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«Hoffentlich regt Schmid-Rücktritt zum Denken an»

Keystone

Die Angriffe auf Verteidigungsminister Samuel Schmid seien zu hart gewesen, sagt sein Vorgänger Adolf Ogi, der während seiner Zeit im Bundesrat auch oft angeschossen wurde. Im Interview schaut er zurück und nach vorn.

swissinfo: Wie werten Sie den Rücktritt Ihres Nachfolgers Samuel Schmid?

Adolf Ogi: Ich möchte ihm zuerst herzlich danken für seinen grossen Einsatz.

Ich bin traurig, dass er zurücktreten musste. Traurig gestimmt hat mich vor allem seine Begründung: ‹Ich demissioniere meiner Gesundheit, meiner Familie, meinem Land und der Armee zuliebe.› Das sagt alles.

Der Rücktritt in Tränen hat betroffen gemacht. Und ich hoffe, dass Verschiedene sich Gedanken machen, ob das der Ton ist, mit dem man mit Leuten umgeht, mit denen man vielleicht nicht einverstanden ist. Da spreche ich nicht nur die Politik, sondern auch andere Kreise an.

Eine Stärke unseres Landes war der Konsens. Wir leben seit 1848 in Frieden und Freiheit zusammen.

Es war möglich, weil wir Minderheiten und Andersdenkende immer respektiert haben.

Ich hoffe, dass dieser Rücktritt nachdenklich stimmt. Für ein besseres Einvernehmen auch innerhalb der Parteien. Das ist dringend nötig.

swissinfo: Sie standen auch oft unter Druck Ihrer Partei. Wie gingen Sie damit um?

A.O.: Auf Druck reagiert nicht jeder gleich. Wenn ich unter Druck war, habe ich das Gespräch gesucht, namentlich auch mit Christoph Blocher. Nicht zuletzt, weil wir zusammen 1979 in den Nationalrat gewählt wurden und somit immer ein Draht zu ihm vorhanden war.

Wenn der Druck stark wurde, habe ich Blocher nach Kandersteg eingeladen und wir haben zuerst zusammen eine Stunde lang gesprochen. Dann kamen Parteipräsident, Fraktionspräsident, Parteisekretär und mein persönlicher Mitarbeiter dazu. Als die kamen, hatten wir bereits wieder eine gute Basis für die Zusammenarbeit gefunden.

Anschliessend sind wir in der Regel zum Blausee spaziert und haben dort eine Forelle gegessen. Dann hatte ich wieder Ruhe während einigen Monaten.

swissinfo: Haben Sie auch physisch gelitten?

A.O.: Natürlich leidet jeder Bundesrat – mehrmals. Vielleicht nicht immer wegen seiner Partei, aber sicher auch. Er kann ja nicht immer für die Partei arbeiten. Er muss vor allem die Gesamtinteressen des Landes vertreten. Da gibt es immer auch Differenzen zur Partei.

swissinfo: Wie haben sie den Druck bei Bundesrat Schmid beobachtet?

A.O.: Ich hatte immer den Eindruck, bei ihm tropft es ab, aber innerlich kann er es nicht verarbeiten. Innerlich belastet ihn das sehr.

Der Druck war einfach zu gross, die Angriffe zu hart. Der Mensch kann auch nicht alles ertragen und verarbeiten.

swissinfo: Hat sich der Umgangston in der Politik verschärft?

A.O.: Die Frage muss man ganz klar mit Ja beantworten. Nach dem 12. Dezember im letzten Jahr ist Verschiedenes passiert, das nachdenklich gestimmt hat, das auch bedingt war durch die Ankündigung der SVP, Oppositionspolitik zu betreiben.

In der Rückblende nach elf Monaten Erfahrung muss man zur Kenntnis nehmen, dass in unserem politischen System Oppositionspolitik sehr schwierig zu führen, praktisch nicht möglich ist.

Aber wenn man sie gleichwohl will, steht eben die Politik mit Personen im Vordergrund und nicht mehr die Sachpolitik. Man schiesst auf den Mann oder die Frau und nicht unbedingt auf das Geschäft.

swissinfo: Sie wurden oft auch angefeindet. Was hält Sie noch in der SVP?

A.O.: Ich wurde auch angeschossen. Aber nicht vergleichbar mit Samuel Schmid.

Ich war einmal Präsident der SVP Schweiz. Ich wurde von der SVP als Bundesrats-Kandidat aufgestellt und als Bundesrat gewählt. Da gibt es eine Loyalität. Das heisst, bei Schwierigkeiten darf man nicht davonrennen.

Punkt zwei: Ich hätte gerne vermittelt auf kantonalbernischer Ebene, damit die Spaltung nicht stattfindet. Und ich hätte gerne auch vermittelt zwischen den Bündnern und der SVP Schweiz, im Interesse von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Nicht alleine, vielleicht mit andern zusammen.

Ich halte mich nach wie vor bereit, vielleicht nach den Berner Wahlen 2010 zu vermitteln im Interesse einer kontinuierlichen, starken bürgerlichen Partei. Will man, dass Rot-Grün auch den Kanton Bern dominiert, weil Bürgerliche sich aufsplittern? Das sind dann Fragen, die sich stellen.

Deshalb bleibe ich bei der SVP und halte mich gerne bereit, mit andern zusammen nach einer gewissen Zeit eine Lösung zu suchen, die nicht von heute auf morgen aber vielleicht auf lange Sicht wieder ein bürgerliches Zusammengehen ermöglicht.

swissinfo: Wie zeigt sich die Ausgangslage für die Bundesratswahl vom 10. Dezember?

A.O.: Die SVP ist in einer Entweder-oder-Situation. Entweder kommt sie mit einem Kandidaten, der gewählt wird von der Bundesversammlung.

Und damit will sie wieder in den Bundesrat und macht einen ersten Schritt, damit auch ein zweiter Bundesrat zu einem späteren Zeitpunkt gewählt werden kann. Auf Grund der Stärke wäre das angebracht.

Oder sie kommt mit einem Kandidaten wie Christoph Blocher, der offensichtlich nicht gewählt wird. Dann signalisiert sie ganz klar, dass sie weiterhin Oppositionspolitik betreiben will.

Die Partei muss jetzt mit Weisheit geführt werden. Sie muss an die Politik und an die Zukunft denken und nicht persönliche Interessen von irgendwelchen Leuten in den Vordergrund stellen.

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swissinfo: Wen sehen Sie als Nachfolger von Bundesrat Schmid?

A.O.: Ich will mich nicht in dieses Nominations-Verfahren einmischen. Aber ich sage einfach, es steht unter unglaublichem Zeitdruck. Es geht nicht einmal mehr einen Monat, bis der Nachfolger von Samuel Schmid gewählt wird.

swissinfo: Wie hat Samuel Schmid als Bundesrat gearbeitet?

A.O.: Ich habe selber zwei Departemente geführt, war zweimal Bundespräsident. Kein Departement ist einfach.

Das VBS ist ein schwieriges, grosses und wichtiges Departement. Während acht Jahren kommt man nicht durch, ohne Fehler zu machen.

Samuel Schmid war 2005 Bundespräsident, hat dieses Amt im Interesse der Schweiz hervorragend ausgeführt. Er war der ruhende Pol im Bundesrat, war berechenbar.

Und er hat sich nicht nur konzentriert auf Fragen des Departements, sondern sich auch mit allen anderen Problemen beschäftigt. Auf Grund seiner langjährigen politischen Erfahrung hat er auch das gewisse Knowhow. Und deshalb ist es traurig, dass er so abtreten musste.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

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Am 12. Dezember 2008 hat der Berner seinen Rücktritt als Bundesrat per Ende Jahr bekannt gegeben.

Zuvor war er wegen seiner Armeeführung zusehends unter Druck geraten.

Schmid war Ende 2000 als nicht von seiner Partei, der Schweizerischen Volkspartei (SVP), nominierter Kandidat in den Bundesrat gewählt worden.

In der Folge bezeichnete ihn der damalige Nationalrat und starke Mann der Partei, Christoph Blocher, als «halben» Bundesrat.

Blocher selber wurde Ende 2003 in den Bundesrat gewählt, verdrängte dabei Ruth Metzler von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und sicherte seiner Partei neu einen zweiten Sitz in der Landesregierung.

Nach Blochers Nicht-Wiederwahl Ende 2007 erklärte die SVP, in die Opposition zu gehen und schloss Samuel Schmid und die statt Blocher gewählte Eveline Widmer-Schlumpf aus der Fraktion aus.

Im Frühsommer traten die beiden SVP-Bundesräte in die neu gegründete Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) über.

Seit 1979 Nationalrat, wurde der Berner Ende 1987 als offizieller Kandidat der SVP in den Bundesrat gewählt.

Er war bis Ende 2000 im Amt und leitete in dieser Zeit zuerst das Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, später das Militär-Departement, 1998 umbenannt in Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).

1993 und 2000 war er Schweizer Bundespräsident.

Von 2001 bis 2007 war Ogi für die Vereinten Nationen (UNO) als Sonderberater für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden auf der ganzen Welt unterwegs.

«Soll Alt Bundesrat Christoph Blocher wieder kandidieren?» fragte swissinfo die Leserschaft zwischen 12. und 14.11.2008.

An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 233 Personen. Das Resultat: 38 (16%) sagten Ja, 192 (82%) Nein. 3 Personen (1%) waren unentschlossen.

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