Hilfe kommt vor den Menschenrechten
Die Schweiz mache ihre Hilfe an die ärmsten Länder nicht abhängig von der Einhaltung der Menschenrechte, erklärt Martin Dahinden, Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), im Gespräch mit swissinfo. Als Beispiel nennt er Darfur.
Das breiteste Ziel der Deza, die Verminderung der Armut und die Verminderung von menschlichem Leiden, ist in der Schweizerischen Bundesverfassung festgeschrieben.
Die mittelfristigen Ziele werden von der Landesregierung festgelegt und vom Parlament bestätigt. Für Dahinden ist aber klar, dass die Deza «ein ethisches und nicht ein geopolitisches Programm» hat.
Jedes Land, in dem die Organisation tätig sei, habe andere Bedürfnisse und die Mitarbeiter vor Ort würden an handfesten Tatsachen, wie Analphabetismus, der Verminderung von Krankheiten oder dem Zugang zu Trinkwasser gemessen, wie gut sie ihre Arbeit täten.
swissinfo: Die Deza setzt bei der Entwicklungszusammenarbeit namentlich auf die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat. Aber manche Länder scheinen sich nicht gross um diese Werte zu kümmern?
Martin Dahinden: Es ist sehr wichtig zu erkennen, dass der Rechtsstaat, die Menschenrechte und die Entwicklungsarbeit sehr eng verknüpft sind. Sei es in Bezug auf einen heiklen Kontext, ein Entwicklungsland oder ein Schwellenland in Osteuropa.
Für jede spezifische Aktivität wird zuerst eine Lagebeurteilung gemacht, um herauszufinden, wie am besten auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Einfluss genommen werden kann.
Es gibt jedoch keine Skalen, die darüber entscheiden, ob wir Hilfe leisten oder nicht. Es gibt Länder mit enormen Problemen im Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, wo wir uns sagen, es ist besser dort präsent zu sein und zu versuchen, die Situation zu verbessern.
swissinfo: Wie gross ist die Toleranzgrenze?
M.D.: Nähme man die Einhaltung der Menschenrechte als Kriterium für einen Einsatz, dann wären wir wahrscheinlich nicht in Darfur präsent. Unser Ansatz ist ein anderer.
Wir helfen, die Bevölkerung zu schützen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Dafür gibt es keine fixen Richtlinien. Wichtig ist für uns, wie bereits gesagt, die vorausgehende Lagebeurteilung.
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Deza
swissinfo: Hat sich die Deza sehr verändert, seit Sie Chef sind?
M.D.: Man sollte einen Direktoren-Wechsel nicht überschätzen. Die Deza war vor fünf oder sechs Jahren eine ganz andere Organisation und führte in einem gewissen Sinn ein Eigenleben.
In Bezug auf die Partnerländer gibt es zahlreiche Herausforderungen, die man nicht auf dem traditionellen Weg angehen kann. Beispiele dafür sind etwa der Klimawandel, die Lebensmittel- und Wasserversorgung, die Migration und die Energie. Die Globalisierung, inklusive der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise, führten bei uns zu einem Umdenken.
Seit Januar 2009 haben wir eine neue Strategie, die den neuen Herausforderungen gewachsen sein sollte.
swissinfo: Unterscheidet sich die DEZA von den Entwicklungsorganisationen anderer Länder?
M.D.: Es gibt einige Besonderheiten der Schweizer Hilfe aus früheren Zeiten, aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Ein Element war von Anfang an die Arbeit mit der Basis und der Einbezug der Zivilgesellschaft. Die Entwicklung dieser Zusammenarbeit war ein Konzept aus dem Kalten Krieg. Die Schweizerische Entwicklungszusammenarbeit fokussierte sich in dieser Zeit direkt auf die Betroffenen, die Menschen. Und das ist bis heute so geblieben.
Heute ist es extrem wichtig, dass wir uns auf das reale Leben in der Dritten Welt und in Osteuropa konzentrieren. Ich wehre mich dagegen, dass sich die DEZA zu einer Institution entwickelt, die ihre Kräfte für die Planung vergeudet. Einige unserer Zusammenarbeits-Themen sind da sehr unterschiedlich. Man findet viele Projekte mit einer direkten Verbindung zur Situation in der Schweiz. Zum Beispiel Projekte in den Bereichen Dezentralisation, Erbringung von Dienstleistungen für die Bürger und natürlich in der langen Tradition der humanitären Rechte.
Dies sind die Bereiche, die ich mit «Swissiness» bezeichnen würde. «Swissness» bedeutet für mich nicht, überall die Schweizer Flagge zu hissen. Sie bedeutet einen einzigartigen Ansatz und eine besondere Reihe von Themen.
swissinfo: Haben die Entwicklungsländer eine moralische Verpflichtung zur Durchsetzung strengerer moralischer Normen?
M.D.: Ich denke schon. Wenn Sie sich fragen, was die Motivation ist, um Menschen in verzweifelten Situationen zu helfen, finden sie zwei Antworten. Die eine ist ethisch, eine moralische Verpflichtung. Wenn sie in einer guten Umgebung leben, wenn Sie Zugang haben zu Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung, Erziehung, etc., fühlen sie sich verpflichtet, denen, die in schlechten Verhältnissen leben, zu helfen. Das ist ein ethischer Ansatz und wir sollten ihn bei unserer täglichen Arbeit nicht aussen vor lassen.
Und dann gibt es noch einen zweiten Gesichtspunkt. Keinen Widerspruch, aber eine zweite Antwort. Wenn man sich nicht um die Menschen in verzweifelten Situationen kümmert, könnte man als Folge der illegalen Immigration bald selbst davon betroffen sein.
Weiter sind Menschen in verzweifelten Lagen anfällig für Fundamentalismus, ihre Häuser werden ein Nährboden für Terrorismus, und so weiter.
Wir leben heute in einer Welt, wo Dinge, die weit entfernt von uns geschehen, sofort relevant für uns werden. Deshalb ist unser Engagement sowohl auf ethischer Motivation als auch auf unseren eigenen Interessen begründet.
swissinfo-Interview: Justin Häne
(Übertragung aus dem Englischen: Corinne Buchser)
Martin Dahinden wurde 1955 geboren. Er studierte Wirtschaft an der Universität Zürich und hat einen Doktortitel.
Seit dem 1. Mai 2008 ist er Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), die dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unterstellt ist.
Von 2000 bis 2004 war er Direktor des internationalen Zentrums für humanitäre Entminung in Genf.
Seit seinem Eintritt in die Diplomatie 1987 war er in Genf, Paris, Nigeria und New York stationiert.
Er war in diesem Zusammenhang auch Chef der Schweizer Mission bei der Nato in Brüssel.
Die Schweizer Entwicklungshilfe beträgt 0,4% des Bruttosozialproktes. Die UNO-Millennium-Entwicklungsziele verlangen 0,7%.
Das Parlament hat 2008 Jahr entschieden, die Hilfe bis zum Jahr 2015 auf 0,5% zu erhöhen.
Die Deza beschäftigt rund 600 Personen in der Schweiz und im Ausland. Sie beschäftigt ausserdem 1000 lokale Mitarbeiter. Das Budget beträgt 1,5 Mrd. Fr.
Zusammen mit Zuwendungen des Staatsekretariats für Wirtschaft (Seco) belief sich 2008 die offizielle Entwicklungshilfe auf 2 Mrd. Fr.
40% der Beträge wurden für multilaterale Hilfe aufgewendet, inklusive UNO-Agenturen.
Letztes Jahr investierten Nicht-Regierungs-Organisationen weitere 500 Millionen Franken in Entwicklungshilfe-Projekte.
Die Deza hat ihre 2. Reorganisationsphase gestartet. Im Vordergrund stehen dabei die Effizienzverbesserung der Bezieungen zwischen dem Hauptsitz und den Aussenstellen in den Entwicklungsländern.
In einem ersten Schritt wurde das Management im Hauptquartier in Bern reorganisiert. Rund 340 Angestellte erhielten neue Stellenbeschreibungen und rund 700 Dossiers wurden geprpüft.
Letztes Jahr kündigte die Deza eine Reduzierung Prioritäts Länder und Regionen von 17 auf 12 an.
Das neue Mandat folgt einem Entscheid des Parlaments. Er verlangt, die Schweizer Entwicklungshilfe müsse effizienter werden.
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