust.

Hamas-Mitglieder töteten 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere. Die Organisation verkündete damals, dass solche Angriffe so lange wiederholt würden, bis Israel vernichtet sei.

Danach war auch für die Schweiz Schluss mit Dialog. Auf Druck des Parlaments setzte die Regierung ein Hamas-VerbotExterner Link auf. Jetzt hat das Parlament dieses Gesetz besiegelt.

Neue Verbots-Doktrin

Für die Schweiz ist das eine Abkehr von ihrer bisherigen Doktrin. Sie verbot Al Kaida und den Islamischen Staat, dabei blieb es. Denn bis dato übernahm das neutrale Land lediglich die bestehenden UNO-Verbote, wenn es um die Sanktionierung von Terrororganisationen ging. So verlangt es sein Gesetz.

Die Hamas aber befindet sich nicht auf der UNO-Terrorliste. Darum musste die Schweiz nun erst einmal ein Spezialgesetz schaffen, um seine eigene, selbst festgelegte Verbotspolitik umdribbeln zu können.

Eine Ausnahme soll das nun bleiben. «Einen Automatismus des Verbietens wollen wir damit nicht schaffen», sagt ein involvierter Sicherheitspolitiker.

Besorgte Schweizer Diplomat:innen

Schweizer Diplomat:innen sind dennoch besorgt. Sie positionierten ihren Kleinstaat bislang auf der ganzen Welt als neutralen Makler.

Nun befürchten einige von ihnen, künftig könnten Partnerländer – etwa die USA oder die Türkei – die Schweiz unter Druck setzen, damit der international respektierte Kleinstaat deren unliebsamen Organisationen verbiete, sei es, um ein Zeichen zu setzen, sei es, um deren Finanzströmen nachzuspüren.

Andere, nicht neutrale Länder handelten bei ihren Hamas-Verboten schneller. Die EU setzte die Hamas bereits 2003 auf ihre Terrorliste, nach den Anschlägen von 9/11.

Anfang 2024, nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023, weitete sie dieses Verbot aus und erliess Sanktionen.

Auch die USA (1997) und das Vereinigte Königreich (2001) haben die Hamas explizit verboten. Israel machte den Anfang, es legte seinen Bann gleich nach deren Gründung über die Organisation.

Für einige kommt es zu spät

Die Schweiz unterhält zahlreiche Parlamentarische Gruppen. Darin finden sich Parlamentsmitglieder unterschiedlicher Parteien zusammen, die sich für eine gemeinsame Sache einsetzen.

Eine davon ist die israelfreundliche Parlamentarische Gruppe Schweiz-Israel. Für ihre Mitglieder kommt das Verbot der Schweiz ernüchternd spät.

«Wir hätten Hisbollah und Hamas schon lange verbieten sollen. Man sieht ja, mit wem sie zusammenarbeiten», sagt deren Präsident Alfred Heer.

Der Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verweist auf den gestürzten syrischen Diktator Assad und den Iran, der in der ganzen Region Unruhe stifte. Dass erst der Massenmord des 7. Oktober das Schweizer Verbot ermöglichte, stimmt ihn bitter.

Für Heer besteht zwischen der schiitischen Hisbollah und der sunnitischen Hamas kein Unterschied. Darum plädierte er stets auch für ein Verbot der Hisbollah.

«Hamas entstand, um den Frieden in Nahost zu torpedieren, und die Hisbollah schickt die Raketen dazu», sagt er. «Sie destabilisierte den Libanon und hielt in Syrien einen Schlächter an der Macht.»

Bleibt es bei der Ausnahme?

Zum Verbot der Hamas aber auch noch ein Verbot der Hisbollah? Das wollte der Bundesrat dann doch nicht, obwohl eine Motion der Sicherheitspolitischen Kommissionen beider Räte exakt dies forderte.

«Die Schweiz hat in ihrer Aussenpolitik keine Verbotkultur», argumentierte Justizminister Beat Jans im Parlament. «Wenn die Schweiz nun dazu übergeht, solche Organisationen mit Spezialgesetzen zu verbieten, wird sich unweigerlich die Frage stellen, wo und wie man die Grenzen zieht.»

Justizminister Beat Jans im Ständerat
Justizminister Beat Jans: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz trotz dieses Verbotes mit der Hamas spricht.» Keystone / Anthony Anex

Das unterstreicht auch Carlo Sommaruga, Ständerat der Sozialdemokratischen Partei (SP). Er hat als langjähriger Unterstützer der palästinensischen Sache im Ständerat als einziger gegen das Hamas-Verbot gestimmt.

Die Schweiz habe bewusst davon abgesehen, die Taliban in Afghanistan, die IRA in Irland, die ETA in Spanien, die RSF im Sudan oder die FARC in Kolumbien als Terrororganisationen zu sanktionieren, sagt er. «Es besteht darum ein Widerspruch.»

Hisbollah-Verbot in der Warteschlaufe

Justizminister Jans argumentierte im Rat gegen ein Hisbollah-Verbot ausserdem – ganz auf der strategischen Linie der Regierung – mit den Guten Diensten.

Er sagte: «Wir dürfen nicht unterschätzen, was solche Verbote für die Wahrnehmung der Schweiz in der Region und im Hinblick auf mögliche künftige Vermittlungsdienste der Schweiz als neutrales Land bedeuten.»

Szene am Rand einer Hisbollah-Demonstration in Beirut, März 2024.
Szene am Rand einer Hisbollah-Demonstration in Beirut, März 2024. Copyright 2024 The Associated Press. All Rights Reserved

Das lässt Alfred Heer nicht gelten: «Wenn Israel die Guten Dienste der Schweiz will, dann können wir diese immer noch wahrnehmen», entgegnet er.

Selbst Jans stimmt dem indirekt zu. Denn im Rat sagte er auch: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz trotz dieses Verbots mit der Hamas spricht.»

Ständerätin Marianne Binder-Keller.
«Die Schweiz sollte in dieser Lage nicht zum Biotop solcher Organisation werden», sagt Marianne Binder-Keller. Keystone / Peter Schneider

Den Reflex, sich aus Rücksicht auf die Guten Dienste nicht zu positionieren, hält Ständerätin Marianne Binder-Keller von der Mittepartei für verfehlt.

Deren Nutzen sei in Relation zu setzen. «Richten solche Organisationen nicht viel mehr Schaden an, wenn wir sie nicht austrocknen?», fragt sie.

Binder-Keller gehört zu den Urheber:innen der Motion, welche auch die Hisbollah verbietenExterner Link wollte. So entschieden wie der Ständerat diese unterstützte, so klar hat der Nationalrat einen Entscheid darüber erst einmal vertagt.

Auch bei der Hisbollah war die EU zehn Jahre früher mit Sanktionierungen. Sie stufte deren militärischen Arm schon 2013 als Terrororganisation ein.

Die USA gingen 1997 damit voran. Grossbritannien und die Niederlande belegten bald auch den zivilen Arm der Organisation mit Verboten.

Ab 2020 folgten andere Länder, darunter Deutschland und Estland, einer von den USA getriebenen Politik, eine Unterscheidung in militärische und zivile Teile aufzugeben.

Die Liste von Ländern, welche die Hisbollah ächten, umfasst inzwischen den Globus: von Argentinien über Japan bis nach Australien und Neuseeland.

Die Schweiz soll kein Rückzugsort werden

Ein wichtiges Motiv für Binder-Keller ist denn auch das internationale Umfeld, besonders die klare Gangart der EU nach dem Massaker vom 7. Oktober.

Europa schliesse die Reihen, sagt die Sicherheitspolitikerin: «Die Schweiz muss dafür sorgen, dass sie in dieser Lage nicht zum Rückzugsort solcher Organisation wird.»

Gerade Sicherheitspolitiker:innen wie sie sehen im nun beschlossenen Hamas-Verbot darum weit mehr als reine Symbolpolitik. «Es erleichtert Prävention und Strafverfolgung. Es ermöglicht, die Finanzströme zu unterbinden», sagt sie.

«Nur wer bei Antisemitismus nicht wegschaut…»

SVP-Mitglied David Zuberbühler, der sich im Nationalrat für ein Schweizer Hisbollah-Verbot stark machte, sieht im Entscheid des Parlaments gar eine Stärkung der Schweizer Position auf dem internationalen Parkett.

«Unser Land kann nur dann ein echter und glaubwürdiger Friedensvermittler sein, wenn es bei Antisemitismus, Terrorismus, Gewaltverherrlichung und Rassismus nicht wegschaut», sagt er.

Ähnlich sieht es der erfahrene Aussenpolitiker Nik Gugger von der Evangelischen Volkspartei (EVP). Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in Nahost sei es vielleicht gut, wenn ein Land wie die Schweiz jetzt klare Kante zeige.

«Es ist ein Signal, das Leuten wie dem neuen starken Mann in Syrien auch einen Ansatz zur Orientierung geben kann», sagt er.

Editiert von Mark Livingston

Korrektur vom 12.12.2024: In einer ersten Fassung dieses Artikels stand, dass die 21 Staaten der Arabischen Liga die Hisbollah als Terrororganisation einstufen. Die Arabische Liga hob diesen 2016 verhängten Terrorstatus im Juni 2024 wieder auf.

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