Kein klares «Robotbild» des Bundesrats der Zukunft
An der am 22. September stattfindenden Doppelwahl in die Landesregierung wird es wahrscheinlich nicht zu radikalen Umwälzungen kommen. Dies lassen die aktuelle politische Situation und der Wahlmodus gar nicht zu. Voraussagen sind schwierig.
Die Wahl der Nachfolger oder Nachfolgerinnen der beiden Bundesräte, die im Sommer ihre Demission eingereicht haben, erscheint auf den ersten Blick als sehr offen. Dies lässt auf jeden Fall die Anzahl der Kandidaten – über zehn –vermuten.
Das wahrscheinlichste Szenario wird sein, dass die Vereinigte Bundesversammlung «weise wählt» unter den offiziellen Kandidierenden der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Freisinnigen Partei (FDP).
In der Schweiz werden die Mitglieder des Bunderates von der Bundesversammlung gewählt, der Vereinigung der beiden Parlamentskammern. Theoretisch kann jede Frau, jeder Mann mit Schweizer Staatsbürgerschaft für ein Regierungsamt kandidieren und gewählt werden. In Tat und Wahrheit besteht jedoch eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Volksvertreter die neuen Minister oder Ministerinnen aus ihren Reihen wählen.
Das erscheint auch logisch: Die Parlamentarier können so jene Persönlichkeiten wählen, die ihnen bekannt sind und sich unter der Bundeshauskuppel bereits bewährt haben.
Zwar wurden auch schon früher Mitglieder einer kantonalen Regierung direkt in den Bundesrat gewählt. Zum Beispiel die christdemokratische Justizministerin Ruth Metzler (1999-2003).
Solche Fälle bleiben jedoch die Ausnahme. Sie treten normalerweise nur dann auf, wenn die Partei, die Anspruch auf den den Ministerposten hat, einen Kandidaten aufstellt, der für eine Mehrheit des Parlaments nicht wahlfähig ist. Dies sollte bei der kommenden Wahl jedoch nicht der Fall sein. Die freisinnigen und sozialdemokratischen Kandidierenden sind bekannte und erfahrene Parlamentarier.
Die Wahl des «Tickets»
Bei jeder Wahl präsentieren die Parteien einen oder mehrere Kandidaten, die aufgrund eines internen Auswahlverfahrens nominiert wurden. Es ist jedoch nicht verboten, jemandem seine Stimme zu geben, der sich nicht auf einem offiziellen «Ticket» befindet.
Kandidatinnen der Sozialdemokratischen Partei passierte dies schon einige Male. Das bekannteste Beispiel ist die Wahl des Neuenburgers Francis Matthey 1993, der von der bürgerlichen Mehrheit des Parlaments der offiziellen SP-Kandidatin vorgezogen wurde. Unter dem Druck seiner Partei nahm er schlussendlich seine Wahl nicht an.
In jüngerer Vergangenheit wurde auch die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) mit diesem Phänomen konfrontiert. Im Jahr 2007 hat die Bundesversammlung nicht den bisherigen Bundesrat Christoph Blocher wiedergewählt, sondern Eveline Widmer-Schlumpf. Anders als Matthey nahm sie die Wahl an und wurde von der SVP deshalb aus der Partei ausgeschlossen.
Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass am 22. September ein solches Szenario Wirklichkeit werden wird. Auf der einen Seite ist keine oder keiner der Kandidierenden für die anderen Parteien ein «Schreckgespenst», das nicht wählbar wäre. Auf der anderen Seite vermindert der Fakt, dass je eine Person aus dem linken und dem rechten politischen Lager gewählt werden muss, die Gefahr von «schmutzigen Tricks» der einen oder anderen Seite.
Beibehaltung der Zauberformel
In der Schweiz werden die sieben Ministerposten nach einer ungeschriebenen Regel, der so genannten «Zauberformel», verteilt. Diese errechnet sich aus einer Aufschlüsselung, die in etwa der Wahlstärke der einzelnen politischen Kräfte entspricht.
Diese Verteilung ist nicht statisch. So hat etwa 2003 die Mehrheit der Parlamentarier beschlossen, der SVP einen zusätzlichen Sitz zu geben, nachdem diese zur stärksten Partei des Landes avanciert war. Dies geschah zum Nachteil der Christlichdemokratischen Partei CVP, der ein Sitz weggenommen wurde.
Materiell existiert kein Grund, den zweiten Sitz der SP und der FDP herauszufordern, welche die zweit-, resp. drittstärksten politischen Kräfte des Landes repräsentieren. Zwar stellen auch die SVP und die Grünen Kandidaten für diese Wahl, deren Chancen sind jedoch gering.
Die SVP, die stärkste politische Kraft der Schweiz, fühlt sich im Recht, einen zweiten Bundesratssitz zu beanspruchen. Die andern Parteien sagen jedoch, dass Eveline Widmer-Schlumpf als SVP-Mitglied gewählt worden sei. Dass der Parteiausschluss der Justizministerin zur Gründung einer Splitterpartei geführt habe, der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), ändere daran nichts.
Die Umweltschützer präsentieren gleich drei Kandidaten. Zugegeben, mit einem Wähleranteil von etwa 10% sind die Grünen die grösste Nicht-Regierungspartei. Aber ihre Bedeutung ist noch nicht so gross, um eine weitere Veränderung der Zauberformel zu rechtfertigen. Das könnte sich eines Tages ändern, sicherlich nicht vor den Parlamentswahlen im Herbst 2011, die eventuell zu einer Neuverteilung der Karten führen könnte.
Dieselben Unbekannten
Es ist eher schwierig, den Einfluss einiger Parameter vor dieser Wahl vorhersagen. Da wäre einmal der weibliche Faktor. Seit dem Eintritt der ersten Frau in die Landesregierung im Jahr 1984 hat diese Idee ihren Weg gemacht. Dies sieht man daran, dass die gegenwärtige Landesregierung mit drei Frauen besetzt ist. Wenn nun am 22. September eine oder zwei Frauen in den Bundesrat gewählt würden, wäre dies das erste Mal, dass in der Schweizerischen Regierung eine Frauenmehrheit bestünde. Ist das zum weitaus grösseren Teil aus Männern bestehende Parlament bereit, diesen Sprung zu wagen?
Auch die Kantonszugehörigkeit könnte eine Rolle spielen. Zwar wurde der Verfassungsartikel, laut dem ein Kanton nicht zwei Mitglieder der Landesregierung stellen darf, 1999 abgeschafft. Der aktuelle Bundesrat besteht zudem aus zwei Vertretern, die aus dem Kanton Zürich stammen. Es gibt kritische Diskussionen, ob nun zwei Berner gleichzeitig gewählt werden sollen. Werden die Parlamentarier bereit sein, Bern das zu geben, was sie Zürich bereits zwei Mal zugestanden haben?
Und dann ist da noch das Tessiner-Problem. Der italienischsprachige Teil des Landes stellt seit über einem Jahrzehnt kein Mitglied der Landesregierung mehr. Die berühmte Zauberformel sieht jedoch auch eine angemessene Verteilung der Sprachregionen vor. Derzeit setzt sich die Regierung aus fünf deutschsprachigen und zwei frankophonen Mitgliedern zusammen. Die Wahl eines italienischsprachigen Regierungsmitglieds würde das Gleichgewicht nicht stören, da die deutschsprachige Mehrheit des Landes auch in der Regierung dominant vertreten bliebe. Wie sensibel wird die Vereinigte Bundesversammlung auf dieses Problem reagieren?
Man sieht, auch wenn einige Elemente bereits ziemlich klar sind, wird die Wahl von einigen Unbekannten bestimmt. Dies macht es sehr schwierig, eine Vorhersage über die beiden künftigen Kabinettsmitglieder zu machen. Der Schleier wird am 22. September gelüftet.
Olivier Pauchard, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)
Die Christlichdemokratische Partei (CVP) hat beschlossen, keinen Kandidaten für die Wahl vom 22. September aufzustellen.
Die Partei hat ihren zweiten Sitz 2003 an die SVP verloren.
In Bezug auf den Wähleranteil befindet sich die CVP recht nahe bei der FDP. Sie könnte deshalb auch einen zweiten Sitz für sich beanspruchen.
Die CVP-Spitze ist jedoch der Ansicht, die Bedingungen für eine erfolgreiche Kandidatur seien momentan nicht erfüllt.
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