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Heikle Couchepin-Reise nach Tibet

Machtdemonstration: Ein chinesisches Kriegsflugzeug unter dem Potala-Palast in Lhasa. Keystone Archive

Der Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI), Pascal Couchepin, hat eine einwöchige offizielle Reise nach China in Tibet begonnen.

Couchepins Reise, die erste eines Schweizer Ministers in diese Region, sorgt wegen der Menschenrechts-Politik Chinas gegenüber Tibet für Aufsehen.

In Lhasa, der Hauptstadt Tibets, besichtigt Couchepin das Kloster Ramoche, das mit finanzieller Unterstützung aus der Schweiz renoviert wurde.

Das Kloster war während der chinesischen Kulturrevolution stark beschädigt worden.

Erste Renovationsarbeiten seitens der chinesischen Behörden erlaubten die Rückkehr von 120 Mönchen ins Kloster. Mit dem Beitrag der Schweiz soll der Tempel schliesslich wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen.

Nur Fassade?

Repräsentanten der tibetischen Exilregierung begrüssen zwar die Wiederherstellung des Klosters. Dies sei aber nur Fassade in einer Region, in der die religiöse Freiheit schon seit langer Zeit eingeschränkt ist.

«Die meisten tibetischen Mönche und Nonnen sind im Gefängnis», sagte Tenzin Sanbhen Kayda, der Menschenrechtsbeauftragte im Tibet-Büro in Genf. «Sie wurden eingesperrt, weil sie sich weigerten, den Dalai Lama zu denunzieren.»

Zerstörte Klöster

Kayda sagte, es sei schwierig, die genaue Anzahl der in Tibet verbliebenen Mönche und Nonnen zu nennen. Er fügt hinzu, dass rund 6000 Klöster zerstört wurden, seit China 1959 die Macht über die Region an sich riss.

Das Tibet-Büro sagt, China versuche die tibetischen Volksangehörigen zu einer Minderheit im eigenen Land zu machen, indem das Land Han-Chinesen, die nach Tibet ziehen, finanziell unterstütze.

«Die Chinesen kümmern sich nicht um die Rechte und Bedürfnisse der Tibeter», erklärte Kayda gegenüber swissinfo.

Minderheiten-Rechte

Couchepin möchte während seines Besuches in Lhasa auch mit lokalen und regionalen Behörden Gespräche führen. Dies im Rahmen des seit 1991 bestehenden Menschenrechts-Dialogs zwischen der Schweiz und China.

Die Schweiz hat in der Vergangenheit das Augenmerk in Tibet vor allem auf die Grundrechte und die Minderheiten-Rechte gerichtet.

Chinesische Experten weilten auch schon einige Male in der Schweiz, um diesbezügliche internationale Rechtsstandards und deren Umsetzung zu studieren.

Heikles Thema

Es gibt nur Spekulationen darüber, ob Couchepin tatsächlich beabsichtigt, seine Gastgeber auf das heikle Thema Tibet anzusprechen. Bei seinem letzten China-Besuch im vergangenen November war ihm vorgeworfen worden, die Menschenrechts-Frage zu wenig thematisiert zu haben.

Die Probleme in Tibet haben in den letzten Jahren mehrmals zu einer Trübung der chinesisch-schweizerischen Beziehungen geführt.

So hatte Chinas Präsident Jiang Zemin 1999 seine Amtsvorgängerin Ruth Dreifuss während seines offiziellen Besuchs in der Schweiz abgekanzelt, nachdem Exil-Tibeter vor dem Bundeshaus demonstriert hatten.

Kritik

Schweizer Diplomaten sind jedoch der Ansicht, dass China nun einer Kritik an seiner Menschenrechts-Politik und der Behandlung von Minderheiten offener gegenüberstehe.

Couchepins Tibet-Reise wurde bis am Freitag, zwei Tage vor seiner Abreise, nicht publik gemacht. Einige Parlamentarier sind von dieser Reise nicht begeistert.

«Ich glaube nicht, um es diplomatisch auszudrücken, dass diese Gespräche sehr weise sind» meint Erwin Jutzet, Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. «Persönlich habe ich es immer abgelehnt, mit einer offiziellen chinesischen Einladung Tibet zu besuchen.»

Weniger kontrovers

Der zweite Teil der Reise verspricht, weniger umstritten zu werden: Als Kulturminister nimmt Couchepin am Freitag und Samstag in Schanghai am Jahrestreffen des Internationalen Netzwerks Kulturpolitik (RIPC) teil.

Die Konferenz setzt sich mit der Rolle der traditionellen Kulturen angesichts der Globalisierung auseinander.

Die 63 Mitgliedstaaten dieses informellen Netzwerks wollen ein Jahr nach dem Abschluss der Verhandlungen über eine entsprechende UNESCO-Konvention auch über die Förderung der kulturellen Vielfalt diskutieren.

Die Konvention muss vor allem präzisieren, ob Kultur als «Ware» wie jede andere betrachtet werden soll, oder ob sie einer gewissen Form des Schutzes bedarf.

Das RIPC ist Initiator einer solchen Konvention. Die Schweiz unterstützt das Vorhaben.

swissinfo und Agenturen

Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres reist Pascal Couchepin nach China.

Der Innenminister wurde kritisiert, weil er bei seinem letzten Besuch die Menschrechte nicht angesprochen hatte.

Schweizer Diplomaten sind der Ansicht, China sei heute empfänglicher gegenüber Kritik an der Menschenrechts-Lage im Reich der Mitte.

1959: Chinesische Truppen besetzen Tibet.

Das Tibet-Büro – es repräsentiert die Exil-Regierung des Dalai Lama – sagt, dass seit dieser Zeit über eine Million Tiberterinnen und Tibeter getötet worden seien.

Die chinesische Regierung behauptet, Tibet gehöre schon seit 700 Jahren zu China.

Tibet wird zwar als autonome Region im chinesischen Reich geführt. Trotzdem ermuntert China Han-Chinesen nach Tibet einzuwandern.

Die Schweiz beherbergt mit 3000 Mitgliedern die weltweit drittgrösste tibetische Exil-Gemeinschaft.

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