Herausforderung für guten Schweizer Nachbarn
Zum Jahreswechsel übernimmt Österreich, vertrauter Nachbar der Schweiz, von Grossbritannien die Präsidentschaft der Europäischen Union.
Da stellt sich die Frage, ob durch diese Aufgabe die traditionell guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern beeinflusst werden.
Die erste Hälfte des Jahres 2006 steht Österreich an der Spitze der Europäischen Union, die zweite Hälfte wird von Finnland übernommen. Der östliche Nachbar der Schweiz tritt als EU-Präsidentschafts-Nachfolger der Briten kein leichtes Erbe an.
Denn obwohl der Budgetstreit der EU kurz vor Weihnachten entschieden wurde, haben die Briten eine beachtliche Mängelliste hinterlassen.
Keine Bewährungsprobe für gegenseitige Beziehungen
Im 58-seitigen Jahresprogramm für die gemeinsame Präsidentschaft, das die österreichische Aussenministerin Ursula Plassnik mit dem Finnen Antti Peltomäki in der Weihnachtswoche vorstellte, ist von der Schweiz nichts zu lesen.
Trotzdem sind eine stattliche Zahl bilateraler Kontakte geplant. Am 19. Januar wird Bundespräsident Moritz Leuenberger den Vorsitzenden der EU-Präsidentschaft, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, besuchen. Wichtigste Gesprächsthemen: Die österreichische EU-Präsidentschaft und die schweizerische EU-Politik.
Am 23. Januar wird Aussenministerin Micheline Calmy-Rey von ihrer österreichischen Amtskollegin Ursula Plassnik empfangen.
Im März nimmt Innenminister Pascal Couchepin an einer Gentech-Konferenz teil und Moritz Leuenberger wird im April in Bregenz am Bodensee zu einer Verkehrsminister-Tagung erwartet.
Wichtige Beziehungen zur «Institution Europa»
Johann Bucher, Schweizer Botschafter in Wien, sagte gegenüber swissinfo, für die schweizerische Beziehung zur Europäischen Union sei das Verhältnis zu Österreich nicht der entscheidende Faktor: «Die Schweiz hat ihre Beziehungen zur Institution Europa.»
Der Schweizer Botschafter ist jedoch davon überzeugt, dass sich Österreich nicht nur während seiner Präsidentschaft für die Schweiz einsetzt, sondern auch sonst.
Andererseits sei es nicht zufällig gewesen, dass die Schweiz unter der letzten österreichischen Präsidentschaft die Verhandlungen über das erste Paket der bilateralen Verträge habe abschliessen können.
Damals habe der damalige Aussenminister und heutige österreichische Ministerpräsident Schüssel ziemlich Druck gemacht, damit der Abschluss zustande kommen konnte und die Angelegenheit nicht noch weiter herausgezögert wurde.
Kohäsion
Aktuell sei der Beitrag der Schweiz zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU, der so genannte Kohäsionsbeitrag, ein Thema, das weit über die Präsidentschaft hinausgehe, sagte Bucher weiter. «Ausserdem sind es sicher nicht die Österreicher, die bei diesem Geschäft bremsen.»
Das Problem liege vielmehr bei ehemaligen Kohäsionsempfängern, die nicht auf ihre bisherigen Zuwendungen verzichten wollten.
Nach der Lösung der Kohäsionsfrage steht der Abschluss der vom Schweizer Stimmvolk genehmigten bilateralen Abkommen mit der EU, an. Und erst dann kann auch über das geplante bilaterale Stromtransit-Abkommen verhandelt werden.
Streitpunkt Alptransit
Österreich und die Schweiz möchten beide, dass der alpenquerende Verkehr der Umwelt und den Anliegen der Bevölkerung angepasst wird.
Laut Bucher müssen sich beide Seiten bewegen und Regelungen finden, welche die Prinzipien «Freie Fahrt dem Wahrenverkehr» und «Bevölkerung und Umwelt müssen angemessen geschützt werden» in ein vernünftiges Verhältnis bringen.
Die EU macht sich Sorgen, dass die Erhöhung der Schwerverkehrs-Abgabe (LSVA) in der Schweiz zusätzlichen alpenquerenden Verkehr nach Frankreich oder Österreich verlagern könnte.
Laut Bucher bezahlt die Schweiz ihre Alpentransversale jedoch selbst. Im Gegensatz dazu werde der geplante Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien auch von der EU mitfinanziert.
Weiter bringe die Schweiz die LSVA zu 90% im eigenen Land auf. Bei der Strassenmaut am Brenner sei das anders. «Dort werden vor allem ausländische Fahrzeuge zur Kasse gebeten.»
swissinfo, Etienne Strebel
2006 stehen zwischen der Schweiz und der EU verschiedene Probleme an:
Der EU-interne Streit über den freiwilligen Schweizer Kohäsionsbeitrag an die neuen EU-Mitgliedsländer
Der Abschluss der bilateralen Abkommen, so die Umsetzung des Schengen Abkommens
Die höhere LSVA in der Schweiz und der damit befürchtete Anstieg des alpenquerenden Verkehrs in Österreich und Frankreich
Die Verkehrsbeobachtungs-Stelle für den Alptransit
Der Widerstand der EU-Kommission gegen die Steuerpraxis einiger Kantone (z. B. Obwalden, Zug, Schwyz).
Österreich will in den kommenden 6 Monaten die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union neu starten. Ob dabei der geplanten europäischen Verfassung nach dem Volks-Nein in Frankreich und den Niederlanden wieder neue Impulse gegeben werden können, lässt Österreich jedoch offen.
Weiterer Schwerpunkt der österreichischen Präsidentschaft sind die Beziehungen der EU zu den Staaten des westlichen Balkans. Im Vordergrund werden dabei die Verhandlungen über den künftigen Status der serbischen Provinz Kosovos stehen.
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