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Kampf gegen «Eheverbot» für Sans-Papiers

Bund fürs Leben: Für Papierlose kann der Weg bis dahin dornenvoll sein. imagepoint

Die Initiative "Scheinehen unterbinden" bedeute praktisch ein Eheverbot für Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben. Dies kritisiert die Plattform für die Sans-Papiers.

Vor vier Jahren hatte das Volk an der Urne die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verlangte Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts gutgeheissen.

Jetzt will die Rechtspartei die Schraube weiter anziehen. Mit einer parlamentarischen Initiative will Parteipräsident Toni Brunner Scheinehen zwischen Ausländern ohne legalen Aufenthaltsstatus und Schweizer Partnern verhindern.

Darin wird verlangt, dass ausländische Brautleute vor der Eheschliessung zwingend ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachweisen müssen.

Verfassung verletzt…

Eine solche Änderung im Zivilgesetz (ZGB) würde das verfassungsmässige Grundrecht auf Heirat und Familie verletzen, kritisierte Anne-Catherine Menétrey, scheidende Präsidentin der Plattform für die Sans-Papiers. «Es wäre ein praktisches Eheverbot für Paare, von denen ein Partner keine Aufenthaltsbewilligung hat.»

Einige Kantone verlangten bereits heute einen solchen Nachweis, so die ehemalige Nationalrätin. «Für Paare, die sich lieben und teilweise bereits Kinder haben, bedeutet dies der Beginn eines täglichen Kampfes.» Das könne nicht nur für Papierlose zu kafkaesken Situationen im Verkehr mit Zivilstandsamt und Einwohnerkontrolle führen, sondern auch für legal in der Schweiz lebende Ausländer, involvierte Schweizer Partner sowie allfällige Kinder.

…und Kinderrechte

Denn die Gesetzesänderung würde laut Menétrey nicht nur die Eheschliessung, sondern auch die Anerkennung gemeinsamer Kinder sowie die Familienzusammenführung betreffen. Werde zum Beispiel der Vater weggewiesen, verlören Kinder ihr durch eine UNO-Konvention garantiertes Recht auf ein Zusammenleben mit ihren Eltern.

Ein zwingender Nachweis eines rechtmässigen Aufenthaltsverhältnisses bedeute ebenfalls, dass sich ehewillige Papierlose bei der Einwohnerkontrolle selbst denunzieren müssten, sagte Myriam Schwab, Mitarbeiterin der Sozialzentren der protestantischen Kirche im Kanton Waadt. Dazu kämen teils schikanöse Behandlung durch Ämter und Behörden. Dazu gehörten falsche Informationen, die Zurückweisung der vorgelegten Papiere als ungenügend oder die Avisierung der Polizei.

Hürdenlauf zum Visum

Der Weg zum Besitz eines Einreisevisums als «Türöffner» kann laut Schwab zu einem langen und teuren Lauf über hohe Hürden werden. In den Entscheid sind Botschaften, Einreisebehörden und Fremdenpolizei involviert, «auf den vielen Stationen gibt es ebenso viele Gründe, die Erteilung eines Visums abzulehnen», so Schwab.

Als Beispiel nannte sie den Fall einer Afghanin, welche für den Behörden-Marathon in ihrem Land und Pakistan über eineinhalb Jahre brauchte, ehe sie zu ihrem in der Schweiz lebenden Ehemann reisen konnte.

Um das Risiko einer langen Trennung zu vermeiden, unternähmen Paare deshalb alles, um in der Schweiz zu heiraten. «Alle, die schon einmal verliebt waren, können das verstehen», sagte Schwab.

Schlechte Aussichten

Der Kampf gegen die Verschärfung wird nur schwer zu gewinnen sein. Das wissen auch die Vertreter der Plattform für die Sans-Papiers. Nicht nur die Schweizer Regierung hat den Scheinehen den Kampf angesagt, sondern auch die bürgerlichen Parteien verfolgen dieses Ziel.

Zudem hat eine Mehrheit der vorberatenden Kommission des Nationalrats (grosse Parlamentskammer) dem Plenum jüngst beantragt, die Verschärfung anzunehmen. Am Mittwoch debattiert der Nationalrat darüber. Mit dem Ja der kleinen Kammer rechnet die Plattform im September.

Bisher hätte die Organisation in Verhandlungen mit den Behörden die Hindernisse in den meisten Fällen ausräumen können, so dass die Brautleute schlussendlich heiraten konnten. «Wird aber die Ausnahme – die Verhinderung der Ehe – zur Regel, ist das verfassungsmässige Recht auf Ehe nur noch Sand in den Augen», sagt Myriam Schwab.

swissinfo, Renat Künzi

In der Schweiz leben zwischen 80’000 und 300’000 Papierlose. Zu dieser Zahl kam 2004 eine Studie des Bundesamts für Migration.

Das Forschungsinstitut gfs.bern rechnet mit einer Zahl von 90’000 (Fehlerquote plus/minus 10’000).

Allein der Kanton Waadt weist laut Behördenschätzung 12’000 bis 15’000 Sans Papiers auf, Genf rechnet mit 8000 bis 12’000.

Die meisten stammen aus Südamerika, Ex-Jugoslawien, der Türkei/Kurdistan sowie den ehemaligen Ländern Osteuropas.

Die meisten Papierlose sind in den Branchen Bau, Gastgewerbe, Landwirtschaft und Haushalt beschäftigt.

Die Gefahr der Ausbeutung ist für Papierlose besonders gross. Es sind Fälle bekannt, wo Haushaltshilfen zwischen 150 und 200 Stunden im Monat arbeiteten, zu einem Lohn von 1200 bis 1500 Franken.

Der sozialdemokratische Nationalrat Eric Voruz ist neuer Präsident der Plattform zu den Sans-Papiers. Er ist Stadtpräsident von Morges im Kanton Waadt.

Voruz löst die ehemalige Nationalrätin für die Grünen Anne-Catherine Menétrey ab.

Die Plattform wurde vor rund sechs Jahren von Parlamentariern und Vertretern von Gewerkschaften, Kirchen und Hilfswerken gegründet.

Mit ihrer Arbeit hat sie die Problematik der Papierlosen in der Schweiz in die Öffentlichkeit gerückt.

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