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Krankenversicherungs-Gesetz gescheitert

Nun braucht es neue Rezepte für die Krankenversicherungen. Keystone

Vor 3 Jahren brachte die Regierung die Vorlage ins Parlament, seither wurde heftig gestritten. Und nun gehts zurück auf Feld 1.

Die Mehrheit der Grossen Kammer lehnte den Kompromiss ab: Die Linke setzte sich dank Stimmenthaltung der Christdemokraten durch.

In den letzten Monaten war absehbar, dass es schlecht stand um die zweite Revision des Krankenversicherungs-Gesetzes. Die Ärzte wehrten sich gegen die Krankenkassen, die Patientenorganisationen gegen beide – alle waren zwar zu Sparmassnahmen bereit, doch die Detailausmarchung gestaltete sich schwierig. Zu schwierig, wie die Ablehnung im Nationalrat nun zeigt.

Mit 71 zu 66 Stimmen bei 35 Enthaltungen wies die Grosse Kammer die Anträge der Einigungskonferenz knapp ab. Damit ist nach drei Jahren Beratung das Gesetzeswerk vom Tisch.

«Wir sind gescheitert», bilanziert der christlichdemokratische (CVP) Ständerat Bruno Frick, Präsident der Einigungskonferenz, im Gespräch mit swissinfo. «Es zeigt sich, dass in komplexen Bereichen des Gesundheitswesens offenbar umfassendere Lösungen sehr schwer zu erzielen sind.»

Die zweite Revision des Krankenversicherungsgesetzes hätte einige Neuerungen gebracht. Der Kontrahierungszwang wäre gelockert, Ärztenetze gefördert und die Bundesmittel für Prämienverbilligungen erhöht worden.

Sieg von links-grün

Gegen den Kompromiss-Vorschlag kämpften primär die Sozialdemokraten (SP) und die Grünen. Die Revision werde nicht die Kosten dämpfen, sondern ein Chaos schaffen, hiess es.

«Für uns war die KVG-Revision eine wichtige Revision, weil es im Krankenversicherungsbereich viele Dinge gibt, mit denen wir nicht einverstanden sind. Aber so, wie die Revision aufgegleist war, war sie für uns nichts», sagt die Grüne Nationalrätin Franziska Teuscher gegenüber swissinfo.

«Das heutige KVG ist gerade für die Familien ein schlechtes Gesetz, und wir möchten dort Fortschritte machen. Wir müssen jetzt einfach wieder einen Neuanfang machen.»

Trotz Appell von Couchepin: CVP mit Stimmenthaltungen

Eindringlich wie selten hatte Gesundheitsminister Pascal Couchepin während der Debatte vor einem Scheitern der Vorlage gewarnt: «Das soziale Ziel wird erreicht. Für Familien ist die neue Lösung besser. Es ist ein Kompromiss: Nicht perfekt, doch es ist besser als der Status quo.»

Wirklich zufrieden äusserte sich niemand zur Vorlage, doch die Ratsrechte, Schweizerische Volkspartei und Freisinnige, hatte entschieden, die Revision zu unterstützen. Es sei «ein kleiner Schritt in die richtige Richtung», erklärte beispielsweise Roland Borer, SVP.

Doch obgleich Couchepin gar warnte, dass bei einem Nein in mehreren Punkten Notrecht eingeführt werden müsse, konnte sich die politische Mitte, die CVP, nicht durchringen, die Vorlage zu unterstützen.

Hauptsächlich weil ihr Modell der Prämienverbilligung für Familien mit Kindern bachab geschickt worden war, enthielt sich die Mehrheit der CVP der Stimme – und gab damit den Ausschlag für die Ablehnung.

«SVP und FDP müssen zur Kenntnis nehmen, dass politische Lösungen ohne CVP nicht möglich sind. Sie haben jetzt den Fingerzeig erhalten», so Bruno Frick.

Ball wieder bei Regierung

Wie es nun genau weitergeht, ist noch offen. Die Regierung muss eine neue Vorlage ausarbeiten und diese erneut in beide Parlamentskammern einbringen.

Grundsätzlich geht es allen um mehr Transparenz sowie mehr Wettbewerb – und primär darum, die Kosten zu senken. Doch die Ärzte beispielsweise werden sich sicher auch weiterhin gegen die Lockerung des Kontrahierungszwanges (Vertragszwanges) wehren. Und auch bei der Spitalfinanzierung sowie bei der sozialen Prämienausgestaltung wird der Streit von vorne beginnen.

swissinfo, Christian Raaflaub und Eva Herrmann

Die Ablehnung eines Antrags der Einigungskonferenz hat Seltenheitswert. Bisher ist es erst ein Mal vorgekommen, dass ein solcher Kompromissvorschlag im Parlament abgelehnt wurde.

Vor 42 Jahren hatte sich der Ständerat gegen den «Bundesbeschluss betreffend die Genehmigung des internationalen Übereinkommens über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte» in der letzten Runde vor der Schlussabstimmung ausgesprochen.

Zwei Mal habe sich zudem die Einigungskonferenz selber nicht einigen können, sagt Mark Stucki, Sprecher der Parlamentsdienste.

Eine Einigungskonferenz wird dann einberufen, wenn nach drei Beratungen in jedem Rat immer noch Differenzen bestehen.

Das Scheitern der KGV-Revision im Parlament sorgte für gemischte Reaktionen: Die einen sprechen von verpassten Chancen, die anderen freuen sich über die Ablehnung. Einig ist man sich auf allen Seiten, dass es im Gesundheitswesen dennoch Veränderungen braucht.

swissinfo und Agenturen

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