«Kreuzung zwischen Provokateur und Visionär»
Pascal Couchepin war ein grosser Staatsmann, hinterlässt aber als Innenminister etliche Baustellen - das ist der Tenor in der Schweizer Presse nach der Rücktrittsankündigung des Walliser Freisinnigen. Für seine Nachfolge wird eine starke Person gewünscht.
Auf ihn sei zwar Verlass gewesen, wenn es darum gegangen sei, die Institutionen zu verteidigen, schreibt die Basler Zeitung. Trotzdem sei der Rücktritt überfällig, denn seine Bilanz als Innenminister sei schwach. Mit dem Anspruch, den ausufernden Sozialstaat in die Schranken zu weisen, sei er «kolossal gescheitert». Und die BaZ weiter: «Couchepin war ein Provokateur. Das Resultat: verhärtete Fronten und Stillstand bei den Sozialversicherungen.»
Das Wort «Provokateur» nimmt auch die Neue Zürcher Zeitung in den Mund: «Pascal Couchepin – eine Kreuzung zwischen Provokateur und Visionär», titelt die NZZ. Und schreibt: «Ein Grosser der schweizerischen Politik tritt ab. Darin herrscht Einigkeit. Während manche dabei bloss an die physische Statur denken, attestieren andere dem Walliser ein aussergewöhnliches Format.» Fazit der NZZ: «Couchepin, der Widerspruch in Person, hat stets Widerspruch erregt.»
Mehr Hoffnung als Verlust
«Pascal der Grosse hat sich überschätzt», titelt der Zürcher Tages-Anzeiger. Als Reformer der Sozialwerke habe Couchepin in die Geschichte eingehen wollen. «Doch dies ist ihm gründlich misslungen.» Zu häufig habe er sich in seinen Lieblingsrollen als philosophierender Staatsmann oder streitlustiger Provokateur verzettelt – wo es vor allem einen starken Gesundheits- und Sozialminister gebraucht hätte, schreibt der Tagi. «Sein Rücktritt bedeutet darum mehr Hoffnung als Verlust – selbst für die eigene Partei.»
«Roi Pascal» habe mit einer «gewissen Sturheit» regiert, hält die Südostschweiz fest. Das habe ihm im Minenfeld Gesundheitspolitik nicht eben zum Vorteil gereicht. Die Thurgauer Zeitung ergänzt, für Kompromisse sei Couchepin «zu sehr von sich selbst eingenommen» gewesen. Um Details habe er sich oft foutiert, schreibt die Freiburger La Liberté.
Unbequemer Denker…
Dass Couchepin stets ein unbequemer Denker wider den Zeitgeist geblieben sei, rechnen ihm die Kommentaren trotzdem hoch an. «Er hat sich nie darum gedrückt, unangenehme Wahrheiten auszusprechen», stellt der Walliser Nouvelliste fest.
Ähnlich tönt es in der Berner Zeitung. Dem Walliser sei zugutezuhalten, «dass er in seiner elfjährigen Amtszeit immer ein eigenständiger und oft unbequemer Denker blieb und sich nicht von Parteiinteressen oder dem Zeitgeist leiten liess».
…und «animal politique»
Pascal Couchepin werde im Bundesrat fehlen, meint die Aargauer Zeitung. «Mit ihm verliert die Politik eine Saftwurzel, ein ‹animal politique›, eine echte Persönlichkeit, die die Debatte liebt, über den Tag hinaus denkt und nicht bei jedem Widerstand einknickt.»
Alle würden die Fähigkeit des Wallisers zum «animal politique» und dessen Grösse zum Staatsmann anerkennen, schreibt La Regione. Für die Tessiner Zeitung war Couchepin «der einzig wirkliche Staatsmann im Bundesrat seit Kurt Furgler».
Obwohl «der schlitzohrige Polit-Routinier» sich nie als braver Departementsvorsteher gesehen und «bewusst rundherum genervt» habe, sei Couchepin immer ein lösungsorientierter Konsenspolitiker gewesen, schreibt der Berner Bund.
König Pascal
«Le roi Pascal Couchepin est mort. Vive le roi!», schreibt die Neue Luzerner Zeitung zu Beginn ihres Kommentars. «Mit Pascal Couchepin tritt ein Bundesrat ab, der sein Land liebt. Ein Bundesrat aber auch, der in der republikanischen Schweiz schon fast royalistische Züge erkennen liess.»
«La grande sortie», titelt die Genfer Zeitung Le Temps und zollt dem scheidenden Bundesrat ein Lob für seinen Respekt vor den Institutionen und der Staatsgewalt. «Der Staat, das war er», ist das Fazit von Le Temps. Und die Lausanner Zeitung 24 Heures doppelt nach und spricht von «der Inkarnation einer bestimmten Idee des Staates».
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Bundesrat
Starke Persönlichkeit gesucht
Couchepins Stärke – das eigenständige Denken – müsse auch der Nachfolger mitbringen, fordert die Berner Zeitung. Im Bundesrat brauche es keine Windfahnen und Parteisoldaten. Auch der Tages-Anzeiger hofft, dass der Kampf um die Couchepin-Nachfolge «kein Wettbewerb der Parteien, sondern der Personen» werde.
Die Ausgangslage sei insofern günstig, als dass man diesmal keine Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder Kantonszugehörigkeit nehmen müsse, schreibt Le Temps. Das ermögliche eine recht breite Auswahl.
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Pascal Couchepin wird am 5. April 1942 in Martigny im Kanton Wallis geboren. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Lausanne und erwarb das Patent als Anwalt und Notar in seinem Heimatkanton.
Als Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) wurde Pascal Couchepin 1979 in den Nationalrat und 1998 in den Bundesrat gewählt.
Bis 2002 leitete er das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement. Seit 2003 steht er dem Eidgenössischen Departement des Inneren vor. Damit ist er für Sicherheit, Soziales, Gesundheitswesen, Erziehung, Ausbildung, Forschung und Kultur zuständig.
In den Jahren 2003 und 2008 war er Präsident der Eidgenossenschaft.
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