Krankenkassenprämien in der Schweiz: Das sind die Rezepte gegen die Kostenexplosion
Nach dem doppelten Nein zu den Krankenkassen-Initiativen steht die Schweiz vor der Frage, wie die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen sind. Was Expert:innen dazu sagen.
Das Schweizer Gesundheitssystem braucht eine Reform, darin sind sich Parteien von links bis rechts einig, nachdem weder die Sozialdemokraten (SP) noch die Mitte-Partei mit ihren Volksinitiativen eine Mehrheit der Bevölkerung überzeugen konnten.
Fakt ist: In den kommenden Jahren werden die Gesundheitskosten weiter steigen und die Haushaltskassen belasten. Das Thema wird daher auf der politischen Agenda bleiben.
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Krankenkassenprämien belasten Schweizer Haushalte immer stärker
SWI swissinfo.ch hat mit mehreren Schweizer Gesundheitsexpert:innen gesprochen. Auch sie sehen die Notwendigkeit von Reformen, verweisen aber auch auf die diversen politischen Hindernisse.
«Es wird noch einige Jahre dauern, bis Veränderungen umgesetzt werden, aber wir werden handeln müssen», sagt Stéfanie Monod, Professorin an der Universität Lausanne und Expertin für das Schweizer Gesundheitssystem. «Wir werden keine Wahl haben. Niemand ist mehr wirklich zufrieden mit diesem System.»
Eine bessere Kompetenzenverteilung
«Es wird Initiativen zu den Gesundheitskosten hageln“, prophezeit Stéfanie Monod. Sie befürchtet jedoch, dass die Probleme stückweise angegangen werden, obwohl eine umfassende Reform notwendig wäre.
In ihren Augen ist das föderalistische System überholt. «Heute sind die Kantone für das Gesundheitswesen zuständig. Einige Aspekte werden jedoch auf Bundesebene geregelt, insbesondere das Krankenversicherungsgesetz, das einen grossen Teil der Finanzierung regelt. Ein kleiner Kanton wie Appenzell Innerrhoden hat somit die gleiche Verantwortung für das Gesundheitswesen wie ein Staat wie Frankreich», so die Expertin.
Monod fordert eine bessere Kompetenzverteilung: «Der Bund muss mehr Verantwortung für die Gesundheit übernehmen.» So sollten beispielsweise die Spitalplanung oder die Ausbildung von Fachkräften auf nationaler Ebene koordiniert werden.
«Umgekehrt sollten die Kantone für die Grundversorgung und die Koordination der Pflege zuständig sein“, so Monod.
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Beihilfen und Ausgaben gezielt einsetzen
Jérôme Cosandey, der Westschweizer Direktor von Avenir Suisse, einer liberal inspirierten Denkfabrik, teilt diese Ansicht nicht. Er glaubt im Gegenteil, dass der Föderalismus eine Stärke für das Gesundheitssystem ist.
«Ich habe in Bombay gelebt, einer Stadt mit über 20 Millionen Einwohnern. Als ich zurückkam, dachte ich, dass sich die Schweiz mit ihren 26 Kantonen und 26 Gesundheitsgesetzen einen unglaublichen Luxus leistet. Dann wurde mir klar, dass dadurch die Bedürfnisse der Bevölkerung besser befriedigt werden können.»
Als Beispiel nennt er die Zuschüsse für Personen, die ihre Krankenversicherungsprämien nicht bezahlen können. «In den deutschsprachigen Kantonen sind die Prämien im Allgemeinen niedriger als in der Romandie, daher ist die Notwendigkeit, Beihilfen zu gewähren, geringer. Der Föderalismus ermöglicht eine gezieltere Unterstützung einkommensschwacher Haushalte.»
Um Geld zu sparen, würde sich Jérôme Cosandey mehr Transparenz über die Qualität der Leistungen wünschen. Seiner Meinung nach sollte man sich auf diejenigen konzentrieren, die den grössten Nutzen pro investierten Franken bringen.
Die von liberalen Kreisen häufig vorgebrachte Idee, die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu reduzieren, überzeugt ihn jedoch nicht.
«Das Problem ist nicht so sehr der Leistungskatalog, sondern seine Anwendung. Eine Hüftoperation muss von der Versicherung übernommen werden, das ist klar, aber ist sie für einen Patienten am Lebensende relevant?», fragt er.
Effizienter werden
Der Gesundheitsökonom Joachim Marti erinnert daran, dass einige Ausgaben ein gerechtfertigtes Wachstum verzeichnen, weil sie gesellschaftlichen Prioritäten entsprechen. «Die Menschen wollen gesünder sein, haben höhere Erwartungen, und die Bevölkerung wird immer älter. Das wird den Bedarf in der Zukunft erhöhen.»
Andere Ausgaben seien weniger gerechtfertigt und eher auf einen Mangel an Effizienz zurückzuführen, stellt er fest.»Es sind diese Kosten, die gesenkt werden sollten. Die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, um das Ausgabenwachstum zu verlangsamen, ohne die Versorgungsqualität zu beeinträchtigen», so Marti.
Er schlägt verschiedene konkrete Massnahmen vor. «Ein Weg wäre, die Prävention zu verbessern, in welche die Schweiz im internationalen Vergleich wenig investiert.“
Marti schlägt auch vor, die Gesundheitsversorgung besser zu koordinieren, die Medikamentenpreise stärker zu kontrollieren und Behandlungen mit geringem Nutzen zu vermeiden.
Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger
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