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Jimmy Carter: Von Camp David zum Genfer Abkommen

Ex-Präsident Jimmy Carter kritisiert die einseitige Nahost-Politik der Bush-Regierung. Keystone

Der frühere US-Präsident Jimmy Carter unterstützt die Genfer Nahost-Initiative.

Die symbolische Vereinbarung zwischen Israelis und Palästinensern könnte der von den USA unterstützten «Road Map» neuen Impuls verleihen, erklärt er im Gespräch mit swissinfo.

Dazu müsste die Regierung Bush allerdings ihre als pro-israelisch empfundene Haltung mässigen, sagt der Friedens-Nobelpreisträger 2002. Der Nahe Osten brauche jetzt ausgewogene Vorschläge, so Carter.

Hinter dem symbolischen Friedensvertrag stehen eine Reihe israelischer und palästinensischer Persönlichkeiten. Die Schweizer Regierung hatte die Friedensbemühungen finanziell und logistisch unterstützt.

Die inoffizielle Friedens-Vereinbarung, die am 1. Dezember in Genf öffentlich lanciert wird, ist bei der israelischen Regierung und jüdischen Gruppen aber auch bei palästinensischen Fraktionen auf vehemente Kritik gestossen.

swissinfo: Herr Präsident Carter, was hat Sie dazu bewegt, der Einladung der Schweiz zu folgen und für die Unterzeichnungs-Zeremonie nach Genf zu reisen?

Jimmy Carter: Beim Carter-Zentrum werden wir seit Jahren über die gute Arbeit jener Leute auf dem Laufenden gehalten, die hinter der Vereinbarung stehen. Während der letzten Monate waren wir zudem mit einem eigenen Vertreter an den Verhandlungen zugegen.

Zudem war ich sehr entmutigt und enttäuscht, weil es im Friedensprozess im Rahmen der so genannten «Road Map» keine Fortschritte gab. Israelis und Palästinenser haben keinen Schritt in Richtung Frieden gemacht. Insbesondere geht der Siedlungsbau weiter.

Was die Genfer Vereinbarung nun vorsieht, ist ganz und gar kompatibel mit dem Ziel der «Road Map» und dem Oslo-Abkommen von 1993.

swissinfo: Gewisse Kreise haben die Rolle der Schweiz als Initiantin und Fördererin des Abkommens kritisiert, vor allem auch Israels Regierung. Darf sich ein Staat wie die Schweiz bei der Suche nach einer Lösung für diesen Konflikt einbringen?

J.C.: Wir sind der Schweiz sehr dankbar. In dem Zusammenhang: Die Oslo-Verträge waren ein wichtiger Schritt Richtung Frieden – und sie waren fast allein durch den Einsatz Norwegens zu Stande gekommen, ohne viel Unterstützung der USA.

swissinfo: Auch der frühere Präsident Bill Clinton wurde von der Schweiz eingeladen, hat bisher aber nicht zugesagt. Die Regierung Bush wird abwesend sein. Halten Sie es für wichtig, dass Clinton und die Regierung Bush bei der Unterzeichnung dabei wären?

J.C.: Ja, ich wünschte mir sehr, sie wären dabei. Ich bin zumindest froh, dass die Regierung Bush das Genfer Abkommen nicht verurteilt hat. Meiner Ansicht nach wird die Vereinbarung sowohl in Israel als auch anderswo zunehmend auf Unterstützung treffen.

swissinfo: Befürworter des Genfer Abkommens weisen darauf hin, dieses baue in grossen Zügen auf den Vorschlägen, die der damalige US-Präsident Clinton im Jahr 2000 in Camp David Ehud Barak und Jassir Arafat vorgelegt hatte. Stimmt das?

J.C.: Es ist eine Weiterführung von Camp David. Es ist so: Aus Sicht der Palästinenser waren die damaligen Vorschläge unakzeptabel. Jassir Arafat hätte politisch nicht überlebt, wenn er diesen Vorschlägen zugestimmt hätte. Unter anderem, weil ein grosser Teil der Siedlungen im Gaza-Streifen und im Westjordanland aufrecht erhalten worden wären.

Auch gab es keine wirklichen Lösungen in der Flüchtlings- und der Jerusalem-Frage. Aber Camp David war eine Basis, und das Genfer Abkommen ist eine Weiterführung aller früher geschlossenen Abkommen.

swissinfo: Die Urheber des Genfer Abkommens erklären, das Dokument greife alle Bereiche auf. Auch besonders strittige wie Siedlungen, Flüchtlinge, Umrisse eines palästinensischen Staates und den Status von Jerusalem. Wie beurteilen sie den Text des Abkommens? Was sind seine Stärken, was seine Schwächen?

J.C: Generell würde ich von einem positiven Schritt sprechen, der beiden Seiten Konzessionen abringt. So hängen die Dispositionen zur Rückkehr von Flüchtlingen von der Zustimmung der israelischen Regierung ab.

Auch in der Siedlungs-Frage gab es Bewegung: Erstmals ist vorgesehen, dass Siedler in ihren Häusern auf palästinensischem Territorium bleiben könnten. Daneben würden die am tiefsten auf palästinensischem Boden liegenden Siedlungen, die sowieso illegal sind, versetzt.

swissinfo: Ist das Genfer Abkommen unter den heutigen Umständen das Beste, dass man erreichen kann?

J.C.: Ja, es ist das Beste, was derzeit möglich ist, und es ist sehr schwierig, die entsprechenden Zugeständnisse zu machen.

swissinfo: Wenn man die Lage vor Ort betrachtet, scheint die Umsetzung der vom Nahost-Quartett (USA, Russland, EU und UNO) eingebrachten «Road Map» nicht vom Fleck zu kommen. Was braucht es, um aus der Sackgasse heraus zu kommen?

J.C.: Das Genfer Abkommen ist absolut kompatibel mit dem Schlussziel der «Road Map». Es war die schrittweise Umsetzung, die der «Road Map» den Todesstoss versetzt hat.

Die israelische Regierung war nicht dazu bereit, den ersten Schritt zu tun, nämlich Siedlungen abzubauen, und hat damit die Gewalt auf palästinensischer Seite angespornt. Das Genfer Abkommen, so glaube ich, führt uns ein Bild des Machbaren vor Augen.

swissinfo: In der Schweiz wie in andern westeuropäischen Ländern ist die Meinung weit verbreitet, dass die Nahost-Politik der USA nicht eben ausgewogen sei, dass Washington Israel den Palästinensern gegenüber vorziehe, besonders seit Amtsantritt von Präsident Bush. Teilen Sie diese Meinung?

J.C.: Präsident Bush ist der erste amerikanische Präsident seit der Gründung Israels, der eine klar pro-israelische Politik vertritt. Die Lage seiner Vorgänger, die jedes Mal kritisiert wurden, wenn sie entweder die Nahost-Politik ihres eigenen Landes oder die der israelischen Regierung rügten, war nicht einfach gewesen.

Was der Nahe Osten jetzt braucht, sind ausgewogene Vorschläge. Leider hat Präsident Bush bisher fast immer die Position des israelischen Premiers Ariel Scharon eingenommen, oder hat, wenn Scharon sich weigerte, Aufforderungen der USA nachzukommen, nicht hingeschaut, was Israel dann stattdessen tat.

Es gab nur ein paar schwache Erklärungen der Bush-Regierung im Zusammenhang mit den Siedlungen und dem Sicherheits-Zaun, aber keine wirklichen Bemühungen, mehr zu tun.

swissinfo-Interview, Marie-Christine Bonzom in Washington
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter reist auf Einladung der Schweiz für die Unterzeichnungsfeier des Genfer Abkommens, des inoffiziellen Nahost-Friedensplanes, in die Schweiz.

Der Friedens-Nobelpreisträger 2002 unterstützt das Genfer Abkommen, das von der Schweiz finanziell und logistisch gesponsert wurde.

Im Gespräch mit swissinfo bezeichnet Carter das Abkommen als kompatibel mit dem Ziel der «Road Map» und den Oslo-Verträgen von 1993. Er sieht in ihm eine Weiterführung von Camp David.

Nach Ansicht Carters braucht der Nahe Osten jetzt ausgewogene Vorschläge. Er kritisiert die klar pro-israelische Politik der Bush-Regierung.

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