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Olympia 2026 oder keine Medaille für Bündner Demokratie

Die Schweizer Skirennfahrerin Lara Gut feiert im März 2016 im Zielraum von St. Moritz den Gewinn der kleinen Kristallkugel im Super-G-Weltcup. Ob der Skistar 2026 am selben Ort um Olympische Medaillen fahren kann, entscheiden die Bündner am 12. Februar. Keystone

Eine Podiumsveranstaltung mit vollzähliger Kantonsregierung, aber keinem einzigen Gegner, Steuergelder, die in die Abstimmungskampagne fliessen, ein Bewerbungsdossier, das bis kurz vor dem Urnengang geheim gehalten wird: Die Kampagne der Promotoren einer Kandidatur für Olympische Winterspiele 2026 in Graubünden, die am 12. Februar zur Abstimmung kommt, dient kaum als Lehrstück in guter Demokratie.

Dieser Beitrag ist Teil von #DearDemocracy, der Plattform für direkte Demokratie von swissinfo.ch.

Die spannendste Abstimmung vom 12. Februar 2017 auf lokaler Ebene findet in den verschneiten Bergen statt: Im Kanton Graubünden stimmen die Bürgerinnen und Bürger über eine Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2026 ab. Genauer: Über einen Projektkredit für eine Kandidatur in der Höhe von 25 Mio. Franken.

Diese Abstimmung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Sie kommt nur vier Jahre, nachdem die Bündnerinnen und Bündner Olympische Winterspiele in ihrem Kanton eine deutliche Abfuhr erteilt hatten. Damals ging es um eine Kandidatur für die Spiele 2022.

Jetzt versuchen Regierung und Wirtschaftsdachverband des Kantons erneut, den drittgrössten Sportanlass der Welt in die Bündner Berge zu bringen. Die Ziele sind dieselben wie 2013: Die Belebung des Tourismus und der lokalen Wirtschaft sowie die Modernisierung der Infrastruktur.

Doch etwas ist diesmal anders: Die Kampagne der BefürworterExterner Link ist, zurückhaltend ausgedrückt, aus demokratie-praktischer Sicht etwas «eigenartig». Da gab es eine Podiumsveranstaltung, an der die fünfköpfige Kantonsregierung vollzählig vertreten war. Gegner? Fehlanzeige. Dafür komplettierten zwei Sportler das 100%-Ja-Podium. Eine Debatte zur Meinungsbildung mit Pro und Kontra sieht anders aus. Sein Missfallen darüber ausgedrückt hatte unter anderem Jon Pult, ein Wortführer der Olympia-Gegner mit diesem Tweet:

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Dazu rief der Wirtschaftsdachverband die Gemeinden in den weitverzweigten Tälern auf, sich finanziell an der Ja-Kampagne zu beteiligen. Einige, aber nicht alle Kommunen, folgten dem Ruf. Was nichts anderes bedeutete, als dass die Ja-Kampagne mit Steuergeldern finanziert wurde – ein «No-Go» in einer gutfunktionierenden Demokratie. Die Kantonsregierung, deckungsgleich mit der Spitze der Befürworter, sprich Partei, wies eine rechtliche Beschwerde der Gegner gegen eine öffentliche Finanzierung ab. Stärkste Kraft im Gegner-LagerExterner Link sind die Sozialdemokraten.

Details unter Verschluss gehalten

Weiterer Punkt wider gute Demokratie-Praxis: Die Befürworter lüfteten das Geheimnis um das Bewerbungsdossier erst weniger als einen Monat vor der Abstimmung. Und verhinderten somit eine längere, informierte öffentliche Debatte über Vor- und Nachteile des Konzepts. Wie sie vor vier Jahren in ein klares Nein gemündet hatte. Was ins Gewicht fällt: Die Veröffentlichung erfolgte erst, als die Gegner auf Einhaltung des Öffentlichkeits-Gesetzes pochten.

Zu guter Letzt wollten die Bündner Promotoren mit dem Argument punkten, dass sie die Stadt Zürich mit ins Boot genommen hätten, sprich, einzelne Wettbewerbe dort stattfinden könnten. Nur wussten die Zürcher offenbar nicht offiziell von diesem Plan. Und stellten öffentlich klar, dass die Limmatstadt 2026 nicht Austragungsort sein würde.

Das sind etwas gar viele Flecken im Reinheft einer Kandidatur für Olympische Spiele. Denn in der Schweiz muss eine solche immer noch von der Mehrheit der Lokalbevölkerung unterstützt werden. Dies im Gegensatz zu prekären Demokratien wie Brasilien oder gar autoritär geführten Staaten wie Russland.

Grosse Vorbehalte des Demokratie-Spezialisten

Andreas Glaser, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich sowie Direktor des Zentrums für Demokratie in Aarau (ZDA)Externer Link, kritisierte die Kampagne der Befürworter. Die Regierung spielte bei kantonalen Abstimmungen eine besondere Rolle. Zum einen müsse sie Stellung nehmen, zum andern aber auch besonders darauf achten, dass Pro und Kontra ausgewogen zum Zuge kämen, sagte Glaser am Schweizer Radio SRF.

Dass bei einem Olympia-Podium die Gegner nicht zu Worte kommen, die Regierung aber in Corpore auftritt, beurteilt er als «heikel». Entsprechend könnten Klagen gegen das Verhalten der Regierung durchaus Erfolg haben, schätzt Glaser. Wie auch solche gegen die Finanzierung der Abstimmungskampagne mit Steuergeldern. Dies insbesondere bei einem knappen Ausgang an der Urne.


Schreiben Sie dem Autor auf Twitter: @RenatKuenziExterner Link


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