Krise senkt Hemmschwelle zum Betrügen
Die Krise lässt das Bewusstsein für Corporate Governance, das korrekte Geschäften, schwinden. Zu diesem Schluss kommen Autoren einer Studie von Ernst & Young.
Bei den Bemühungen zum Schutz von Arbeitsplätzen würden leichte Unregelmässigkeiten eher toleriert und wirtschaftskriminelle Handlungen wohlwollender beurteilt, heisst es im Bericht «Ernst & Young European Fraud Survey».
40% der in der Schweiz befragten Angestellten und leitenden Mitarbeiter hätten erklärt, zum Ergattern von Aufträgen seien notfalls auch unsaubere Praktiken akzeptabel. In anderen Ländern Europas war die Bereitschaft zu Gesetzesverstössen gar noch grösser.
Ein Fünftel der Schweizer Beschäftigten (20%) gab offen an, Geldzahlungen im Auftragswesen seien in Ordnung (Europa: 25%). 25% der Schweizer Beschäftigten erachteten es als legitim, Kunden mit Unterhaltungsangeboten bei der Stange zu halten (Europa: 19%).
Geht es um Geschenke, sinkt die Toleranz in der Schweiz auf 22%, während sie bei den Kolleginnen und Kollegen aus den umliegenden Ländern auf 24% steigt.
Für die Studie wurden 2200 Beschäftigte europäischer Grossbetriebe befragt. Zwei Drittel waren Angestellte, ein Drittel untere Kaderkräfte.
«Glas halb voll oder halb leer?»
Immerhin lehnte die Hälfte der befragten Schweizer Angestellten solches Tun ab, während der Anteil der Saubermänner und Sauberfrauen in Europa nur 40% beträgt.
Nicht so gut kommen die Schweizer Manager weg. Ihnen wird zugetraut, dass sie eher Schummeln als ihre Kollegen im Ausland. «Dennoch vertrauen die meisten Angestellten dem Management. Aber gleichzeitig erwarten sie, dass ihre Chefs Praktiken im Graubereich anwenden, wenn es um die Sicherung von Aufträgen und das Überleben der Firma geht», sagt Michael Faske von Ernst & Young gegenüber swissinfo.
«Dabei geht es aber nicht um grosse Korruption wie Schmiergeldzahlungen, sondern eher um Unterhaltungsangebote oder kurzzeitige Regelungen.»
Der hohe Anteil an Mitarbeitern, die bereit sind, die Augen zuzudrücken, hat laut Faske klar mit den extremen wirtschaftlichen Bedingungen zu tun, welche die Unternehmen auf Schlingerkurs bringen.
Gute Grundsätze über Bord
Die Befragten glauben, dass in den Unternehmen die Bereitschaft zum Betrug gar noch zunehmen werde. «Gerade Manager sehen in der Krise ein höheres Risiko, dass sie materielle Einbussen erleiden», begründet Faske.
Das Management sei in den Augen der Befragten denn auch nicht Teil der Lösung, sondern eher des Problems: 38% der Teilnehmer meinen, das Betrugsrisiko sei beim oberen Management am grössten, 36% nannten das mittlere Management. Lediglich 22 billigten den Führungskräften ihrer Unternehmen ein hohes Mass an persönlicher Integrität zu.
Die Bedenken der Schweizer Angestellten sind nicht aus der Luft gegriffen: Wie Ernst & Young in den Kontakten mit Führungskräften feststellte, setzen diese ihre Corporate-Governance-Aufgaben tatsächlich oft hinter das Ziel zurück, das Überleben der Unternehmen zu sichern.
Die Teilnehmer der Befragung wünschten sich deshalb eine grössere Präsenz der Regulierungsbehörden zur Reduktion des Betrugsrisikos.
Matthew Allen, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)
Ernst & Young befragte für die Untersuchung 2246 Beschäftigte aus 22 Ländern. In der Schweiz nahmen 101 Personen teil.
Die Befragten stammten aus Firmen mit mehr als 1000 Angestellten. Die Unternehmen müssen zudem an der Börse kotiert sein oder internationale Konzerne sein.
Zwei Drittel der Befragten waren Angestellte, ein Drittel untere Kaderkräfte.
Beunruhigendes Fazit der Studie: Durch die Krise sind Manager eher bereit, ethische Geschäftsgrundsätze über Bord zu werfen.
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