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Langenthals Sturm um den Gebetsturm

Langenthal: Malerisches Industrie-Städtchen im Mittelland. Doch der Minarettstreit trübt die Idylle. swissimage

Vor einem Jahr hat das Schweizer Stimmvolk mit dem Ja zu einem Minarett-Verbot weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Seitdem weckt auch die Kleinstadt Langenthal das Interesse ausländischer Medien – wegen eines Minarett-Streits. Ein Augenschein.

Langenthal im bernischen Oberaargau – bekannt für Design, Porzellan und Deutschschweizer Durchschnittlichkeit, macht seit 2006 vor allem wegen eines Minaretts Schlagzeilen, das (noch) nicht existiert. Das Industrie-Städtchen mit rund 15’000 Einwohnern liegt nicht nur geographisch in der Mitte der Schweiz. Auch vom Verbrauchergeschmack her gilt es als repräsentativer (Deutsch-) Schweizer Durchschnitt.

Deshalb benutzten zahlreiche Unternehmen bei der Einführung neuer Produkte die Langenthaler gerne als Testmarkt: Was sich dort verkaufen liess, sollte auch in der übrigen Deutschschweiz leichter über den Ladentisch gehen.

Weniger leicht verdaulich ist für einige Langenthaler das Baugesuch für ein Minarett: 2007 hatte die Islamische Glaubensgemeinschaft im Zusammenhang mit baulichen Erweiterungen bei ihrem Zentrum ein solches eingereicht.

Seit der Initiative gegen den Bau von Minaretten gelangt die Kleinstadt wegen dieses Baugesuchs immer wieder in die Schlagzeilen, obschon der Ort nicht den Anstoss zu dieser Initiative gab. Der Streit um die Baubewilligung beschäftigt inzwischen auch die kantonalen Instanzen.

Problematische Publizität

Stadtpräsident Thomas Rufener ist ob dem Medienrummel nicht sehr erfreut und besteht als ehemaliger Ingenieur darauf, den Durchschnitt Langenthals als «operative Grösse» zu betrachten: «Durchschnitt im Guten wie im Schlechten, als repräsentative Stichprobe der Schweiz», sagt er gegenüber swissinfo.ch: «Das Stimmverhalten der Langenthaler entsprach bei der Volksinitiative vor einem Jahr genau dem Durchschnitt der Schweizer.»

Es habe also in seiner Stadt weder weniger noch mehr Zustimmung zum Verbot als andernorts gegeben! Jetzt möchten verschiedene politische Parteien Kapital schlagen aus der Publizität, die das Minarettverbots-Plebiszit ausgelöst habe.

Auch die Medien unterstellten Langenthal seither ein rechtskonservatives und islamfeindliches Image. Dagegen wehrt sich Rufener,der selber Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist, welche die Volksabstimmung initiiert hatte: «Viele internationale Medien interessieren sich plötzlich für Langenthal. Dabei wird die Stadt mit dem Minarettstreit verknüpft, obschon die Grundsatzfrage nichts mit Langenthal zu tun hat.»

Mahnmal vorgestellt

Das Streitobjekt selber käme am Stadtrand in einem Industriequartier zu stehen. Nachts erinnert die grellbeleuchtete Gebetshalle des Glaubenszentrums in keiner Weise an einen fernöstlichen Sakralbau – viel eher an eine Dorfturnhalle.

Keine 100 Meter davon entfernt, in einem der topmodernen Säle des neuen Parkhotels, enthüllt das Aktionskomitee «Stopp Minarett» ein Modell ihres geplanten Mahnmals.

Das mannshohe Modell aus Eisen – es hat die Form eines umgedrehten Zapfenziehers – soll auf einer zentralen Strassenkreuzung an Andersgläubige erinnern, die in islamischen Ländern verfolgt werden, fordert das Komitee. Der kürzlich erfolgte Terroranschlag gegen die Kirche in Bagdad wird erwähnt, und ein aramäischer Christ kommt zu Wort.

Am Anlass spricht auch Nationalrat Walter Wobmann, SVP, von der «unglaublichen Arroganz» der kantonalbernischen Instanzen, den Minarettbau in Langenthal trotz Volksentscheid zuzulassen.

Das Komitee spricht gezielt die Ängste einer schweizerischen, christlich geprägten Bevölkerung an.

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«Politisches Paradox»

Aber Angst haben auch die Mitglieder der islamischen Langenthaler Glaubensgemeinschaft. Die Gemeinschaft setze sich grösstenteils aus mazedonischen Albanern zusammen, sagt ihr Sprecher Mutalip Karaademi, der selbst aus dieser Region kommt.

Es sei ein fatales Paradox, dass europäische Muslime, die selbst unter Terror leiden mussten, hier in der Schweiz mit arabischen Terroristen in die gleiche Schublade gesteckt würden.

«Im ehemaligen Jugoslawien gab es keine Religionsfreiheit. Der Imam musste gezwungenermassen Kommunist sein. Im Balkankrieg der 90er-Jahre wurde es für Muslime noch viel schlimmer.»

«Und als wir dann als Verfolgte in die Schweiz kamen, in eine Demokratie, welche die Religionsfreiheit hoch hält, wurden wir wieder zur Zielscheibe politischer Propaganda.»

Und ausserdem sei man als Albaner nicht automatisch Muslim: «Man fühlt sich aber kulturell als eine Gemeinschaft, auch wenn die Albaner drei Religionen angehören. Unter uns ist dieses Zusammenleben normal.» Das würde er sich auch für die Schweiz wünschen.

«Ohnehin bis vor Bundesgericht»

Von einer Lösung im Minarett-Streit sei Langenthal aber noch weit entfernt, vermutet Daniel Kettiger, der die Glaubensgemeinschaft rechtlich berät.

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Minarett-Gegner den Konflikt bis vor Bundesgericht, also bis zur letzten juristischen Instanz, ziehen würden.

Kettiger ist aber überzeugt, dass das Minarettverbot langfristig «keinen Bestand haben» könne. «Spätestens beim Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof ist Endstation.»

Ganz anders tönt es hingegen bei der Mahnmal-Enthüllung, wo auch SVP-Nationalrat Walter Wobmann den Europäischen Gerichtshof ins Spiel bringt: Dieser sei gut beraten, «den deutlichen Volksentscheid eines souveränen Staates nicht zu verurteilen.»

Würde ein Minarettverbot als Menschenrechts-Verletzung angeschaut, müsste man sich überlegen, den Koran als Ganzes einzuklagen: «Steinigungen, Zwangsheiraten und Züchtigungen von Frauen und Kindern müssten dann ebenfalls beurteilt werden», sagt Wobmann dem Publikum.

Peripherie: Werktags Business, Sonntags Demo

Derweil lassen sich im grossen Saal gegenüber italienische und englischsprachige Geschäftsleute von asiatischem Personal internationale Kost servieren. Mahnmal oder Minarett kümmern sie nicht.

Stattdessen hört man Namen wie Lantal Textiles, Creation Baumann und natürlich Ammann Group, das Unternehmen des neuen Bundesrats Johann Schneider-Ammann. Der globale Industrie- und Exportstandort Langenthal lässt grüssen, die Lokalpolitik tritt in den Hintergrund.

Ob denn der Hotelbetrieb und das Geschäft auf dem Langenthaler Werkplatz durch die häufigen Demonstrationen der Minarett-Gegner gegenüber nicht gestört werde, so die Frage an eine ausländische Hotelmitarbeiterin:

«Ach wissen Sie, die Business-Leute sind praktisch nur an den Werktagen unsere Gäste», flüstert sie diskret, «während die Demos meist am Wochenende stattfinden, an denen das Hotel weniger belegt ist. Da kriegen die nur wenig mit. Und die Schweizer, die uns eher übers Wochenende besuchen, kennen das Problem ja.»

Seit 2006 sorgen Kontroversen um den Bau von Minaretten in den Gemeinden Langenthal (Bern), Wangen bei Olten (Solothurn) und Wil (St. Gallen) für rote Köpfe.

Gebetsturm-Baugesuche in diesen drei Gemeinden 2007 lösten in Teilen der Bevölkerung grosse Proteste aus, im Gegensatz zu islamischen Gebetsräumen, die nie Kontroversen auslösten.

Die erste Moschee samt Minarett der Schweiz war 1960 in Zürich gebaut worden und hat ebenfalls nie Kontroversen ausgelöst.

In Bern Wankdorf sollte gar ein Islamisches Zentrum entstehen, das zu den grössten in Europa gezählt hätte. Dieses Projekt wird jedoch nicht weiterverfolgt.

Die Auseinandersetzungen führten dazu, dass die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei eine Volksinitiative «gegen den Bau von Minaretten» lancierte. Über diese wurde Ende November 2009 abgestimmt.

Entgegen vieler Erwartungen wurde sie mit 57,5% Ja klar angenommen, was zu weltweiten Reaktionen und Protesten führte. Sie führte aber dazu, dass die Diskussionen um den Islam in Europa in anderen europäischen Ländern zugenommen haben.

Die Islamische Gemeinschaft wollte in Langenthal ihre Moschee erweitern, und reichte ein Baugesuch ein, inklusive Minarett (ohne Lautsprecher).

Die Lokalbevölkerung reichte 3500 Unterschriften dagegen ein (Einsprachefrist Juli 2006). Die Stadt Langenthal bewilligte das Baugesuch.

Die Einsprachen, vom «Aktionskomitees Stopp Minarett» zu einer Beschwerde zusammengefasst, hiess die kantonalbernische Baudirektion im April 2007 gut. Die Bewilligung der Stadt wurde zurückgezogen.

Nach Änderungen im Baugesuch (keine Renovation, keine Erweiterung des Begegnungszentrums) erteilte die Stadt im Juni 2009, also noch vor der Abstimmung, eine teilweise Baubewilligung.

Ende September 2010 bestätigte die kantonale Berner Baudirektion diese Bewilligung teilweise, da sie noch vor dem Volksentscheid zustande gekommen sei: Ja zum Minarett, Nein zum Ausbau.

Sie wies auch die Beschwerde der Anwohner und des Aktionskomitees ab.

Im Oktober legte das Komitee darauf erneut eine Beschwerde gegen die Bewilligung ein – diesmal vor dem kantonalen Verwaltungsgericht.

Es wird mit einem Entscheid im Sommer 2011 gerechnet. Je nachdem, wie er ausfällt, steht es den Parteien offen, weiter an das Bundesgericht zu gelangen.

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