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Kirche will Ausschaffungsflüge nicht mehr begleiten

Ein Flugzeug überfliegt das Ausschaffungsgefängnis am Zürcher Flughafen. Keystone

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund lässt sein Mandat zur Begleitung von Ausschaffungs-Flügen durch neutrale Beobachter auslaufen. Die auf sechs Monate ausgelegte Pilotphase geht am 31. Dezember zu Ende. Wer diese Aufgabe übernimmt, ist unklar.

Als Mitgliedstaat des Dublin-Abkommens über Asylsuchende ist die Schweiz zum Einsatz von neutralen Beobachtern bei Zwangsausschaffungs-Flügen mit abgewiesenen Asylsuchenden verpflichtet.

Ausschaffungsflüge sind politisch umstritten. Vor allem seit dem Tod eines abgewiesenen Asylbewerbers aus Nigeria am Flughafen Zürich 2010, der zu einer vorübergehenden Suspendierung der Flüge geführt hatte.

Vor einigen Monaten wurden die Ausschaffungsflüge wieder aufgenommen und machten bald erneut Schlagzeilen: Eine Crew des Schweizer Fernsehens hatte Polizeibeamte gefilmt, die auf einen Mann einschlugen, der sich weigerte, das Flugzeug zu besteigen, mit dem er ausgeschafft werden sollte.

Mediation und Aufbau

Der Sprecher des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Simon Weber, erklärte gegenüber swissinfo.ch, der Kirchenbund habe mit dem Bundesamt für Migration einen auf sechs Monate befristeten Vertrag unterzeichnet. Das Mandat dauere bis zum 31. Dezember. Es sei nie geplant gewesen, dieses zu verlängern.

Im Rahmen des Mandats war der SEK zuständig für die Mediation zwischen den verschiedenen Interessensgruppen beim Aufbau eines Monitoring-Systems. Zudem war der SEK an der Rekrutierung und Ausbildung von fünf unabhängigen Beobachtern beteiligt, welche die Flüge begleiten und sicherstellen sollen, dass dabei die Grundrechte eingehalten werden.

«Was nach der Pilotphase geschieht, ist nicht mehr unsere Sache. Darüber müssen Sie mit dem Bundesamt für Migration sprechen», sagte Weber.

«Unsere Aufgabe war der korrekte Aufbau eines Beobachtungs-Systems. Das Monitoring muss unabhängig erfolgen, muss respektiert werden. Und dazu braucht es Vertreter aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft.»

Unabhängigkeit

 

Die fünf unabhängigen Beobachter wurden vom SEK und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) ausgewählt, mit Zustimmung des Bundesamts für Migration. Auch die Mandate der Beobachter werden Ende Jahr ablaufen.

Bei den zwei Frauen und drei Männer handelt es sich um zwei ehemalige Regierungsräte des Kantons Bern (Justiz- sowie Polizei- und Militärdirektion), eine Professorin für internationales Recht, einen ehemaligen Polizeikommandanten und einen ehemaligen Direktor einer Strafanstalt.

SFH-Generalsekretär Beat Meiner erklärte, damit der Prozess wirklich unabhängig bleibe, sei es wichtig, dass das Monitoring von Interessens-Gruppen aus der Zivilgesellschaft durchgeführt werde, und nicht etwa von Sicherheitsfirmen, die von Migrationsstellen angeheuert würden.

Meiner erklärte weiter, die Flüchtlingshilfe, die sich schon lange für eine Beobachtung bei Deportationsflügen einsetze, sei bereit, sich auch nach Ablauf der Pilotphase an dem Monitoring-Prozess zu beteiligen.

«Ich würde sehr gerne weitermachen damit. Und ich hoffe, dass nach der Pilotphase vermehrt andere Organisationen mitmachen werden, die sich mit Themen wie Menschenrechten und Asylsuchenden befassen. Denn so wie jetzt, nur wir und der Kirchenbund, das ist nicht genug «, erklärte Meiner.

Wie beim Kirchenbund, führte Meiner aus, gebe es auch bei der Flüchtlingshilfe Kritik aus den eigenen Reihen, von Leuten, die «denken, dass wir damit der Polizei helfen».

«Meiner Meinung nach ist diese Sicht der Dinge nicht sehr bedacht, denn Ausschaffungen werden erfolgen, mit oder ohne Monitoring – und es ist besser, wenn es einen Überwachungs-Prozess gibt», sagte Meiner.

«Unser Ziel ist klar: Wir wollen mithelfen, dass eine menschenwürdige Praxis angewendet wird.»

Auswertung

Nach Angaben des Bundesamts für Migration wurden seit Beginn der Pilotphase sechs Ausschaffungsflüge mit Beobachtern an Bord durchgeführt. Bis Ende Dezember dürften insgesamt rund 15 solcher Sonderflüge durchgeführt werden.

BFM-Sprecherin Anna-Maria Krajewska erklärte in einer E-Mail-Antwort auf Fragen von swissinfo.ch, der Entscheid über die definitive Methode des Monitorings werde nach Abschluss der Pilotphase Ende Jahr fallen.

Noch sei nicht entschieden worden, wer in Zukunft an der Umsetzung des Monitorings beteiligt sein werde.

«Beim Monitoring geht es spezifisch um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und um die Angemessenheit von staatlichen Aktionen im Kontext der grundsätzlichen Menschenrechte», erklärte Krajewska.

«Das Ziel der Pilotphase ist, zu prüfen, wie [ein Monitoring-System] in der Praxis umgesetzt werden kann, und die Bedingungen zur definitiven Einführung der Überwachung von Sonderflügen festzulegen.»

Meiner erklärte, bei einem ersten Treffen zur Auswertung der ersten überwachten Flüge, an dem alle Seiten teilgenommen hätten, sei es zu einer «freimütigen und offenen Diskussion» gekommen. Er sagte, er sei zuversichtlich, dass die Gruppe bis zum dritten und letzten Treffen zu sinnvollen Schlussfolgerungen kommen werde, wie ein permanentes Monitoring-System in Zukunft aussehen sollte.

Er zeigte sich optimistisch für die Zukunft eines Monitoring-Systems, die Pilotphase habe «gut angefangen». Die Präsenz von Beobachtern auf den ersten Sonderflügen habe dazu beigetragen, dass diese in einer ruhigeren Atmosphäre stattgefunden hätten.

«Schon allein die Präsenz eines Beobachters hat einen Einfluss. Sie verändert die Atmosphäre, die Lage», erklärte Meiner.

«Auch für die Polizeibeamten. Sie sind sich einerseits bewusst, dass jemand da ist, der überwacht, was sie tun. Und dies ist nicht nur gut für die Sicherheit der Deportierten, sondern auch für die Polizeibeamten, die einen Zeugen haben, falls ein Deportierter ihnen etwas vorwirft, das sie nicht getan haben.»

Die Schweiz suspendierte die Zwangsausschaffungs-Flüge, nachdem ein 29 Jahre alter Nigerianer bei den Vorbereitungen zu seiner Deportation im März 2010 auf dem Flughafen Zürich gestorben war.  

Im Juni 2010 wurden die Sonderflüge wieder aufgenommen, nachdem eine Autopsie ergeben hatte, dass der Mann an einer Herzkrankheit gelitten hatte, die kaum zu diagnostizieren war.

  

Die ersten Deportations-Flüge von Nigerianern wurden allerdings erst Anfang 2011 wieder aufgenommen, nachdem die Schweiz und Nigeria im November 2010 ein bilaterales Abkommen zu Rückübernahmen abgeschlossen hatten.

Nach Angaben des Bundesamts für Migration hatten im Jahr 2010 insgesamt 1969 Nigerianer in der Schweiz ein Asylgesuch eingereicht. Mehr als 700 darunter wurden an andere europäische Staaten überstellt, die im Rahmen des Dublin-Abkommens für diese zuständig waren.  

Im Juli 2011 machten die Zwangsausschaffungs-Flüge erneut Schlagzeilen, als eine Crew des Schweizer Fernsehens am Flughafen Zürich Polizeibeamte filmten, die einen Mann schlugen, der sich wehrte, als er das Flugzeug besteigen sollte.

Seit Anfang der Pilotphase mit unabhängigen Beobachtern sind sechs Ausschaffungsflüge durchgeführt worden. Bis Ende Jahr dürften es insgesamt rund 15 werden.

Zurzeit leben rund 25’000 Menschen als offiziell anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz.

Etwa 23’000 weitere Menschen erhielten einen temporären Flüchtlings-Status.

2010 hatten 15’567 Menschen in der Schweiz politisches Asyl beantragt, 2,7% mehr als im Jahr zuvor. Die meisten Gesuche kamen von Personen aus Nigeria (1969), Eritrea (1799), Sri Lanka (939) und Serbien (910).

Die Schweizer Behörden bearbeiteten im vergangenen Jahr mehr als 20’000 Asylgesuche, der Pendenzenberg umfasste noch mehr als 9000 Dossiers.

Weniger als eines von fünf Gesuchen wurde bewilligt (18%), fast ein Viertel der Asylsuchenden erhielt einen temporären Flüchtlingsstatus. Fast die Hälfte aller bearbeiteten Asylgesuche wurde abgelehnt und die Gesuchsteller aufgrund des Dublin-Abkommens an andere europäische Staaten überstellt.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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