Kosovo: UNO will Unabhängigkeit begutachten lassen
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag soll ein Gutachten über die Legitimität der international umstrittenen Unabhängigkeits-Erklärung des Kosovo erstellen. Dies hat die UNO-Vollversammlung in New York entschieden.
Die UNO-Vollversammlung überwies eine von Serbien eingebrachte Resolution. 77 der 192 UNO-Mitgliedsstaaten stimmten dem Antrag Belgrads zu, 6 lehnten ihn ab.
74 Staaten enthielten sich der Stimme, darunter die Schweiz, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien.
Der Gerichtshof in Den Haag muss nun die Frage klären, ob die einseitige Unabhängigkeits-Erklärung des Kosovo «in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht» erfolgte, wie es in der Resolution heisst. Der Abstimmung war eine intensive Debatte vorausgegangen.
Der Schweizer UNO-Botschafter Peter Maurer unterstrich nach der Abstimmung die Bedeutung der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und internationalem Recht für die Politik der Schweiz.
Diese habe daher auch den Gerichtshof schon seit seiner Gründung unterstützt. «Wir betrachten den Internationalen Gerichtshof als wichtiges Instrument für die friedliche Beilegung von Konflikten.»
Neue Unsicherheiten
Zudem engagiere sich die Schweiz für Frieden, Stabilität und die sozio-ökonomische Entwicklung der Region. Der Antrag für ein Gutachten des Gerichtshofes zum jetzigen Zeitpunkt könnte aber zu Unsicherheiten führen und die Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung schwächen.
«Auf Grund dieser Überlegungen enthielten wir uns der Stimme», begründete Peter Maurer die Haltung der Schweiz.
Die Schweiz habe im Februar nach sorgfältiger Überprüfung der internationalen Rechtslage wie zahlreiche andere Staaten entschieden, die Unabhängigkeit des Kosovos zu anerkennen.
«Wir sind daher überzeugt, dass auch der Internationale Gerichtshof nach einer Überprüfung aller Aspekte zum Schluss kommen wird, dass die Unabhängigkeits-Erklärung mit dem internationalen Recht in Einklang steht», sagte Maurer gegenüber swissinfo.
Der Schweizer UNO-Botschafter rief alle betroffenen Parteien auf, ihre «Bemühungen auf ihre politische und wirtschaftliche Zukunft in Europa auszurichten».
Frühe Befürworterin einer Unabhängigkeit
Die Schweiz gehört zu den bisher 48 Staaten, die den Kosovo seit der am 17. Februar 2008 einseitig erfolgten Unabhängigkeits-Erklärung anerkannt haben.
Die Schweiz hatte schon länger die mögliche Unabhängigkeit Kosovos in den Raum gestellt. 2005 hatte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey für Aufsehen gesorgt, als sie in Belgrad und in Pristina eine baldige Lösung der Status-Frage für die Provinz und eine mögliche Unabhängigkeit Kosovos anregte.
Neben der Schweiz haben unter anderem 22 der 27 EU-Staaten sowie die USA die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt. Abgelehnt wird die Unabhängigkeit der früheren serbischen Provinz neben Serbien und Russland unter anderem auch von China, Georgien, Moldawien, Rumänien, Zypern und Spanien.
Belgrads Hoffnungen
Belgrad hofft, mit dem Gang vor den IGH weitere Staaten von der Anerkennung Kosovos abhalten zu können. Der Entscheid werde eine politisch neutrale Orientierung für Staaten sein, die Kosovo noch nicht anerkannt hätten, sagte Serbiens Aussenminister Vuk Jeremic.
Die einseitige Unabhängigkeits-Erklärung dürfe nicht zum Präzedenzfall für Abspaltungsbestrebungen anderer Regionen werden.
Solche Befürchtungen wiesen zahlreiche Vertreter westlicher Staaten zurück. Der Fall Kosovo sei einzigartig, erklärten verschiedene Redner unter Hinweis auf die Gewalt, welche den Zusammenbruch des früheren Jugoslawien begleitet hatte und schliesslich zur Intervention der internationalen Gemeinschaft im Kosovo geführt hatte.
Zeit gewinnen
Mit dem Entscheid der Vollversammlung, den IGH einzuschalten, dürfte Serbien etwas Zeit gewinnen: Länder, welche die Unabhängigkeit Kosovos bisher nicht anerkannt haben, werden nun wahrscheinlich die Meinung des Gerichthofs abwarten.
Nach Angaben von Diplomaten dürfte es mindestens ein Jahr dauern, bevor das Gutachten vorliegt.
Unter politischen Beobachtern wird im Zusammenhang mit dem Einbezug der Gerichtshofes auch erklärt, dass Teile der serbischen Regierung mit Blick auf eine gute Zusammenarbeit mit der EU wohl nicht allzu unglücklich wären, wenn der IGH die Unabhängigkeit Kosovos als legitim erklären würde.
Gegenüber der Opposition im eigenen Lande könnte die Regierung den Schwarzen Peter dann abschieben auf eine internationale Institution.
swissinfo, Rita Emch, New York
Der Internationale Gerichtshof (IGH) wurde 1945 gegründet. Er arbeitet unter der Charta der Vereinten Nationen als «Hauptrechtsprechungs-Organ der Vereinten Nationen» und hat seinen Sitz in Den Haag.
Er fällt zum einen Urteile bei Streitigkeiten zwischen Staaten, zum anderen gibt er Rechtsgutachten in aktuellen Fragen des Völkerrechts ab.
Der Gerichtshof ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichts-Hof, der sich mit Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid befasst, vor dem sich Individuen verantworten müssen.
Am 17. Februar 2008 erklärt die ehemalige Serbenprovinz Kosovo ihre Unabhängigkeit.
Die Schweizer Regierung anerkannt Kosovo am 27. Februar 2008 als eines der ersten Länder weltweit als unabhängigen Staat.
In der Schweiz leben zwischen 170’000 und 190’000 Kosovarinnen und Kosovaren. Das entspricht rund 10% der Bevölkerungszahl im Kosovo. Nach den Deutschen sind die Kosovo-Albaner die grösste in der Schweiz lebende Ausländergruppe.
Seit 1999 beteiligt sich die Schweiz an den von der NATO angeführten internationalen Friedenstruppen KFOR. Rund 200 Swisscoy-Soldaten sind im Kosovo stationiert.
Die Schweiz ist eines der wichtigsten Geberländer Kosovos. Das Budget 2008 für Projekte beträgt rund 16,5 Mio. Fr. Gegenüber den effektiven Ausgaben 2007 sind dies 6 Mio. mehr. Für den Zeitraum von 2008 bis 2010 rechnet die Schweiz mit jährlich 15 Mio. Fr.
Die Schweizer Schwerpunkte auf ziviler Ebene liegen bei Entwicklung und Förderung der Wirtschaft, Demokratie, öffentlicher Infrastruktur und Migrations-Zusammenarbeit.
Zudem wird sich die Schweiz mit 20 Experten an der Zivilmission der Europäischen Union (EULEX) beteiligen.
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