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Kosovo-Unabhängigkeitserklärung ist rechtens

Eine Lehrerin zeigt ihrer Klasse die neue Flagge des Kosovo. Keystone

Die 2008 erfolgte Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien verstösst nicht gegen das Völkerrecht. So lautet die Beurteilung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag. Die Schweiz ist besonders am Schicksal des Kosovos interessiert.

Zwar ist die Einschätzung des IGH, des höchsten UNO-Rechtsgerichts, für keine Seite bindend. IGH-Präsident Hisashi Owada zeigte sich bei der Vorstellung des Rechtsgutachtens dennoch überzeugt, dass dieses von grosser Bedeutung für die politische Zukunft der einstigen serbischen Provinz sei.

Owada sagte weiter, das internationale Recht kenne kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen. Zudem habe der Uno-Sonderbeauftragte für den Kosovo, Finnlands Ex-Präsident Martti Ahtisaari, seinerzeit ausdrücklich die Unabhängigkeit des Kosovo als einzigen möglichen Weg empfohlen.

Das Gutachten des Gerichts war von Unabhängigkeitsbewegungen auf der ganzen Welt mit grosser Spannung erwartet worden.

Bei den im Laufe des Verfahrens von den Richtern angehörten Stellungnahmen zahlreicher Länder ging es nicht immer nur um Kosovo und Serbien, sondern auch um die Interessen der jeweiligen Staaten.

So tendierten Länder, in denen es starke regionale Unabhängigkeitsbewegungen gibt, dazu, die Abspaltung des Kosovos für rechtswidrig zu erklären. So zum Beispiel China, das erklärte, kein Staat könne es akzeptieren, dass sich ein Teil ohne Konsens von ihm löse.

Andere Länder befinden, dass bei genozid-artigen Verfolgungen ein blosser Autonomiestatus im bisherigen Land kaum möglich sei (Selbstbestimmungsrecht).

Gemischte Reaktionen

Serbien will auch nach dem IGH-Rechtsgutachten weiter um die Rückkehr des Kosovos in seinen Staatsverband kämpfen. Das kündigte der serbische Aussenminister Vuk Jeremic im Belgrader Fernsehen aus Den Haag an:

«Wir werden niemals die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen», sagte der sichtlich enttäuschte Minister: «Vor uns liegen schwere Tage». Der «diplomatische Kampf» gehe weiter.

Die Kosovo-Spitze hat das Rechtsgutachten gefeiert. Die IGH-Entscheidung sei «weise», erklärte Staatspräsident Fatmir Sejdiu in Pristina. «Serbien hat seine Antwort erhalten und sollte unsere Unabhängigkeit anerkennen.»

Der Aussenminister des Kosovo, Skender Hyseni, erklärte, es sei nun an Serbien, auf den Kosovo zuzugehen. Gespräche könne es aber nur als gleichberechtigte Partner geben.

Besonderes Interesse der Schweiz

Die Schweiz hat die mit 10 zu 4 Stimmen getroffene Entscheidung der Richter in Den Haag begrüsst. «Wir betrachten das Gutachten als Chance für alle interessierten Kreise, einen Dialog aufzunehmen, um offenen Fragen, die sich aus der Unabhängigkeit des Kosovo ergeben, einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen», erklärte das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Dies sei für eine dauerhafte Stabilisierung sowie die demokratische und sozio-ökonomische Weiterentwicklung Südosteuropas auf dem Weg zur europäischen Integration von grosser Bedeutung.

69 Länder, darunter die Schweiz, die USA und 22 der 27 EU-Mitgliedstaaten, haben Kosovo den völkerrechtlichen Status zugestanden und das Land schnell anerkannt. Die Schweiz gehörte zu den ersten Ländern, die den neuen Staat anerkannten. Sie betreibt in der Hauptstadt Pristina auch eine diplomatische Vertretung.

Die Schweiz hat ein besonderes Interesse an Kosovos Schicksal und Stabilität, denn viele Kosovo-Albaner leben in der Schweiz. Bis Ende der 1980er-Jahre emigrierten Kosovaren auch aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz.

Diese bereits bestehenden familiären Bande waren der Grund, dass wegen den serbischen Vertreibungen ab den 1990er-Jahren auch politische Flüchtlinge die Schweiz wählten. Die Schweiz hat somit auch aus innenpolitischen Gründen (Ausländerpolitik) ein grosses Interesse an einer Stabilisierung im Kosovo.

«Unumkehrbare Unabhängigkeit» Kosovos

Der Kleinstaat Kosovo mit seiner mehrheitlich albanisch-stämmigen Bevölkerung stimmte 2008 mit grosser Mehrheit in einem Referendum für die Unabhängigkeit von Serbien, nachdem internationale Gespräche zum Status der Region gescheitert waren. Der Kosovo bezeichnet seine Unabhängigkeit als unumkehrbar.

Serbien, das die Region 1913 annektiert hatte und Kosovo als Wiege des serbischen Volkes sieht, kann sich mit einem unabhängigen Kosovo nicht abfinden und bezeichnet das Gebiet weiterhin als autonome Provinz.

2008 bat es deshalb die UNO-Vollversammlung, den Internationalen Gerichtshof IGH mit einem Rechtsguthaben zu beauftragen. Serbien erachtet die Unabhängigkeitserklärung als illegal, sie sei ein Bruch des Völkerrechts.

Nach dem Zerfall des von Serbien dominierten Jugoslawien 1990 hatte Serbien zuerst ab 1991 gegen Kroatiens, dann 1995 gegen Bosniens Unabhängigkeit Kriege geführt. Dabei kam es zu genozid-artigen Massakern (Srebrenica, Vukovar).

1998 folgte ein weiterer Krieg, diesmal gegen die Unabhängigkeit der Albaner im Kosovo. Die ehemalige serbische Provinz wurde nach den Kämpfen zwischen der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) und der jugoslawischen Armee (1998-99) sowie den darauffolgenden NATO-Luftangriffen von 1999 (ohne UNO-Mandat) unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt.

swissinfo.ch

Der IGH kann als «Weltgericht» in Den Haag in Streitfragen zwischen Staaten auf der Grundlage des Völkerrechts entscheiden.

Voraussetzung ist, dass die betroffenen Länder die Zuständigkeit des IGH akzeptiert haben.

Zudem erstellt das Gericht auf Antrag der Vereinten Nationen Gutachten zu zwischenstaatlichen oder internationalen Streitfragen.

Der IGH ist die Nachfolge-Instanz des 1922 vom Völkerbund gegründeten Ständigen Internationalen Gerichtshofs.

Die 15 Richter des IGH werden von der UNO-Vollversammlung und dem Sicherheitsrat für jeweils neun Jahre gewählt.

Seit seiner Gründung 1946 wurde der IGH mehr als 150 Mal angerufen. Urteile des «Weltgerichtes» sind für die beteiligten Prozessparteien rechtlich bindend.

Allerdings stehen dem IGH keine Machtmittel zur Durchsetzung seiner Urteile zur Verfügung.

Der Kosovo liegt auf dem westlichen Teil der Balkanhalbinsel. Er grenzt im Westen an Albanien, im Nordwesten an Montenegro, im Nordosten und Osten an Serbien und im Süden an die Republik Mazedonien.

Die parlamentarische Republik ist Mitglied im Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe.

Die Bevölkerung wird auf rund 2,1 Millionen Einwohner geschätzt. Die Albaner sind grösstenteil Sunniten, eine Minderheit ist katholisch. Die rund 5% Serben sind orthodoxe Christen.

Im europäischen Vergleich sind die Einwohner sehr jung: Das Durchschnittsalter liegt bei 25,9 Jahren.

Amtssprachen sind Albanisch und Serbisch.

Der Kosovo war Jugoslawiens rückständigstes Gebiet und ist bis heute kaum in die Weltwirtschaft integriert. Ein Grossteil der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft.

Zahlungsmittel ist der Euro, im Norden ist der serbische Dinar weit verbreitet.

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