Junge Ausländer bleiben Fremde
Das Schweizer Stimmvolk erteilte den beiden Vorlagen für die erleichterte Einbürgerung von jungen Ausländerinnen und Ausländern und der Postinitiative eine Abfuhr.
Angenommen wurde hingegen der Mutterschafts-Urlaub. Der Graben zwischen den Sprachregionen ist so ausgeprägt wie selten.
Nein zur erleichterten Einbürgerung junger Ausländerinnen und Ausländer, Ja zum Mutterschafts-Urlaub und Nein zur Volksinitiative «Postdienste für alle». Dies ist das Fazit der eidgenössischen Volksabstimmung vom Wochenende.
Der negative Entscheid des Souveräns zu den Einbürgerungs-Vorlagen werde respektiert. Das Volk habe das Recht, Nein zu stimmen, sagte ein wortkarger Justizminister Christoph Blocher am Sonntag vor den Medien.
Mit Freude reagierte Sozialminister Pascal Couchepin auf das Ja zum Mutterschafts-Urlaub. Im vierten Anlauf sei dank parteipolitisch breit abgestütztem Engagement der Wirtschaftsorganisationen und dank der Entwicklung der Lebensauffassungen ein altes Projekt gelungen: «So kann man das Land voranbringen.»
Kommunikationsminister Moritz Leuenberger schliesslich stellte fest, dass das Nein zur Post-Initiative es erlaube, den geplanten Umbau der Post voranzutreiben.
Die Abstimmungskampagne sei ein «Spiegelgefecht» um den Service public gewesen. Es gehe darum, die neue Post in einem sozialverträglichen Tempo zusammen mit den betroffenen Gemeinden zu gestalten.
Ja in der Romandie, Nein in der Deutschschweiz
Die beiden Einbürgerungsvorlagen scheiterten am Volks- und am
Ständemehr. Die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer der zweiten Generation wurde mit knapp 57% Nein-Stimmen abgelehnt.
Die automatische Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation wurde mit knapp 52% Nein-Stimmen verworfen.
Ja-Mehrheiten ergaben sich lediglich in den Westschweizer Kantonen und in Basel-Stadt sowie bei der zweiten Vorlage auch im Kanton Bern.
Damit ist die erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer schon im dritten Anlauf gescheitert. 1983 und 1994 hatte das Stimm-Volk entsprechende Bundesbeschlüsse an der Urne verworfen, jener von 1994 scheiterte am Ständemehr.
Mutterschafts-Urlaub dank Westschweiz
Die Einführung einer Mutterschafts-Versicherung über die Revision der Erwerbsersatz-Ordnung haben gut 55% der Stimmenden gutgeheissen.
Zustimmende Mehrheiten fand die Vorlage aber nur in der Westschweiz und im Tessin sowie in Zürich, Bern und den beiden Basel.
59 Jahre nach der Verankerung in der Bundes-Verfassung und im vierten Anlauf innerhalb von 20 Jahren erhalten erwerbstätige Frauen damit einen bezahlten Mutterschaftsurlaub von 14 Wochen.
Die Volksinitiative «Postdienste für alle» wurde mit 50,2 Nein-Stimmen hauchdünn verworfen. Die Initiative der Gewerkschaften scheiterte jedoch auch am Ständemehr.
Nur in der Westschweiz und im Tessin sowie in Graubünden, Uri und Basel-Stadt wurde die Initiative angenommen.
Die mittlere Stimmbeteiligung war mit 53,2 Prozent überdurchschnittlich hoch und so stark wie nie mehr seit der Abstimmung vom März 2002 über den UNO-Beitritt.
Graben auch zwischen Stadt und Land
Selten war der Unterschied im Abstimmungsverhalten zwischen der Romandie und der Deutschschweiz so tief wie an diesem Wochenende. Aber auch der Stadt-Land-Graben spielte nach Einschätzung des Politologen Werner Seitz eine Rolle – besonders beim bezahlten Mutterschafts-Urlaub.
Ähnlich grosse Unterschiede zwischen den Sprachregionen gab es laut Seitz vom Bundesamt für Statistik im Jahre 1992 beim Beitritt zum EWR sowie 1999 bei der Mutterschaftsvorlage.
«Zahlen und Arbeiten, aber nicht Schweizer werden»
«Es wird kalt in der Schweiz», so titelt die Eidgenössische Ausländerkommission (EKA) ihre Mitteilung zu den abgelehnten Einbürgerungsvorlagen. Sie sei zutiefst enttäuscht.
Bedauerlich sei die negative Entscheidung vor allem wegen der vielen gut integrierten ausländischen Jugendlichen. Ihnen werde vor allem auch durch die Hetzkampagne das Gefühl vermittelt, nicht willkommen zu sein.
Angewidert hat die IG Secondas, die Organisation der jungen Ausländerinnen und Ausländer, auf das Nein zu den Einbürgerungsvorlagen reagiert. Das Verdikt bedeute «ihr dürft hier zahlen und arbeiten, Schweizer werden aber nicht».
«Tabuthema Ausländer»
Für den Präsidenten der SVP, Ueli Maurer, hingegen ist das Nein ein Signal gegen das Schönreden von Problemen. Die anderen Parteien könnten das Tabuthema Ausländer nun nicht mehr unter dem Deckel halten.
Vom Nein sei er positiv überrascht, sagte Maurer am Sonntag weiter. Er hätte dieses Resultat nicht erwartet. Es zeige deutlich, dass man sich in der Schweiz nur noch getraue, hinter vorgehaltener Hand über Ausländerprobleme zu reden.
Für FDP-Präsident Rolf Schweiger sind die Einbürgerungs-Vorlagen gescheitert, weil die Politik die Befindlichkeit weiter Kreise in der Bevölkerung zu wenig beachtet habe. Die Ablehnung sei nicht in einem mangelnden Engagement der Befürworter begründet.
Die SP bedauert die Ablehnung der beiden Einbürgerungsvorlagen. Besonders traurig stimme, dass die fremdenfeindliche und hetzerische Kampagne aus SVP-Kreisen offenbar wirkte und Unentschlossene zu einem Nein bewog.
Für die CVP bleibt die Integration auf der Traktandenliste. Die Partei wolle sich darum bei der Beratung des Ausländergesetzes für gezielte Zuwanderung einsetzen.
swissinfo und Agenturen
Erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer der zweiten Generation: 56,8% Nein-Stimmen.
Automatische Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation: 51,6% Nein-Stimmen.
Bezahlter Mutterschafts-Urlaub für erwerbstätige Frauen: 55,4% Ja.
Volksinitiative «Postdienste für alle»: 50,2% Nein.
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