Ja zur Sanierung der Invalidenversicherung
Nach dem Nationalrat hat nun auch die Kleine Kammer die 5. Revision der Invalidenversicherung (IV) gebilligt. Sie setzt auf die Devise "Arbeit kommt vor Rente".
Der Ständerat hat es zudem abgelehnt, ins Ausland ausbezahlte Renten der jeweiligen Kaufkraft des Landes anzupassen.
Der Zugang zur Invalidenrente wird vom Parlament erschwert. Der Ständerat hat am Donnerstag mit 25 gegen 6 Stimmen den ersten Teil der 5. IV-Revision gutgeheissen.
Mit Früherkennung, Frühintervention und Eingliederung wollen Bundesrat und Parlament die Zahl der Neurenten um rund 30% gegenüber 2003 senken. Der nun vom Zweitrat verabschiedete materielle Teil der Revision bringt auch eine Reihe von Sparmassnahmen, während die Zusatzfinanzierung vertagt wurde.
Defizite verlangen Reaktionen
Der Handlungsbedarf war im Ständerat unbestritten. Jährlich fährt die IV Defizite von rund 1,5 Mrd. Franken ein. Mittlerweile sind ihre Schulden auf fast 8 Mrd. angestiegen, was den AHV-Fonds schwer belastet. Psychische Erkrankungen nehmen zu, immer häufiger beanspruchen auch junge Menschen eine IV-Rente.
Wenig begeistert zeigte sich die Linke. Sie beklagte nicht nur, dass über die Mehreinnahmen erst später gesprochen werden soll. Die Sozialdemokratin Gisèle Ory kritisierte vor allem auch, dass einseitig die Behinderten unter Druck gesetzt würden, wo doch die Bereitschaft der Unternehmen zur Beschäftigung Behinderter entscheide.
Anders als im Erstrat waren Behindertenquoten kein Thema. Ein wenig stärker nahm der Ständerat die Arbeitgeber dann aber doch in die Pflicht: Auf Antrag der Sozialkommission (SGK) verpflichtete er sie dazu, aktiv mit den IV-Stellen zusammenzuarbeiten und an einer «angemessenen Lösung im Rahmen des Zumutbaren» mitzuwirken.
Anreiz für die Arbeitgeber
Mit 20 zu 15 Stimmen schuf die Kleine Kammer die Möglichkeit, den Unternehmen Beiträge an die Integration zu gewähren, wenn die Betroffenen in ihrem Betrieb bleiben können. Dies komme billiger als die Unterbringung in staatlichen Eingliederungsstätten, argumentierte die siegreiche Kommissions-Minderheit aus Sozialdemokraten und Christlichdemokraten.
Es gehe hier um die Erhaltung der Arbeitskapazität und nicht um den konkreten Arbeitsplatz, sagte Bundesrat Pascal Couchepin. Vergeblich warnte der Sozialminister auch davor, faktisch einen neuen Rechtsanspruch zu schaffen, mit dem Unternehmer die IV unter Druck setzen könnten.
Wirksamer als der Nationalrat möchte der Ständerat verhindern, dass Rentenentscheide wegen den Eingliederungs-Massnahmen immer wieder hinausgeschoben werden. Oppositionslos hielt er fest, dieser Entscheid müsse spätestens zwölf Monate nach dem Geltendmachen des Rentenanspruchs fallen.
Zusatzrente und Karrierezuschlag weg
Gegen den Widerstand der Linken billigte der Rat die zwei Massnahmen, mit denen sich am meisten sparen lässt. Mit 23 zu 11 Stimmen liess er es zu, dass mit einem Spareffekt von 116 Mio. nun auch die laufenden Zusatzrenten für den Ehegatten gestrichen werden. Für Härtefälle gebe es noch immer die Ergänzungsleistungen, sagte Couchepin.
102 Millionen spart die IV mit dem Wegfall des Karrierezuschlags, um den die Renten heute wegen des durch die Behinderung «verpassten» Lohnanstiegs erhöht wurden. Diese Massnahme, die Couchepin als unverzichtbar und sozial vertretbar bezeichnete, hiess der Rat mit 21 zu 7 Stimmen gut.
Keine Kaufkraftanpassung im Ausland
Weggefegt wurde allerdings der knappe Beschluss des Erstrates, die in Ländern ohne Abkommen aus der Schweiz exportierten IV-Renten der Kaufkraft des Wohnsitzlandes anzupassen.
Laut der freisinnigen Kommissionspräsidentin Erika Forster hätte dies nur rund 1000 Rentenbezüger betroffen.
Finanzierungsteil später
Der materielle Teil der 5. IV-Revision geht nun zur Differenzbereinigung in den Nationalrat. Er soll nächstes Jahr in Kraft treten und die IV im Mittel der Jahre bis 2025 um etwa 600 Millionen entlasten. 300 Millionen spart dabei die öffentliche Hand, weil sie die Hälfte der Ausgaben trägt.
Ins Gleichgewicht gebracht werden kann das Sozialwerk aber erst durch die vom Parlament verschobene Zusatzfinanzierung. Rund 300 Mio. Franken soll nach dem Vorschlag des Bundesrates eine Erhöhung der Lohnbeiträge von 1,4 auf 1,5% bringen, über eine Milliarde ein Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,8 %.
Das Parlament will die Abstimmung vom 24. September über die KOSA-Initiative «Nationalbankgewinne für die AHV» abwarten. Lehnt der Souverän die Initiative ab, werden die sieben Milliarden des Bundes aus dem Erlös des Nationalbankgoldes dem AHV-Fonds gutgeschrieben, der heute durch die rund ebenso hohen Schulden der IV belastet wird.
swissinfo und Agenturen
Im Jahr 2004 erhielten 5,2% der aktiven Bevölkerung eine Invalidenrente – 1992 waren es noch 3,2%.
2005 hat die IV einen Verlust von 1,738 Mrd. Franken ausgewiesen.
Würde diese Entwicklung mit einem geschätzten Verlust von jährlich 1,5 Mrd. Franken weitergehen, wäre die Versicherung im Jahr 2011 insolvent.
Die Invalidenversicherung ist Teil des schweizerischen Sozialversicherungs-Systems und wurde 1959 beschlossen.
Sie ist für alle in der Schweiz wohnhaften Personen obligatorisch.
Sie wird mit Lohnabzügen von 1,4% finanziert und vom Bund zusätzlich finanziert.
Seit Anfang der 1990er-Jahre steckt sie wegen der stark angestiegenen Zahl an IV-Bezügern in den roten Zahlen.
Die Landeregierung wollte die IV mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt sanieren.
Das Stimmvolk hat das Begehren am 14. Mai 2006 abgelehnt.
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