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«Haus der Kantone»: Ein neues Zentrum der Macht

Das "Haus der Kantone" im Zentrum Berns. Keystone

In Bern hat das "Haus der Kantone" offiziell den Betrieb aufgenommen. Unter seinem Dach werden sich die 26 Kantone in Zukunft vermehrt an der politischen Willensbildung beteiligen. Dort wird auch die Interessenvertretung auf Bundesebene wahrgenommen.

Ab dem 18. August ist die politische Macht in der Schweiz nicht mehr nur unter der Kuppel des Bundeshauses konzentriert, dem Sitz des Schweizer Parlaments und der Regierung.

Nicht weit weg vom Bundeshaus wurde das «Haus der Kantone» eröffnet, ein historisches Gebäude der Jahrhundertwende mitten im Zentrum mit über 6000 Quadratmetern Fläche, in der Nähe vom Bahnhof.

Künftig werden auch hier Entscheidungen getroffen, die für das ganze Land relevant sind. Denn weiterhin verfügen in der Schweiz die Kantone über grosse Kompetenzen.

Föderalismus garantiert den Kantonen viel Macht

Der Föderalismus ist seit 1848 in der Verfassung verankert. Er garantiert den 26 Kantonen, aus denen die Eidgenossenschaft besteht, grosse Machtbefugnisse auf ihrem Territorium in Bereichen wie Recht und Sicherheit, Wirtschaft und Steuern, Erziehung und Kultur, Gesundheit und Sozialwesen.

Bisher fanden die wichtigsten Sitzungen der Kantonsvertreter, wie der «Konferenz der Kantonsregierungen» (KdK) und anderer interkantonalen Gremien, teils in Bern, teils in anderen Städten statt.

Dank dem «Haus der Kantone» werden diese Aktivitäten nun zentralisiert, mit der Folge, dass die Koordination verbessert werden kann.

Tendenz zur Zentralisierung

Mit ihrem neuen Zentrum, in dem 160 Personen beschäftigt sind, möchten die Kantone aber auch ihr Auftreten auf Bundesebene verstärken und ihrer Stimme gegenüber der Landesregierung und dem Parlament mehr Gewicht verleihen.

Diese sei in den letzten Jahren, so empfinden Kantonsvertreter, nicht immer genügend wahrgenommen worden.

«Besonders die im Jahr 2000 eingeführte neue Bundesverfassung hat die Beteiligung der Kantone in gewissen Sektoren der nationalen Politik zurückgebunden», sagt Canisius Braun, KdK-Sekretär. Man konstatiere bei einigen Bundesvertretern eine gewisse Tendenz, Entscheide zu zentralisieren.

Bei der Sanierung der Bundesfinanzen hätten Landesregierung und –parlament in letzter Zeit mehrmals versucht, öffentliche Ausgaben-Bereiche auf die Kantone abzuwälzen, so Braun.

«Die Kantone bilden, zusammen mit dem Volk, das Fundament der Schweiz. Historisch gesehen ist es so, dass die Kantone einen gemeinsamen Staat bilden wollten. Deshalb ist es wichtig, dass die Kantone ihre Interessen besser verteidigen können.»

Druck von aussen

Doch die Position der Kantone wird nicht nur im Inland von den Bundesbehörden in Frage gestellt, sondern auch im Ausland vom europäischen Integrationsprozess und von der Globalisierung.

Der Schweiz wird immer häufiger nahe gelegt, sich den Veränderungen auf europäischem und internationalem Niveau anzupassen. Zum Beispiel, indem die Gesetze so revidiert werden, dass die Kompetenzen der Kantone tangiert werden.

Dies zeichnet sich besonders seit 1992 ab, als das Parlament in kurzer Zeit ein ganzes Paket europäischer Normen übernommen hatte, im Hinblick auf den Anschluss der Schweiz an den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Dieser wurde jedoch vom Volk verworfen.

Auch in der Aussenpolitik

Die Versuche, in die Kompetenzen der Kantone einzugreifen, nahmen gerade in letzter Zeit zu. Zum Beispiel seit Brüssel Druck auf die Schweiz ausübt, die unterschiedliche steuerliche Vorzugsbehandlung einiger Kantone für Unternehmen (-Holdings) aus der EU abzuschaffen.

«Die zunehmende Globalisierung und die Annäherung der Schweiz an Europa waren ausschlaggebend, zuerst bei der Gründung der KdK und jetzt beim ‹Haus der Kantone› «, sagt Braun.

«Wir müssen unsere Interessen auch im Bereich der Aussenpolitik verteidigen, da diese immer mehr in die Innenpolitik einfliesst.»

Kantonsinteressen auch im Ständerat

Was dann definitiv zur Einsicht der Kantone geführt hat, ihre Möglichkeiten auf Bundesebene verstärkt wahrzunehmen, war die Abstimmung 2004 zum Steuerpaket. Damals haben die Kantone erstmals – und mit Erfolg – gemeinsam von der Waffe des Referendums Gebrauch gemacht, um sich gegen einen Entschluss des nationalen Parlaments zu wehren.

Die Öffnung des «Hauses der Kantone» wird aber auch von Kritiken begleitet. Für verschiedene politische Exponenten ist das «Haus der Kantone» mehr als überflüssig. Gemäss ihrer Meinung sind die Interessen der Kantone auf Bundesebene im Ständerat genügend gewahrt – diese «kleine Kammer» heisse ja sogar Rat der Kantone.

Aus der neuen Situation ergebe sich ein übertriebenes Gewicht der Kantone auf Bundesebene. Der Umstand, dass die Kantone ihre historisch geerbten Kompetenzen und regionalen Prioritäten derart verteidigten, vereitle zahlreiche Reformen, die seit Jahren anstünden und die Entwicklung des Landes bremsten.

Das imposante «Haus der Kantone» im Stadtzentrum, das die Kantone allein an Miete jährlich rund 1,7 Mio. Franken kostet, hat deshalb bereits den Übernamen «Palast der Kantonsbarone» erhalten.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander P. Künzle)

Die Schweiz besteht aus 26 Kantonen, autonomen Gliedstaaten mit eigener Verfassung, Parlament und Behörden.

Der heutige Bundesstaat wurde 1848 auf der Basis des Föderalismus gegründet.

Deshalb gehören alle staatlichen Bereiche, die nicht dem Bund zugewiesen sind, in die Kompetenz der Kantone.

Z.B. Schul-, Gesundheitswesen, Polizei, teilweise Gerichtswesen, Steuern etc.

In ihrer eigenen Struktur geben die Kantone ein unterschiedliches Ausmass an Kompetenzen und Autonomie an ihre Gemeinden weiter.

Das Volk kann wie auf Landesebene auch im Kanton mit Initiativen und Referenden seine Rechte ausüben.

Im Gegensatz zur Bundesebene bestimmen in den Kantonen die Wähler auch ihre Regierungsmitglieder.

Alle Kantone zusammengenommen geben pro Jahr insgesamt 70 Mrd. Franken aus. Da ist mehr als das Budget des Bundes, das sich auf 55 bis 60 Milliarden beläuft.

Ab 18. August in Betrieb, befindet sich das neue «Kompetenz-Zentrum» der Kantone im Berner Stadtzentrum, nahe dem Bundeshaus.

Das Gebäude musste für 6,5 Mio. Franken renoviert werden. Die jährliche Miete beläuft sich auf 1,68 Millionen.

Den Kantonen ist ihre interkantonale Zusammenarbeit jährlich 20 Millionen Franken wert.

Dazu gehört auch die Koordination der kantonalen Politiken und die Verteidigung ihrer Interessen auf Landesebene.

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