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Henry Dunant und das Rote Kreuz

Ein Mass an Menschlichkeit inmitten grausamer Kriege zu bewahren - dies ist das erklärte Ziel des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

Ob in Sierra Leone, Ruanda, Tschetschenien oder im Irak: Wo Menschen leiden und das humanitäre Völkerrecht verletzt wird, ist die Organisation präsent, leistet Hilfslieferungen, ruft zu Spendenaktionen auf. Und dies bereits seit 140 Jahren.

Gegründet wurde das IKRK 1863 von dem Schweizer Kaufmann Henry Dunant, der damals die erste Nichtregierungs-Organisation (NGO) der Geschichte ins Leben rief. Am Donnerstag (8. Mai) vor 175 Jahren wurde der Genfer Patriziersohn geboren.

«Die Pferde zertreten mit ihren beschlagenen Hufen Tote und Verwundete. Einem armen Blessierten wird die Kinnlade fortgerissen, einem anderen der Kopf eingeschlagen, einem dritten, den man hätte retten können, die Brust eingedrückt», heisst es in Dunants erschreckendem Bericht über die Schlacht von Solferino in der Lombardei im Jahr 1859, deren Augenzeuge er eher zufällig während einer Geschäftsreise wurde.

Entsetzen über Hilflosigkeit

Spontan versuchte er, den Verwundeten zu helfen und war gleichzeitig entsetzt über die Hilflosigkeit der Sanitätskräfte. Da kam ein Gedanke in ihm auf: «Gibt es während einer Zeit der Ruhe und des Friedens kein Mittel, um Hilfsorganisationen zu gründen, deren Ziel es sein müsste, die Verwundeten in Kriegszeiten durch begeisterte, aufopfernde Freiwillige, die für ein solches Werk besonders geeignet sind, pflegen zu lassen?»

Wenige Jahre später rief er gemeinsam mit vier anderen Genfern – einem Bankier, einem General und zwei Ärzten – das «Internationale Komitee für Verwundetenhilfe» ins Leben.

Schon bald entwickelte sich die kleine Gesellschaft zu einer weltumfassenden Bewegung. Ihr Schutzzeichen, ein rotes Kreuz auf weissem Grund, soll vor allem für Neutralität bürgen – denn schliesslich handelt es sich dabei schlicht um die Umkehrung der Nationalfarben der Schweiz, die sich ebenfalls stark der Neutralität verschrieben hat.

Heute 12’000 Mitarbeiter

Heute arbeitet das IKRK mit Sitz in Genf mit seinen über 12’000 Mitarbeitern in unzähligen Ländern. Ziel ist es nach wie vor, Opfern bewaffneter Konflikte Schutz und Hilfe zu gewähren und «Leben und Würde von Kriegsopfern zu schützen», wie es auf der Webseite des Komitees heisst.

So ist die Organisation nach eigenen Angaben die einzige westliche Gesellschaft, die derzeit ein Mandat für humanitäre Hilfe im Irak besitzt. Nach ersten Lieferungen von Medikamenten, Decken und Wasser in die Krankenhäuser von Basra hilft das Rote Kreuz momentan Tausenden Irakern, Kontakt zu Angehörigen in aller Welt aufzunehmen.

Eindringliche Appelle gehen immer wieder an die Kriegsparteien, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts gemäss den Genfer Konventionen zu gewährleisten.

Tiefer Absturz

Henry Dunant hat die Früchte seiner Arbeit zu Lebzeiten nie wirklich geniessen können. Nach einer Verurteilung wegen betrügerischen Konkurses und dem Tod seiner Mutter irrt er viele Jahre als Heimatloser durch Europa. Bei einer Rede im englischen Plymouth bricht er 1872 vor Hunger zusammen.

Wenige Jahre später verschwindet Dunant komplett von der Bildfläche, wird für tot gehalten, bis ein Dorfschullehrer ihn schliesslich in dem Appenzeller Dorf Heiden entdeckt. «Der Gründer des Roten Kreuzes lebt!», schreiben die Zeitungen – und für Dunant beginnt noch einmal eine kurze Zeit des Erfolgs.

Friedensnobelpreis 1901

Nach mehreren Ehrungen und Auszeichnungen wird ihm 1901 sogar der Friedensnobelpreis verliehen. Jedoch gilt Henry Dunant bis heute als Sonderling, der an seinem Bestreben, Humanität in Kriegszeiten zu wahren, selbst psychisch zu Grunde ging.

Er kämpfte am Ende als überzeugter Pazifist gegen alle Gewalt in der Welt. Dunant stirbt am 30. Oktober 1910 in einem Hospiz in Heiden – und wird nach eigenem Wunsch ohne Trauerfeier, ohne Totenzug, «wie ein Hund» zu Grabe getragen.

swissinfo und Agenturen

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