Ja zu Schengen/Dublin und zur Partnerschaft
Das Schweizer Stimmvolk hat am Sonntag die bilateralen Abkommen Schengen/Dublin mit 54,6% und das Partnerschafts-Gesetz mit 58% Ja gutgeheissen.
Die Stimmbeteiligung war mit knapp 56% überdurchschnittlich hoch.
Das Ja zu Schengen bestätigt den Bundesrat auf seinem bilateralen Weg in der Europapolitik. Das EU-Beitrittsgesuch werde nicht aufgetaut, sagte Bundespräsident Samuel Schmid. Die homosexuellen Paare bat er um etwas Geduld.
Der Bundesrat begrüsse die Entscheide des Schweizer Volkes, sagte Schmid vor den Medien. Mit der Annahme von Schengen würden die Fahndungsmöglichkeiten der Polizei und des Grenzwachtkorps verbessert und unbegründete Asylgesuche vermieden.
«Schluss mit einem EU-Beitritt»
Der Bundesrat sei sich im Klaren, dass eine bedeutende Minderheit Vorbehalte gegenüber Schengen/Dublin habe, sagte Schmid. Die Landesregierung werde sich bemühen, diese bei der weiteren Ausgestaltung des bilateralen Verhältnisses zur EU entsprechend zu berücksichtigen.
Auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey freute sich über den «europäischen» Volksentscheid. Die Gegner selber hätten aus Schengen/Dublin eine Europafrage machen wollen – und sich damit ins eigene Fleisch geschnitten.
Für die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Aktion für eine unabhängige Schweiz (AUNS) ist jetzt Schluss mit einem EU-Beitritt.
Das Ja zu Schengen bedeute ein klares Nein zum EU-Beitritt, schreibt die SVP. Entscheidend sei das Versprechen des Bundesrates gewesen, mit der Zustimmung zu Schengen und den anderen bilateralen Verträgen sei das EU-Beitrittsgesuch vom Tisch. Der Bundesrat müsse dieses nun zurückziehen.
Wirtschaft und Gewerkschaften zufrieden
Auch die AUNS bedauert den Volksentscheid. Bundesrat, Parteien und Verbände hätten dem Volk jedoch ausdrücklich versprochen, dass der EU-Beitritt für die Schweiz kein Thema mehr sei. Als Tatbeweis dafür fordert die AUNS vom Bundesrat den sofortigen Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs.
Die Wirtschaft zeigt sich mit dem Abstimmungsergebnis zu Schengen/Dublin zufrieden. Wie die Gewerkschaften sieht sie darin den bilateralen Weg bestätigt. Besonders erfreut zeigen sich die Tourismus- und Hotellerieverbände.
Der bekannte Graben zwischen Stadt und Land
Bei der Abstimmung zu Schengen/Dublin haben die Westschweiz und die grossen städtischen Deutschschweizer Kantone die ländliche Deutschschweiz und das Tessin überstimmt. In der Romandie wie in der Deutschschweiz gab es Ja-Mehrheiten.
Es tat sich also eher ein Stadt-Land-Graben als der klassische Graben zwischen der Deutschschweiz und der Romandie auf. Alle sechs Westschweizer Kantone sowie sechs von 19 Deutschschweizer Ständen sagten Ja: Zürich, Bern, Solothurn, Zug und beide Basel.
Obschon die Mehrheit der Deutschschweizer Kantone das Vertragswerk abgelehnt haben, gab es auch in der Deutschschweiz eine Ja-Mehrheit. Das Tessin hat die Vorlage abgelehnt.
Freude in Europa
Die Europäische Union wie auch Frankreich, Deutschland und Österreich begrüssen das Ja zu Schengen/Dublin. EU-Ratspräsident Luc Frieden sprach von einer «guten Nachricht für Europa und für die Schweiz».
Das deutsche Innenministerium begrüsste die «souveräne Entscheidung» der Schweiz. Allerdings bleibe es zunächst bei der Beibehaltung der Grenzkontrollen. In der Tat wird die Schweiz frühestens Ende 2007 de facto Schengenmitglied.
Wie in Brüssel verlautete, ist zudem der freie Personenverkehr in allen 25 Mitgliedstaaten für die EU eine Voraussetzung für die Teilnahme an Schengen. Die Schweiz wird am 25. September über die Erweiterung des freien Personenverkehrs auf die neuen EU-Länder abstimmen.
Homosexuelle nicht mehr benachteiligt
Die Schweiz sei das erste Land weltweit, dessen Volk sich in einer Abstimmung zur Frage äussern konnte, ob für gleichgeschlechtliche Paare ein spezielles Rechtsinstitut eingeführt werden soll, sagte Bundespräsident Samuel Schmid zum Partnerschaftsgesetz. Der Bundesrat freue sich über die breite Zustimmung.
Der Volksentscheid werde mithelfen, gewisse Benachteiligungen für gleichgeschlechtliche Paare zu beseitigen, sagte Schmid. Er müsse aber Paare, die ihre Partnerschaft eintragen wollten, um etwas Geduld bitten. Das Gesetz müsse noch auf Verordnungsstufe und in den Kantonen umgesetzt werden.
Der Bundespräsident geht davon aus, dass das neue Partnerschafts-Gesetz frühestens auf den 1. Januar 2007 in Kraft treten kann.
«Fabelhafter Sieg»
Die Befürworter sind sich einig: Die Schweiz habe am Sonntag einen wichtigen Schritt zur Gleichberechtigung Homosexueller unternommen.
«Das ist ein fabelhafter Sieg», sagte Jean-Paul Guisan, Sekretär des Schwulen-Dachverbands Pink Cross. «Vor zehn Jahren wäre eine solche Vorlage nie angenommen worden», sagte Nicole Béguin, Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz. Das Resultat sei ein Zeichen dafür, dass Homosexuelle akzeptiert würden.
Die Homosexuellen-Organisationen bekräftigten, dass sie nun keine Adoptionen und künstliche Befruchtungen für gleichgeschlechtliche Paare fordern werden.
Von Mehrheiten und Werten
Die Gegner der Vorlage sprachen dagegen von einer «bedenklichen Entwicklung». Heutzutage bestehe ein Trend dazu, sich so wenig wie möglich an allgemeine gesellschaftliche Leitplanken zu halten, sagte Nationalrat Ruedi Aeschbacher, der Co-Präsident des Referendums-Komitees.
Enttäuschung herrscht auch bei der Schweizerischen Bischofskonferenz, die die Vorlage abgelehnt hatte. Einen Schritt weiter ging der bischöfliche Kanzler Nicolas Betticher: Gut sei nicht, was eine Mehrheit erziele, sondern was auf Werten basiere, sagte er.
Was im Gesetz jetzt umgesetzt werde, sei ganz einfach Normalität, heisst es dagegen beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund.
swissinfo und Agenturen
Schengen/Dublin: 54,6% Ja-Stimmen
Eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle: 58,03%
Stimmbeteiligung: 56,4%
Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die ihr Stimmrecht ausüben, haben sich mit grosser Mehrheit für die Abkommen Schengen/Dublin ausgesprochen.
In den fünf Kantonen, in denen die Stimmen der Fünften Schweiz separat ausgezählt werden (Genf, Basel-Stadt, Luzern, Waadt und Appenzell-Innerrhoden), war der Ja-Anteil der Auslandschweizer höher als jener der dort ansässigen Bevölkerung.
Im Halbkanton Appenzell-Innerrhoden haben die Wählerinnen und Wähler aus der Fünften Schweiz mit 80,6% Ja-Stimmen sogar gesamtschweizerisch die Erstposition. Die Stimmberechtigten, die in Appenzell-Innerrhoden ansässig sind, lehnten Schengen/Dublin jedoch mit 68,5% ab.
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