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Konkordanz mit einem Denkzettel

Mit der Wahl des offiziellen SVP-Kandidaten Ueli Maurer hat sich das Parlament vor allem auch für die Konkordanz ausgesprochen. Maurers Kritiker verstehen das knappe Resultat auch als Denkzettel. - Ein Augenschein im Bundeshaus.

Die Frage ist: Wird Ueli Maurer gewählt oder der Thurgauer Hansjörg Walter, Sprengkandidat der Linken, der Grünen und des sozialen Flügels der Christdemokraten?

Beide sind Bauernlobbyisten, beide sind in der SVP. Maurer war als Parteipräsident ein verbaler Kraftmeier, polemisierte, verhöhnte Andersdenkende und vertrat während 12 Jahren kompromisslos und in kurzen Sätzen die harte Linie der Zürcher SVP.

Auf derselben Linie liegt der Mann, der es noch einmal wissen will, obwohl er genau weiss, dass er keine Chancen hat: Christoph Blocher, Maurers ehemaliger Chef.

Die Glocke läutet. Der abtretende, von seiner ehemaligen Partei, der SVP, jahrelang gemobbte Bundesrat Samuel Schmid wird verabschiedet.

Mit Tränen in den Augen sagt Schmid, grundsätzliche Polarisierung gehöre nicht zur schweizerischen Kultur. «Wenn gar Menschen ausgegrenzt und marginalisiert werden, muss sich im Demokraten Widerstand regen.»

Der Abgang Blochers

Der Widerstand gegen Blocher ist – ausser in seiner SVP – einheitlich. Keine Partei will ihn wählen. Er erwarte, dass die SVP im ersten Wahlgang geschlossen für Blocher stimme, um ihm so den «Abgang zu ermöglichen und zur Sachpolitik zurück zu kehren», erklärt der Fraktionspräsident der Christlichdemokratischen Volkspartei CVP, Urs Schwaller.

Schwallers Wille geschieht: Blocher zieht seine Kandidatur nach dem ersten Wahlgang zurück. Nach dem zweiten Wahlgang führt Walter mit einem hauchdünnen Vorsprung von zwei Stimmen vor Maurer. Dies, obschon Walter vorher erklärt hatte, er nehme die Wahl nicht an, wenn er gewählt werde.

Der Rechte soll es richten

Alle wissen: Der nächste Wahlgang ist entscheidend. «Es wird eng», diagnostiziert SVP-Nationalrat Hans Fehr. SVP-Fraktionschef Caspar Baader warnt, es sei wichtig, dass die grösste Partei nun in die Regierungsverantwortung eingebunden werde. «Wir haben gestern abend mit Hansjörg Walter geredet. Er sieht ein, dass er den Bauern schaden würde als Sprengkandidat.»

«Wir wollten einen rechten Politiker im Bundesrat», sagt SVP-Nationalrat Elmar Bigger. – Steht denn Walter zuwenig rechts? «Schauen sie doch, wie der abstimmt.» Bigger tröstet sich damit, dass «noch kein Parteipräsident in den Bundesrat gewählt worden ist».

Auch Oskar Freysinger schliesst eine Wahl Walters nicht aus. «Wenn er gewählt wird, ist die Konkordanz gebrochen», sagt er und kündet eine beinharte Oppositionspolitik an. «Etwas müssen wir ja machen», sinniert der SVP-Nationalrat.

SVP-Ideen wieder im Bundesrat

Wenige Minuten später. Maurer ist mit 122 Stimmen gewählt. Walter erreicht nur eine Stimme weniger. Der Saal leert sich. In der Wandelhalle warten die Journalisten, Kameras und Mikrophone. Sie belagern Maurer, Walter und Co.

Freysinger muss den Sinn in der Politik nicht mehr suchen: «Die SVP hat heute zweimal gewonnen. Unsere Bauern und Kleinunternehmer sind zufrieden, wieder einen Vertreter in der Regierung zu haben. Und Hansjörg Walter hat sein Wort gehalten.»

Walter beteuert zigmal, die Partei habe ihn nicht unter Druck gesetzt. «Es war mein Entscheid, eine allfällige Wahl abzulehnen.»

SVP-Präsident Toni Brunner freut sich, dass «Maurer nun die Ideen der SVP in den Bundesrat tragen kann. Ich traue ihm das auch zu.» Natürlich, relativiert Brunner, sei Maurer jetzt in eine Kollegialbehörde eingebunden und müsse auch die Positionen der Regierung vertreten.

Der Präsident der CVP, Christophe Darbellay, spricht von einem «schweren Amt» und davon, dass die SVP nun wieder «klar in der Regierungsverantwortung» stehe. Die Wahl Maurers bezeichnet er als «Bekenntnis zur Konkordanz mit einem Denkzettel».

Schutz der Familie vor Jagdhunden

Auch der Präsident der Grünen, Ueli Leuenberger, weist darauf hin, dass praktisch die Hälfte der Parlamentarierinnen und Parlamentarier Maurer nicht gewählt und damit «ihr Misstrauen» ausgedrückt hat.

Christian Levrat, Präsident der Sozialdemokraten, zeigt sich erfreut darüber, «dass Christoph Blocher endlich von der Szene verschwunden ist». Maurer müsse nun beweisen, dass er den «Wandel vom Parteipräsidenten zum Bundesrat» schaffe.

Zwei Stunden lang war die Miene des Gewählten angespannt. Jetzt lacht Bundesrat Maurer und verkündet staatsmännisch, er werde die Position der Regierung auch dann vertreten, wenn er anderer Meinung sei.

Frau und Kinder sind nicht da. «Ich habe meine Familie nicht hier nach Bern mitgenommen, weil ich sie vor all diesen Jagdhunden schützen wollte.»

swissinfo, Andreas Keiser

Zu Beginn jeder Legislatur wählt das neue Parlament die sieben Mitglieder der Schweizer Regierung. Dabei werden die Amtsinhaber bestätigt. Zur Neuwahl kommt es in der Regel nur nach einem Rücktritt eines Regierungsmitglieds.

In der Geschichte des Bundesstaats wurde erst viermal ein Magistrat nicht mehr wieder gewählt: 1854, 1872, 2003 und 2007.

Vor einem Jahr schaffte Justizminister Christoph Blocher die Wiederwahl nicht mehr. An seiner Stelle trat das damalige SVP-Parteimitglied Eveline Widmer-Schlumpf in die Regierung.

Kündigt ein Bundesrat seinen Rücktritt an, schlägt seine Partei Nachfolge-Kandidaten vor. Meist auf einem Zweierticket, damit das Parlament eine echte Wahl hat. In der Regel schafft einer der beiden Kandidaten den Sprung in den Bundesrat.

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