«In den Lokalen waren die Wahlen noch fair»
Die jüngste Präsidentenwahl in Kirgistan war international stark umstritten. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisiert die Wahlen als unfair. Die Schweizer OSZE-Beobachterin Kathy Riklin berichtet.
Nach jüngsten Angaben der kirgisischen Wahlkommission hat der alte und neue Amtsinhaber Kurmanbek Bakijew 76% der abgegebenen Stimmen erhalten. Sein wichtigster Herausforderer, Almasbek Atambajew, erzielte einen Stimmenanteil von lediglich 8%. Die Opposition bezeichnet die Abstimmung denn auch als «schamlosen Betrug».
Die christlichdemokratische Zürcher Nationalrätin Kathy Riklin, die vor und während der Wahlen als OSZE-Wahlbeobachterin in Kirgistan weilte, betrachtet die Situation differenzierter.
swissinfo.ch: Frau Riklin, Sie haben als OSZE-Wahlbeobachterin die Wahlen in Kirgistan verfolgt. Fühlten sie sich dabei eingeschränkt?
Kathy Riklin: Wir konnten uns absolut frei bewegen. Die Leute waren enorm freundlich und liebenswürdig. Es ist ein ganz herzliches Volk!.
Wir waren in einer Gegend nahe der kasachischen und chinesischen Grenze. Dort gibt es ganz kleine Bauernsiedlungen mit maximal 1000 bis 2000 Wählern.
swissinfo.ch: Worauf mussten Sie besonders achten?
K. R.: Um auf der Wahlliste registriert werden zu können, musste man Pass, Identitätskarte oder Fahrausweis präsentieren. Erst nach einer Unterschrift wurde der Wahlzettel mit den sechs Kandidatennamen ausgehändigt. Der ausgefüllte Wahlzettel wurde dann in eine transparente Urne gesteckt.
Wir mussten auch kontrollieren, ob die Urnen vor der Öffnung der Wahllokale leer waren. In den Wahlstationen wurde unserer Ansicht nach seriös gearbeitet.
Probleme bereiteten die vorzeitige Stimmabgabe und die so genannten Absenty-Votes: Wer sich ausweisen konnte, konnte seine Stimme auch an einem anderen Ort abgeben. Dies ermöglichte, dass an grösseren Orten erheblich geschummelt werden konnte.
swssinfo.ch: Nicht so auf dem Land?
K. R.: Die Wahllokale öffneten um 8 Uhr. Bei einem waren wir bereits um sieben Uhr vor Ort und beobachteten, wie alles eingerichtet wurde. Nach dem Singen der Nationalhymne durch die elf Mitarbeitenden im Wahlbüro ging es los.
Um acht Uhr abends schloss das Wahllokal. Nun wurden die Stimmzettel herausgenommen und gezählt. Geschummelt wurde da sicher nicht. Wir konnten auch das Protokoll fotografieren und erhielten eine Kopie.
Rund 70 % der Stimmen waren bei uns für den wiederkandidierenden Präsidenten. Daher denke ich, das Resultat wäre sowieso ungefähr so herausgekommen. Vielleicht hat man ihm noch zusätzliche Stimmen verschafft. Aber die Opposition war eigentlich chancenlos.
swissinfo.ch: Laut der Büroleiterin der OSZE-Mission in der Hauptstadt Bischkek, haben mehr als die Hälfte der OSZE-Wahlbeobachter den Urnengang negativ bewertet. Können Sie das bestätigen?
K. R.: Ich denke, da wird übertrieben. Natürlich hat fast jeder ein Haar in der Suppe gefunden. Das Land hat aber im Grossen und Ganzen die Wahlen gut organisiert.
Probleme traten erst nach der Zählung auf, in den regionalen Rayons, wo die Wahlzettel gesammelt wurden. Wir haben so ein Rayon abends um 11 Uhr besucht.
Dort wurden die Protokolle noch einmal kontrolliert. Wir waren bis um ein Uhr in der Früh da. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden keine Daten in den Computer eingetippt. Und genau an dieser Schnittstelle dürfte einiges manipuliert worden sein.
swissinfo.ch: Können Sie das beweisen?
K. R.: Das könnte man, wenn man die definitiven Resultate hätte und diese mit unseren Zahlen vergleichen würde. Es ist aber nicht sicher, ob dies möglich sein wird. Wahrscheinlich werden die Daten der einzelnen Wahllokale nicht herausgegeben. Aber dort könnte man klar beweisen, wo geschummelt wurde.
swissinfo: Sollte man mit Kritik nicht zuwarten, bis der OSZE-Abschlussbericht in ein paar Wochen vorliegt?
K. R.: Ja. Wir waren deshalb auch erstaunt, denn wir hatten gesehen, dass sich bis zwei Uhr morgens noch gar keine Wahldaten im Computer befanden. Trotzdem gab die OSZE breit Auskunft über das Wahlresultat und über die Schummeleien. Ich wäre da ein wenig vorsichtiger gewesen.
swissinfo.ch: Sie finden also, man kann trotz allem von fairen Wahlen sprechen?
K.R.: Es wurde versucht, faire Wahlen durchzuführen. Und das hat sicher in den Wahllokalen funktioniert. Was nachher passiert ist, ist noch nicht ganz geklärt.
Ich glaube, die Leute wurden auf andere Art eingeschüchtert. So wurde ihnen gesagt, wenn Bakijew nicht gewinne, würden sie Nachteile haben. Anscheinend wurden gewisse Leute gedrängt, sie müssten noch vier andere Personen dazu bringen, den bisherigen Präsidenten zu wählen. Diese Manipulationsversuche verliefen auf einer anderen Ebene, weniger mit Geld und dem Fälschen von Wahlzetteln.
Fair oder nicht fair, man darf auch mit dem eigenen Land einen Vergleich ziehen. In der Schweiz kennen wir die briefliche Stimmabgabe. Soviel ich weiss, werden die Unterschriften auf den Wahlzetteln nicht kontrolliert. Da könnte man sich ja auch mal fragen, wie fair unser System ist, wenn man es mit derselben Genauigkeit unter die Lupe nehmen würde wie in Kirgistan.
Etienne Strebel, swissinfo.ch
Die ehemalie Sowjetrepublik Kirgistan in Zentralasien ist seit 1991 ein säkulärer Staat und grenzt an Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und China.
Fläche: 199’900 km2. (fast 5x die Schweiz)
Einwohner: Rund 5,3 Mio. (Schweiz: 7,7 Mio.)
Erster Präsident Kirgistans wurde Askar Akajew. Zuvor war er seit 1990 Staatspräsident der Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik gewesen.
In den ersten Jahren der Unabhängigkeit bezeichnete sich Kirgistan unter den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion als «Insel der Demokratie». Mit den Jahren wurde Akajew immer autoritärer.
Aus der «Tulpenrevolution» 2005 ging der frühere Premierminister Kurmanbek Bakijew als neuer Staatspräsident hervor.
Hauptstadt ist Bischkek. Laut einer UNO-Statistik von 2003 haben 70% der rund 5 Mio. Kirgisen pro Tag rund 2 Dollar zur Verfügung.
Nur ein kleiner Teil profitiert vom Export der Gold- und Uranvorkommen sowie von der Wasserenergie.
Rund ein Drittel des Bruttoinlandprodukts besteht aus Überweisungen von Gastarbeitern, die in Russland ein Einkommen suchen. Durch die Wirtschaftskrise sind nun aber auch diese Zuflüsse stark eingebrochen.
Das Land ist seit dem 8. Jahrhundert muslimisch geprägt. Zweitstärkste religiöse Gruppe sind die Christen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch