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Herbst der Nervosität

Mitte Staenderaete debattieren an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag 17. September 2024, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Blick in den Ständerat, Mitglieder der Mitte-Partei. Keystone / Peter Schneider

Was brachte die Session? Viel Streit, aber wenig Fortschritte, vor allem aus Sicht der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.

Die grosse Enttäuschung der Auslandschweizer:innen kommt aus der Ablehnung eines PostulatsExterner Link, die Ausgewanderten eine Schweizer Krankenkassenlösung möglich machen wollte. Nur knapp zwar sagte der Nationalrat Nein zu diesem Vorschlag von Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. Aber der Anlauf war schüchtern, und trotzdem ist er gescheitert. Das Thema scheint damit für längere Zeit erledigt.

«Wir Auslandschweizer:innen scheinen eine schlechte Lobby in der SVP, FDP und GLP zu haben; daran müssen wir in Zukunft arbeiten», kommentiert der Auslandschweizer-Delegierte in Thailand, Josef Schnyder. «Das Problem, dass viele Auslandschweizer:innen keine oder nur eine unzureichende Krankenversicherung haben, bleibt bestehen», so Schnyder.

Über die Zeit gerettet, zumindest bis zur nächsten Session, scheinen vorderhand jedoch die Kinderrenten, welche vielen ausgewanderten Pensionierten monatlich rund 800 Franken pro Kind in die Haushaltskassen spülen. Das GeschäftExterner Link verschwand bis auf weiteres aus der Traktandenliste des Ständerats. Affaire à suivre, Überlebenschancen: klein.

Was ist das Problem?

Wer in den drei Wochen dieser Session aus der Distanz auf die Schweiz schaute, findet sich vielleicht im Bild wieder, das ein Parlamentsmitglied der Sozialdemokraten zeichnet: «Stellen Sie sich vor, Sie sehen die Schweiz von oben, wissen nichts über diesen Staat und überlegen sich: Was sind wohl die Probleme, die dieses Land so haben könnte?»

Kunstpause, fragender Blick.

Dann die Antwort: «Geld! Nie kämen Sie auf die Idee, dass fehlendes Geld das Problem der Schweiz sein könnte. Aber das ist es, um was wir hier streiten.»

Die Schweiz hat sich eine strikte Schuldenbremse auferlegt. Sie darf nicht mehr ausgeben, als sie einnimmt. Doch die Ausgaben steigen in nächster Zeit stetig. Denn das Volk sagte Ja zu einer zusätzlichen Monatsrente, und die unsicheren Zeiten erfordern mehr Geld für die Armee.

Ein Sparplan – und Feuer im Dach

Die Schweiz muss also mehr einnehmen, oder mehr sparen, und der Plan der Regierung ist: mehr sparen. Just auf die Session hin präsentierte der Bundesrat ein 5-Milliarden-Sparpaket.

Damit war Feuer im Dach des Bundeshauses. Während im Ratssaal selbst noch die Traktanden abgearbeitet wurden, dominierte dieser Sparplan die Gespräche auf den Fluren und in den Sitzungszimmern.

Denn der Plan spaltet: Für die linke Ratsseite ist es ein Sparhammer. Sie sieht darin einen Angriff auf den Service Public und die soziale Schweiz. Die rechte Ratshälfte hingegen begrüsst das Paket als mutigen Schritt und freut sich an den unerwartet vielen Sparideen.

«Man weiss nun endlich, was alles möglich ist», sagt etwa SVP-Nationalrätin Vroni Thalmann. Sie lobt die Fachgruppe, welche die Bundesausgaben bis in die letzte Excel-Zeile nach Sparpotenzialen durchforstet hat und dabei über 60 Posten fand. «So etwas hätten wir im Parlament in dieser Gründlichkeit nicht machen können», sagt sie.

Der Plan sieht auch die Streichung des Bundesbeitrags an das Auslandmandat der SRG vor und betrifft damit die Finanzierung von SWI swissinfo.ch. Er geht nächstes Jahr in die Vernehmlassung und wird das Parlament im kommenden Jahr noch detailliert beschäftigen.  

Woher das Geld – und für welche Armee?

Geld bleibt auch der Knackpunkt bei der Debatte um die Armee. Inzwischen sind sich beide Räte einig, dass sie das Militär schneller und grosszügiger finanzieren wollen als der Bundesrat dies vorschlug. Offen bleibt aber, woher die zusätzlichen vier Milliarden Franken kommen sollen. National- und Ständerat haben nun je intern darüber gestritten, jetzt müssen sie sich noch einigen, in der nächsten Session.

Im Nationalrat war die Armee-Debatte jene, die am emotionalsten geführt wurde – auch weil ein Teil der Gelder bei der Entwicklungshilfe abgezwackt werden soll. «Trachtenverein» und «paranoid» teilte SP-Nationalrat Fabian Molina in Richtung Bürgerliche aus. Diese forderten umgehend Entschuldigungen, und der Fraktionschef der Mitte-Partei drohte mit Strafanzeige.

Bundespraesidentin Viola Amherd und Thomas Suessli, Chef der Armee, begruessen sich kurz vor der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 19. September 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Verteidigungsministerin Viola Amherd und Armeechef Thomas Süssli begegnen sich im Parlamentsgebäude. Keystone / Anthony Anex

Was sich bei der Debatte auch zeigte: Es ist alles andere als klar, wie eine Schweizer Armee der Zukunft aussehen soll. Sind Panzer erforderlich oder Drohnen? Braucht es Cyberkrieger oder Grenadiere? Das Parlament stritt um Konzepte. Ein solches fehlt, eigentlich Aufgabe der Regierung.

Asyl: Breitere Allianz für härtere Gangart

Wie tief der Graben zwischen Links und Rechts ist, zeigte sich auch in der Sondersession «Asyl», welche die SVP erwirkt hatte. Die wählerstärkste Partei der Schweiz legte dabei eine ganze Reihe von Verschärfungen vor.

Einige prallten im Nationalrat ab, eine aufsehenerregende aber kam durch: Vorläufig Aufgenommene sollen ihre Familienmitglieder nicht mehr in die Schweiz holen dürfen. Justizminister Beat Jans (SP) wehrte sich vergeblich dagegen, er war – gelöchert von unzähligen Fragen der SVP – ohnehin in der Defensive.

Schliesslich bugsierte der Ständerat den heiklen Beschluss des Nationalrats an seine Rechtskommission weiter. Diese soll nun erstmal prüfen, wie sich das Verbot eines Familiennachzugs mit den Menschenrechen und der Schweizer Verfassung verträgt. Vertagt.

Auffällig auch: Die SP sammelte über Nacht mehr als 100’000 Unterschriften gegen diesen umstrittenen Entscheid. Das ist eine erneute Demonstration linker Kampagnenstärke und ein Novum. Neu ist auch, dass die wirtschaftsliberale FDP und Teile der Mitte in Migrationsthemen eine lesbar härtere Gangart eingeschlagen haben.

Marcel Dettling, SVP-SZ, hoert die Antwort auf seine Anfrage von Bundesrat Beat Jans, vor Greta Gysin, GP-TI, Anna Rosenwasser, SP-ZH, Claudia Friedl, SP-SG, Michael Graber, SVP-VS, Nina Schlaefli, SP-TG, Martine Docourt, SP-NE, Jean Tschopp, SP-VD, und Christian Imark, SVP-SO, von links, bei den Debatten ueber die Ausserordentliche Session "Asyl", waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 24. September 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Mitglieder der SVP stehen Schlange, um Bundesrat Beat Jans in der Sondersession «Asyl» Fragen zu stellen. Keystone / Anthony Anex

Das zeigte sich nicht nur in der Asyldebatte im Nationalrat, sondern auch im Ständerat, bei einem anderen Thema: Eigentlich ging es um die Beseitigung einer Diskriminierung von rückkehrenden Auslandschweizer:innenExterner Link. Der Ständerat sah aber auch darin die Gefahr, dass die Zuwanderung wachsen könnte und schickte das Geschäft zurück an den Nationalrat, auf die Wartebank.

Realpolitik und Symbolpolitik

Und die Ukraine? Die Solidarität macht formaljuristischen Überlegungen Platz. So will der Ständerat die Sanktionen gegen Russland lockern, welche die Schweiz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ergriffen hatte.

Er will wieder zulassen, dass die Anwaltsbranche für russische Unternehmen tätig werden kann. Vergeblich warnte Wirtschaftsminister Guy Parmelin, dass dies die aussenpolitische Glaubwürdigkeit der Schweiz schwächen würde.

Auch die Lieferung von Schweizer Schutzwesten in die Ukraine will der Ständerat künftig verbieten. Denn sonst müsste die Schweiz auch Russland mit Schutzwesten beliefern, dies gebiete die Neutralität. Das war das Argument, und das ist die Realpolitik der Gegenwart.

Die Symbolpolitik: Der Nationalrat hat den Holodomor als Völkermord anerkannt. Der Holodomor ist ein Hungerkrieg, den Russland gegen die Ukraine führte. Damals noch unter Stalin, vor rund 90 Jahren.

Editiert von Samuel Jaberg

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