Kosovo: Die Revanche von Carla del Ponte
Der Europarat-Bericht, wonach Kosovos Ministerpräsident Hashim Thaci Chef einer mafiösen Organhandel-Organisation gewesen sein soll, ist für Carla del Ponte die Stunde der Revanche. swissinfo.ch-Exklusivgespräch mit der Ex-Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals.
«Es sind die Enthüllungen in meinem Buch ‹Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher›, die zu dieser Untersuchung geführt haben», betont die amtierende Schweizer Botschafterin in Buenos Aires im ersten Interview nach dem Bekanntwerden des vorläufigen Europarat-Berichtes, das sie exklusiv mit swissinfo.ch führte.
Laut dem Bericht soll die Kosovo-Befreiungsarmee UCK nach dem Kosovokrieg 1998-99 im Norden Albaniens Serben sowie einige Kosovo-Albaner in geheime Gefängnisse deportiert und sie dort unmenschlicher Behandlung ausgesetzt haben, bevor sie verschwanden.
Gemäss dem Bericht, den der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty für den Europarat verfasst hat, soll der damalige UCK-Chef und heutige Ministerpräsident Hashim Thaci in diese Verbrechen verwickelt gewesen sein. Weiter heisst es, Thaci sei Ende der 1990er-Jahre Boss einer mafiösen Organisation und in Organhandel, Auftragsmorde und andere Verbrechen verwickelt gewesen sei.
Ein Buch hat den Weg zur Gerechtigkeit gewiesen
Die erste Person, welche wegen diesen Verbrechen Alarm geschlagen hat, war die ehemalige Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien. In ihren Memoiren ‹Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher› zitierte Carla del Ponte Zeugen für die angeblichen Organ-Entnahmen bei 300 serbischen Gefangenen, die von Kosovo nach Nordalbanien deportiert worden waren.
Beim Gespräch mit swissinfo.ch am Dienstag in Buenos Aires erklärte die Schweizer Botschafterin in Argentinien, sie sei beunruhigt, aber gleichzeitig auch zufrieden über die «Gerechtigkeit», die jetzt angesichts dieser schrecklichen Taten folge.
«Im Frühjahr 2008 habe ich auf glaubwürdige Zeugenaussagen vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal über Deportationen und das Verschwinden von Personen in Kosovo 1999 hingewiesen. Es gab weitere Indizien, wonach einige dieser Opfern im Rahmen eines organisierten Handels mit menschlichen Organen getötet wurden.»
Diese Zeugenaussagen, die im Buch erwähnt sind, seien durch glaubwürdige, überprüfbare Indizien bestärkt worden. Diese seien während einer Mission von Fahndern des Kriegsverbrechertribunals und Angehörigen der UNO-Mission in Kosovo (UNMIK) auf dem Territorium der Republik Albanien ermittelt worden, so del Ponte.
Die Schweizer Diplomatin erklärt, sie habe diese Informationen in ihrem Buch erwähnt, um eine seriöse Untersuchung dieser Piste auszulösen. Und damit, falls alle Anklagen bewiesen werden könnten, den Straftätern der Prozess gemacht werden könne.
Wenn die Behörden nichts hören wollen…
«Diese Ermittlung konnte vom Kriegsverbrechertribunal nicht durchgeführt werden, weil sie ausserhalb dessen Zuständigkeit war. Die UNMIK und die lokalen Behörden von Kosovo und Albanien hätten aber die Kompetenz gehabt, dies zu tun», sagt Carla del Ponte.
«Ich weiss, dass es die Informationen in meinem Buch waren, die zur Untersuchung des Europarats geführt haben, dessen Vorbericht am Dienstag auf der Site des Rates veröffentlicht wurde.»
Die Ex-Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals ist dankbar dafür, dass der Europarat die Ermittlungen aufgenommen hat, trotz negativen Äusserungen von Ex-Mitgliedern des Tribunals.
«Die Untersuchung des Europarats ist die einzig glaubwürdige, die jemals von einem kompetenten Organ, lokal oder national, durchgeführt worden ist», betont del Ponte.
«Ich bin tief betroffen und schockiert über die Ergebnisse des Europarat-Vorberichts: die vorsätzliche Tötung von Gefangenen, um deren Organe zu entnehmen und damit einen lukrative Handel zu betreiben. Und das organisiert von ranghohen Mitgliedern der UCK, darunter Personen, die heute hohe Ämter in der Regierung Kosovos bekleiden.»
Die Botschafterin ist «erschüttert» über die Enthüllung des Berichtes, wonach Indizien zusammen mit weiteren Beweisen während der Mission der Rechtsstaatlichkeits-Mission der Europäischen Union im Kosovo (EULEX) in Albanien aus Sorglosigkeit vernichtet worden seien. Und dies, ohne das Kriegsverbrechertribunal zu informieren.
«Die Behörden von Kosovo sowie die Regierung und die Justiz der Republik Albanien haben keine einzige meiner Erklärungen in meinem Buch überprüft. Und jetzt haben sie die schweren Anklagen im Europarat-Bericht zurückgewiesen», sagt del Ponte.
Die Schuldigen müssen bestraft werden
«Ich flehe die Europäische Union EU, die USA, andere interessierte Länder und die UNO an, der EULEX in Kosovo jegliche politische Unterstützung sowie das nötige Material zu gewähren, um die Strafuntersuchung durchzuführen und alle Personen gerichtlich zu verfolgen, die verdächtigt sind, in diese Verbrechen verwickelt zu sein», sagt Carla del Ponte.
«Weiter bitte ich sie, alles zu unternehmen, damit das Gesetz befolgt und der illegale Handel mit Organen unterbunden wird, insbesondere die Organentnahme bei Menschen gegen deren Willen.»
Laut del Ponte ist es klar, dass die Welt ein besseres System zur Organabgabe von gesunden an kranke Menschen braucht, die dadurch überleben könnten.
«Aber die Verlotterung im Handel mit menschlichen Organen und die Weigerung der Leute zu glauben, dass Kriminelle sogar zur Tötung unschuldiger Menschen fähig sind, um ihnen Organe zu entnehmen und diese zu verkaufen, widerspiegelt vielleicht die Zurückhaltung von Medien und Justiz, diese Probleme ans Licht zu bringen.»
Carla del Ponte liegt es am Herzen, «dass sich die Anklagen des Europarats in einen Schrei verwandeln, damit die internationale Gemeinschaft alles unternimmt, um dieses Problem zu lösen».
«La caccia. Io e i criminali di guerra» (Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher) ist im Verlag Feltrinelli herausgekommen.
Carla del Ponte beschreibt darin ihre 8 Jahre als Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.
Sie jagte und verfolgte Kriegsverbrecher, die abscheuliche Gräueltaten begangen haben, und auch für Genozide verantwortlich sind.
91 von 161 ausgeschriebenen Personen wurden verhaftet oder stellten sich freiwillig.
Der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic sitzt in Den Haag vor Gericht, der bosnisch-serbische General Ratko Mladic ist noch flüchtig.
Der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic entging wegen seines Todes während des laufenden Prozesses einem Gerichtsurteil.
Geboren 1947 in Bignasco (Valle Maggia) im Tessin.
Sie studiert Internationales Recht in Bern, Genf und Grossbritannien.
1981 wird sie als Staatsanwältin für den Kanton Tessin berufen.
Sie geht kompromisslos vor gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Waffenschmuggel und grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität.
1989 entgeht sie nur knapp einem Sprengstoffanschlag.
1994 wird sie Bundesanwältin der Eidgenossenschaft.
1999 folgt sie auf Louise Arbour als Chefanklägerin der Internationalen Strafgerichtshöfe für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Sie tritt Ende 2007 zurück.
Seit Januar 2008 und noch bis Februar 2011 ist sie Botschafterin in Argentinien.
Die Schweiz hatte Kosovo bereits zehn Tage nach der Unabhängigkeits-Erklärung vom 17. Februar 2008 als neuen Staat anerkannt.
Auch hatte sie sich als eines der ersten Länder schon 2005 für die Unabhängigkeit des Landes ausgesprochen.
Zu der raschen Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch die Schweiz trug auch die grosse Zahl von Kosovaren in der Schweiz bei – heute sind es rund 170’000.
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
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