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«Internet ist noch nicht im Kopf der Politiker»

Die Wahlkampagne in der Schweiz wird vorwiegend mit traditionellen Mitteln geführt. Keystone

Voraussichtlich 3000 Kandidatinnen und Kandidaten, darunter einige Auslandschweizer, werden an den Eidgenössischen Wahlen im Herbst teilnehmen. Aber nur wenige von ihnen betreiben einen modernen Wahlkampf. Laut Politologe Mark Balsiger ist das ein Fehler.

Balsiger ist Experte für politische Kommunikation. Vor kurzem hat er das Handbuch «Wahlkampf – aber richtig» veröffentlicht.

Darin analysiert er fünf erfolgreiche Wahlkämpfe und gibt Tipps für Kandidaten, auch im Umgang mit den neuen Medien.

swissinfo.ch: Wie viel Geld kostet eine effiziente Wahlkampagne?

Mark Balsiger: Man muss zwischen 20’000 und 200’000 Franken kalkulieren. Das ist ein weites Spektrum, denn das Budget hängt von vielen Faktoren ab. Es beginnt mit dem Kanton eines Kandidaten. In grossen Kantonen wie Zürich, Bern oder der Waadt sind grössere Ressourcen nötig als in kleinen Kantonen. Denn die Kandidaten müssen eine grössere Wählerschaft erreichen; zudem ist die Konkurrenz härter.

Ausserdem präsentiert sich die Situation nicht für alle Kandidaten gleich. Für amtierende National- oder Ständeräte reichen auch einige tausend Franken. Sie weisen einen grossen Vorteil auf, denn in der Regel sind sie bereits in den Medien präsent und können auf ein umfangreiches Netzwerk bauen. Es ist kein Zufall, dass rund 85 Prozent der amtierenden Parlamentier, die erneut kandidieren, wieder gewählt werden. Neue Kandidaten müssen hingegen ein Image aufbauen und sich im Wahlkampf profilieren. Dafür braucht es schon mehr Mittel.

swissinfo.ch: Gibt es weitere Kriterien für den Erfolg?

M.B.: Neue Kandidatinnen und Kandidaten müssen viel Zeit investieren, in der Regel mindestens ein Jahr vor den Wahlen beginnen. Wer glaubt, die Wahlkampagne auf die letzten sechs bis acht Wochen vor den Wahlen zu beschränken, wird scheitern.

Entscheidend ist natürlich auch, über welchen Bekanntheitsgrad ein Kandidat bereits verfügt, ob er ein grosses Netzwerk hat und medienwirksam auftreten kann. Wichtig ist zudem eine effiziente Kommunikationsstrategie: Mit welcher Botschaft und über welche Kanäle soll die potentielle Wählerschaft erreicht werden? Es ist falsch, sich mit vielen verschiedenen Werbemitteln und Massnahmen zu verzetteln – klar definierte Schwerpunkte sind effektiver.

swissinfo.ch: In Bezug auf die Strategie hat man den Eindruck, dass sich nur wenige Kandidaten der Hilfe von Spezialisten der politischen Kommunikation bedienen. Wieso?

M.B.: Der Einsatz von Geld und externen Spezialisten für Wahlkampagnen fällt in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland, Frankreich oder den USA immer noch sehr bescheiden aus. Die Mehrheit der Kandidaten belässt es bei der Hilfe durch ein paar Bekannte. Selbst der Einsatz von Freiwilligen ist sehr beschränkt, da diese Arbeit in unserem Land wenig Anerkennung findet.

In den USA vermerken Wahlhelfer diese Tätigkeit in ihrem Lebenslauf. Wenn in der Schweiz eine Person erklärt, ein halbes Jahr für einen Nationalrat gratis gearbeitet zu haben, erntet dies kaum Applaus.

swissinfo.ch: Auch der Einsatz moderner Kommunikationsmittel scheint in der Schweiz nicht auf der Höhe der Zeit zu sein.

M.B.: Ich würde es so sagen: Die politische Kommunikation befindet sich in der Schweiz in einer Übergangsphase. Der Wahlkampf wird zum grossen Teil noch sehr traditionell geführt, so wie vor 20 oder 30 Jahren. Klassische Werbemittel wie Plakate, Inserate sowie Give-Aways, aber auch Strassenaktionen und Podiumsversanstaltungen dominieren weiterhin. Dabei können die Kandidaten dort nur sehr wenige Personen erreichen, auch weil der direkte Kontakt zwischen Partei und Wählerschaft in den letzten Jahren schwächer geworden ist.

Die Kommunikation im Wahlkampf via Internet steht noch ganz am Anfang. Dabei tummeln sich im Internet massenhaft Leute. Jeden Tag benutzen Millionen von Schweizern das Internet, um jegliche Art von Informationen zu suchen, darunter auch politische Aktualität. Ich habe den Eindruck, dass Internet noch nicht im Kopf der Schweizer Politiker angekommen ist. Viele betonen die Wichtigkeit von Internet. Wenn man die jeweiligen Homepages anschaut, sind sie häufig veraltet und wenig interaktiv.

swissinfo.ch: Auf welche Weise sollten denn Kandidaten Ihrer Meinung nach Internet nutzen?

M.B.: Sie sollten in erster Linie die beliebtesten Internet-Kanäle nutzen, um nicht zu viel Zeit zu verschleudern. In der Schweiz Facebook und Twitter. Frühzeitig sollte ein breites Kontaktnetz aufgebaut werden. Es hat keinen Sinn, kurz vor den Wahlen ein Facebook-Profil einzurichten.

Viele Politiker begehen zudem den Fehler, diese Kanäle für politische Propaganda zu benutzen. Doch Blogs und generell die «social media» haben nur Erfolg, wenn sie interaktiv im Dialog mit den Nutzern eingesetzt werden. Doch auch dafür muss man Zeit und Arbeit investieren.

swisinfo.ch: Kommen wir noch kurz auf die Auslandschweizer zu sprechen. Wie hoch schätzen sie die Chancen ein, dass ein Kandidat aus der Fünften Schweiz gewählt wird?

M.B.: Die Wahlchancen sind sehr gering, denn diese Kandidaten können im Gegensatz zu vielen ihrer Konkurrenten nicht auf eine Medienpräsenz zählen. Sie können sich allenfalls als «exotische Kandidaten» einen Bonus verschaffen, doch eine solche Aufmerksamkeit wird schnell verpuffen.

Um Erfolg zu haben, müsste eine grosse politische Partei einen entsprechenden Kandidaten massiv fördern. Doch bisher haben die Parteien Auslandschweizer eigentlich nur auf die Listen gesetzt, um Wählerstimmen aus der Fünften Schweiz zu erhalten.

Meiner Meinung nach müsste man eigene Wahlkreise für Auslandschweizer schaffen, so wie dies andere Länder für ihre im Ausland lebenden Landsleute tun. Ich denke, dass die Präsenz einiger Auslandschweizer im Parlament für die nationale Politik positiv wäre. Diese Parlamentarier könnten die Bindungen zwischen der Schweiz und den im Ausland lebenden Schweizern festigen. Und dies wäre sehr wichtig.

Am kommenden 23. Oktober finden die Erneuerungswahlen für das Schweizer Parlament statt. Das parlamentarische System in der Schweiz fusst auf zwei Kammern.

Der Nationalrat zählt 200 Mitglieder. Er vertritt das Schweizervolk. Bei rund 7,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern entfällt auf je 37’500 ein Sitz (Wohnbevölkerung geteilt durch 200).

Jeder Kanton bildet einen Wahlkreis, der selbst dann mindestens ein Mandat erhält, wenn seine Bevölkerungszahl unter 37’500 Einwohnern liegt.

Der Ständerat setzt sich aus 46 Vertreterinnen oder Vertretern der Schweizer Kantone zusammen. Jeder Kanton wählt zwei, die Halbkantone je eine Vertreterin bzw. einen Vertreter.

Zürich mit über einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern wählt ebenso zwei Vertreterinnen oder Vertreter wie der Kanton Uri, der rund 35’000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt.

Auch die Auslandschweizer können an den Eidgenössischen Wahlen teilnehmen. Sie können abstimmen und sich als Kandidaten aufstellen lassen. Mehr als 135’000 Auslandschweizer sind in kantonalen Stimmregistern eingetragen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern kennt die Schweiz keine eigenen Wahlkreise für ihre im Ausland lebenden Landsleute. Bisher hat es kein Kandidat aus der Fünften Schweiz geschafft, gewählt zu werden.

Mark Balsiger studierte politische Wissenschaften an der Universität Bern und Journalismus in Cardiff. Er arbeitete zuerst als Journalist für diverse Medien, darunter Schweizer Radio DRS.

Er war anschliessend in der Öffentlichkeitsarbeit und im Bereich der Kommunikationsausbildung tätig. 2002 gründete er seine eigene Firma, die Border Crossing AG.

Als Buchautor beschäftigt sich Balsiger mit Wahlkämpfen in der Schweiz. Zuletzt erschien sein Handbuch «Wahlkampf – aber richtig» (2011).

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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