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Klares Ja zu Sanierung der Arbeitslosenversicherung

Stellensuche: Junge Arbeitslose müssen künftig rascher handeln. Keystone

Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung werden gekürzt, die Lohnprozente erhöht. Das Stimmvolk hat mit 53,4% das Sanierungskonzept der Arbeitslosenversicherung gutgeheissen. Die welschen Kantone und das Tessin lehnten die Vorlage ab.

958’333 der Stimmenden folgten dem Bundesrat, den bürgerlichen Parteien und den Wirtschaftsverbänden, die das Sanierungskonzept befürworteten.

836’683 Stimmende teilten dagegen die Ansicht der linken Parteien und der Gewerkschaften, dass die Sanierung des Sozialwerks zu stark zu Lasten der Arbeitslosen geht.

Die Stimmbeteiligung fiel mit 35,5% vergleichsweise tief aus, liegt sie doch bei den meisten Abstimmungen über 40%.

Tiefer Röstigraben

Westlich der Saane und südlich des Gotthard wurde die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes anders beurteilt als in der Deutschschweiz. Mit Ausnahme von Basel-Stadt (50,4% Nein) stimmten alle Deutschschweizer Kantone der Vorlage zu.

Am höchsten war die Zustimmung in Appenzell Innerrhoden mit 73%. Doch auch in Kantonen mit grossen Agglomerationen, wie Zürich und Bern, lag die Zustimmung bei 60 respektive 54%.

In der französischen und italienischen Schweiz gab es dagegen durchwegs ein Nein. In den zweisprachigen Kantonen Wallis und Freiburg lagen die Nein-Quoten bei 55 respektive 56%. In der Waadt sagten 56% Nein, in Genf 60 und in Neuenburg 68%. Wuchtig verworfen wurde die Gesetzesänderung im Kanton Jura mit 76%.

Ein wichtiger Grund für den Röstigraben dürfte die höhere Arbeitslosigkeit in der Westschweiz und im Tessin sein. Mit Ausnahme der Kantone Freiburg und Wallis lagen in der lateinischen Schweiz die Arbeitslosenquoten letzten August deutlich über dem schweizerischen Mittel von 3,6%.

Zufriedene Regierung

Bundespräsidentin Doris Leuthard äusserte sich zufrieden über den Ausgang der Abstimmung. Die Mehrheit der Bevölkerung sei zum Schluss gekommen, dass die Revision nötig und ausgewogen sei, sagte die Volkswirtschaftsministerin.

Die Argumente der Kritiker nehme die Regierung jedoch ernst. Sie sei sich bewusst, dass es bei jedem Abbau in einer Sozialversicherung Betroffene gebe. «Es wird Härtefälle geben», sagte Leuthard.

Die neuen Regeln zur Arbeitslosenversicherung werden gemäss Leuthard im Verlauf des nächsten Jahres in Kraft treten. Das genaue Datum werde der Bundesrat an einer seiner nächsten Sitzungen festlegen.

Leuthard sprach auch den Röstigraben an. Viele Romands und Tessiner hätten die Vorlage abgelehnt, hielt sie fest. «Wir nehmen dieses Signal sehr ernst.» Ein Gleichgewicht zwischen Kantonen mit unterschiedlicher wirtschaftlicher Kraft sei wichtig.

Bürgerliche Parteien: «Bestätigung»

Erfreut reagierten auch die Vertreter der bürgerlichen Regierungsparteien. Freisinn (FDP), Christdemokraten (CVP) und die Schweizerische Volkspartei (SVP) nehmen den Erfolg für sich und ihre Politik in Anspruch. Die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) rief dazu auf, mit der Romandie sorgfältig umzugehen.

Mit dem Ja habe man das Ziel erreicht und eine Trendwende in der ALV-Problematik eingeläutet, sagte FDP-Präsident Fulvio Pelli.

CVP-Präsident Christophe Darbellay verspürte ob des Resultats nicht nur eine «grosse Befriedigung». Er bezeichnet es auch als «Sieg für die CVP, für Doris Leuthard und für die Politik der Mitte».

SVP-Präsident Toni Brunner wertete das Resultat als Erfolg seiner Partei. «Das Ja ist der SVP zu verdanken», der Abstimmungssonntag zeige, «dass es die SVP für sozialpolitische Vorlagen braucht».

SP verlangt Aufschub

Für die BDP ist das Nein in der Westschweiz ein Warnsignal: «Wir müssen sorgfältig mit der Romandie umgehen», gab BDP-Präsident Hans Grunder zu bedenken. Die Westschweiz sei stärker von der Wirtschaftskrise betroffen.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) bedauerte dagegen den Abstimmungs-Ausgang und machte die Angst vor steigengen Lohnabgabeprozenten für das Resultat verantwortlich. Um den Schaden für die wirtschaftsschwachen Regionen zu begrenzen, forderte die SP, die neuen Regelungen frühestens 2012 einführen.

Wirtschaft: Sparkurs gutgeheissen

Wie die Volkswirtschaftsministerin zeigten sich auch die Vertreter der Schweizer Wirtschaft durchwegs befriedigt. sahen sie sich doch durch das Verdikt in ihren Sparbemühungen bestätigt. «Die Stimmberechtigten haben erkannt, dass es falsch ist, die Schulden immer nur mit höheren Beiträgen zu tilgen», hiess es beim Wirtschaftsdacherverband economiesuisse.

Arbeitgeber-Direktor Thomas Daum sah in der Zustimmung eine Bestätigung der «Ausgewogenheit der Vorlage». Die Bevölkerung sei einverstanden mit Abstrichen bei den Einnahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung (ALV).

Auch die Gewerbe-Vertreter zeigten sich erfreut über das Ergebnis. «Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger unseres Landes haben sich nicht von der polemischen Propaganda der Linken blenden lassen und dem populistischen Abzockerargument eine deutliche Abfuhr erteilt», teilte der Schweizerische Gewerbeverband (sgv).

Gewerkschaften als Verlierer

Enttäuscht dagegen reagierten die Gewerkschaften. Die Schweiz überhöre die Hilferufe der Kantone, die stark von der Wirtschaftskrise betroffen seien, schrieb die Unia. Es sei bezeichnend, dass ausgerechnet die wirtschaftsschwachen Kantone die Vorlage verworfen hätten.

Die «Angstmacherei mit höheren Lohnabzügen» scheine gewirkt zu haben, so der Arbeitnehmerdachverband Travail.Suisse. Er forderte den Verzicht auf einen weiteren Abbau bis 2029 sowie Konjunkturpakete für besonders stark betroffene Gebiete.

Das Nein «ganzer Landesteile» deutet der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) als «Hilfeschrei» jener Regionen, die besonders von Arbeitslosigkeit betroffen seien. «Das muss der Bundesrat bei der Inkraftsetzung berücksichtigen: Die Leistungskürzungen dürfen erst dann erfolgen, wenn die Krise sicher überstanden ist und sich der Arbeitsmarkt deutlich erholt hat», fordert der SGB.

Die Abzüge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden von 2 auf 2,2% angehoben. Dies betrifft Einkommen bis 126’000 Franken.

Einkommen von 126’000 bis 315’000 Franken werden mit einem Solidaritätsbeitrag von 1% belastet, bis das ALV-Defizit behoben ist.

Bei einem Nein wären sie auf 2,5% gestiegen. Der Bundesrat ist gesetzlich zu einer Erhöhung der Abzüge verpflichtet, wenn die Schulden eine bestimmte Grenze überschreiten.

Für die ALV-Sanierung sind Einsparungen von 622 Mio. nötig.

Beitragspflichtige müssen neu während 18 Monaten Beiträge einzahlen, damit sie im Falle von Arbeitslosigkeit während 18 Monaten Arbeitslosengeld beziehen können. Bisher liegt die Beitragsdauer bei einem Jahr.

Für Schul- oder Studienabgang wird eine Wartefrist von 120 Tagen eingeführt. Für Personen ohne Unterhaltspflicht sind zusätzliche Wartetage vorgesehen.

Jugendlichen unter 25 Jahren werden die Taggelder von 400 auf 200 herabgesetzt.

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