Landsleute im Ausland verlangen eine offene Schweiz
"Eine Schweiz, die den Austausch pflegt und sich auf internationaler Ebene engagiert, um ihre Ausstrahlungskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten": Das fordern die Auslandschweizer im Wahl-Manifest 2007.
An ihrem Jahreskongress in Nürnberg haben die Präsidentinnen und Präsidenten der Schweizervereine in Deutschland mit Parlamentariern diskutiert.
Nie war die Zahl der Auslandschweizer grösser als heute. Auch in Deutschland, wo 72’000 Schweizer leben, ist die aus der Schweiz stammende Bevölkerung stetig gewachsen. Viele von ihnen fühlen sich mit der alten Heimat eng verbunden.
Zahlreich sind deshalb auch jene Landsleute, die sich im Ausland in Vereinen zusammengeschlossen haben, um dort nicht nur das Schweizer Brauchtum zu pflegen und den Kontakt zur Heimat zu erhalten, sondern auch, um ihren Mitgliedern im Gastland die Integration zu erleichtern.
Ausländerfeindlichkeit erschreckt
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) Deutschland setzt sich u.a. auch für die politischen Rechte ihrer Mitglieder im Heimatland ein, und sie fördert das Interesse für das Geschehen in der Schweiz. Sorgen machen sich viele wegen ausländerfeindlichen Tendenzen in der Heimat.
«Mich erschreckt», sagt Brigitte Schöbel vom Schweizer Verein Nürnberg, «dass man auch relativ gebildete Leute Dummheiten nachplappern hört: ‹Wie viele Deutsche verträgt das Land› oder ‹warum dürfen Auslandschweizer überhaupt mitstimmen›.»
Sie sei bisher immer stolz gewesen, Bürgerin eines offenen Landes zu sein. «Wir Schweizer sind ja auch überall auf der Welt.»
Parlamentariern auf den Zahn gefühlt
Mit Interesse verfolgt die ASO-Deutschland derzeit auch den Wahlkampf und die Entwicklung der Parteienlandschaft vor den Parlamentswahlen im kommenden Herbst. Heuer hat sie Vertreter der Bundesratsparteien zu ihrem jährlichen Kongress nach Deutschland eingeladen.
An einer Podiumsdiskussion buhlten diese um die Wählergunst der wachsenden Auslandschweizer Kolonie: Ständerat Filippo Lombardi für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sowie die Nationalräte Andrea Hämmerle für die Sozialdemokratische Partei (SP), Markus Hutter für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und Theophil Pfister für die Schweizerische Volkspartei (SVP).
Anders als einige seiner Parteikollegen hat Letzterer zum Beispiel wissen lassen, dass er das Doppelbürgerrecht durchaus unterstütze.
Es gebe zwar gewisse Situationen, wo sich die Leute entscheiden müssten, welche kulturelle Lebensart sie weiterleben wollten, «aber ich glaube, dass man die Doppelbürgerschaft nicht mehr abschaffen kann, die wird bleiben», sagte Theophil Pfister.
27. Kanton für Auslandschweizer?
Andrea Hämmerle (SP) sprach sich sogar für die Bildung eines virtuellen 27. Kantons für die 650’000 Auslandschweizerinnen und -schweizer aus. Eine Idee, von der auch die Direktbetroffenen nicht alle begeistert sind.
Für ASO-Vizepräsident Jean-Paul Äschlimann ist sie verfassungsrechtlich fast nicht zu verwirklichen. «Für einen solchen Kanton müsste man ja auch Mittel zur Verfügung stellen, wer sollte dafür aufkommen?», fragt er sich. Er könne sich nicht vorstellen, dass diese Lösung in der Schweiz gut ankäme.
Realistischer und wirksamer sei die vor zwei Jahren gegründete, rund 80-köpfige Parlamentariergruppe, die sich mit Auslandschweizerfragen auseinandersetze. Ihr schenke er sein Vertrauen, so Äschlimann.
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Wann kommt das E-Voting?
Dringlicher war der Appell der Auslandschweizer, dass es in Bundesbern mit der elektronischen Stimmabgabe endlich vorwärts gehe, wenn sich die Landsleute im Ausland weiterhin für das Geschehen in der Schweiz interessieren sollten.
«Ich kann mir nicht erklären, weshalb es so langsam geht», sagt Elisabeth Michel, die Präsidentin der ASO Deutschland.
Es gäbe in Europa bereits einige erfolgreiche Projekte. «Auch bei uns in Osnabrück, wo die Wahlen des Senats schon zum zweiten Mal mit E-Voting durchgeführt worden sind.»
Bundesbern will absolut sicheres System
Der Bundesrat, die Schweizer Regierung, hat vor einem Jahr bereits einen Bericht zur elektronsichen Stimmabgabe verabschiedet. Und beide Räte im Parlament haben letzten Herbst entsprechenden Gesetzesänderungen zugestimmt.
Dass es bis zur Praxistauglichkeit dennoch mehrere Jahre dauern dürfte, führt Rahel Schweizer vom Auslandschweizerdienst im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf die Komplexität des Projekts zurück.
«Das A und O ist es, Missbrauchs- und Datenschutzprobleme auszuschliessen», sagt sie. Das Parlament wolle, dass es absolut sicher und zuverlässig sei.
swissinfo, Peter Siegenthaler, Nürnberg
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ASO
Heute leben rund 650’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.
110’000 Auslandschweizerinnen und –schweizer haben sich in der Heimat registrieren lassen, um an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen zu können.
Die grösste Gemeinschaft befindet sich in Frankreich (171’000), gefolgt von Deutschland (72’000) und Italien (47’000).
Die grösste Gemeinschaft ausserhalb Europas lebt in den USA (72’000).
Im 19. Jahrhundert hatte sich Nürnberg zu einem wohlhabenden Industriestandort entwickelt. Auch viele Handwerker, Techniker und Fabrikanten aus der Schweiz suchten dort eine Existenz.
Einige schlossen sich in Vereinen zusammen, um geschäftliche Kontakte zu fördern. Vereinszweck war während vielen Jahren auch die Solidarität mit notleidenden Landsleuten.
«Nazi-Anhänger, sogenannte Fröntler, spielten im Vereinsleben glücklicherweise keine Rolle», heisst es in der Vereinschronik.
Heute steht auch der Kontakt zur Schweiz im Zentrum der Vereinstätigkeit.
Am Wochenende hat auch der Kongress der Auslandschweizer in Italien stattgefunden.
In Trapani auf Sizilien haben sich 200 der 47’000 in Italien lebenden Schweizerinnen und Schweizer getroffen. Hauptgesprächsthema war die Altersvorsorge.
Bis zum 1. April 2001 konnten die in einem Land der Europäischen Union (EU) lebenden Schweizer fakultativ dem schweizerischen AHV-System verbunden bleiben und so Leistungen der Altervorsorge beziehen.
Nach einer Übergangsfrist bis 31. März 2007 ist dies nicht mehr möglich. Die in der EU lebenden Schweizer werden im Alter vom jeweiligen Aufenthaltsland unterstützt, in der Regel auf einem tieferen Niveau als in der Schweiz.
Dies löst bei den Betroffenen Besorgnis aus und erfordert in vielen Fällen eine private Altersvorsorge.
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