«Lasst einfach alles raus – aber ohne Gewalt!»
Seit den Vorfällen im japanischen Fukushima wird die Atomproblematik in Politik und der Bevölkerung breiter diskutiert. Auch die Jugend hat das Wort ergriffen – mit einer Demonstration auf dem Berner Bundesplatz.
Rund 1000 Menschen, vom Grundschul- bis zum Rentenalter, haben sich am späten Mittwochnachmittag auf dem Berner Bundesplatz zu einer friedlichen Demonstration versammelt. Sie unterscheidet sich von Kundgebungen, die von Erwachsenen organisiert werden. Gleich wichtig wie Reden ist hier die Bewegung: Auf der improvisierten Bühne lösen sich tanzende und singende Schüler- und Lehrlingsgruppen ab mit Rednerinnen und Rednern.
Und mittendrin ist Alba Perez, die 15-jährige Schülerin und Haupt-Organisatorin der Demonstration gegen Atom. Sie managt die einzelnen Auftritte, legt da und dort Hand an, feuert das Publikum an, Anti-Atom-Parolen zu skandieren: «Wir demonstrieren und protestieren, denn wir wissen, Atomstrom ist verschissen.»
Dazwischen gibt sie Interviews, ist Ansprechperson für Redner, Musikerinnern und Musiker. Dann feuert sie wieder das Publikum an: «Lasst einfach alles raus – aber ohne Gewalt!» Sie hat ihr Geschäft im Griff.
Engagement
«Wir sind heute jung, werden aber auch mal erwachsen. Wir stehen da, weil ein neues AKW gebaut werden soll, Mühleberg. Aber wenn man sieht, was in Japan geschehen ist, ist das nicht realistisch», begründet Alba ihr Engagement gegen den Neubau des Kernkraftwerks Mühleberg.
«Ich habe ein Komitee hinter mir. Wir sind eine Gruppe, die alles gibt und versucht, eine Wirkung zu erzielen. Aber ohne unsere Eltern hätten wir wahrscheinlich keine Bewilligung für die Demonstration erhalten», meint sie.
Zudem: «Wenn man so jung ist wie wir, weiss man manchmal nicht, was machen, wenn man verzweifelt ist, wenn es scheinbar nicht vorangeht. Da sind dann die Eltern da und geben Tipps, wie es weitergehen könnte. Das ist wirklich sehr cool.»
Für die Demonstration geworben haben die jungen Leute mit einer eigenen Facebook-Gruppe, mit Presseinterviews und natürlich Plakaten in den Schulen von Bern und Umgebung. Mit Erfolg, wie die rund 1000 Demonstrierenden bestätigen.
Zu grosses Risiko
Vielen Demonstranten ist vor allem das Risiko zu hoch, welches die Kernenergie mitbringt. «Informiert man sich richtig, merkt man, dass es AKW einfach nicht braucht, besonders in einem so hoch entwickelten Land wie der Schweiz», sagt die 27-jährige Tanja. Ihr Freund Roger (30) ist überzeugt: «Es gibt so viele technische Informationen, die sagen, dass es eigentlich nur noch ein politisches Problem ist, dass man nicht auf alternative Energien umschwenkt.»
Uhrmacherlehrling Richie gesteht: «Ich weiss, dass ich zu wenig Ahnung von der Materie habe. Aber der Atomstrom ist sehr effizient. Die Frage ist einfach, ob dies in Relation steht mit dem grossen Risiko, das AKW mit sich bringen.» Es sei hart, das zu sagen, «aber wahrscheinlich hat es so einen Weckruf wie Fukushima gebraucht für die Gesellschaft».
Richie sieht einen Silberstreifen am Horizont: «Ein grosser Teil der Industriellen und Arbeitgeber waren sehr lange Zeit für Atomkraftwerke. Jetzt, nach dem Unglück in Fukushima, beginnen viele langsam umzudenken. Ich hoffe, das wird nicht wieder vergessen. Aber eben, Tschernobyl ist auch ziemlich in den Hintergrund gerückt», relativiert er.
Unterschiedlichste Informationskanäle
Die jungen Menschen beziehen ihre Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen: Genannt werden Zeitungen, Fernsehen, das Internet und auch soziale Netzwerke wie Facebook.
Eine bedeutende Rolle bei der Informationsvermittlung spielt offenbar auch die Schule. Dominik: «Seit den Ereignissen in Japan ist das Thema von vielen Lehrern wieder aufgegriffen worden. Die meisten Mitschülerinnen und –schüler sind sich einig: Heute kann man nicht für die Atomenergie sein.»
Nur Lippenbekenntnisse?
Auf die Strasse gehen und sich gegen die Kernenergie auflehnen ist das Eine. Aber was tun die Jugendlichen selbst, um ihren Stromkonsum einzudämmen?
Richie: «Ich bin jetzt schon ein wenig bewusster. Der Musiksender MTV, den viele Junge schauen, hat auch viel gemacht in Sachen Stromsparaktionen.»
Aber sich einfach einschränken will oder kann er nicht: «Der Verbrauch von Strom wird bei mir wahrscheinlich immer gleich hoch bleiben. Nur wenn es absolut notwendig wäre, könnte ich mich zu Einsparungen durchringen. Aber es gibt sicher viel mehr Menschen, die bewusster Energie verbrauchen als ich.»
Ganz anders Roger und Tanja: «Wir sparen eigentlich überall, wo es geht. Wir verbrauchen in unserem 2-Personen-Haushalt pro Jahr rund 900 Kilowatt Strom. Das ist zwischen einem Drittel und einem Viertel des Normalstromverbrauchs. Jeder kann da was tun.»
Für Dominik ist es «offensichtlich, dass wir an unserem Konsumverhalten etwas ändern müssen. Das beginnt im Kleinen, wie Fernsehgeräte und Computer immer ganz abzustellen. Es muss Strom gespart werden, damit wir die 40% Atomstrom ersetzen können. Man kann nicht gegen Atomstrom sein und selber nichts an seinem Konsumverhalten ändern.»
Machen wir es mal besser?
Die Jugendlichen sind überzeugt, dass ihre Generation den Ausstieg aus der Kernenergie schaffen wird, wenn dies heute nicht gelingt. «Die 68er-Generation hat es nicht geschafft, einen Wandel zu vollziehen. Es liegt an uns, denn wenn man schon zum Vornherein sagt, es ändert sich ja sowieso nichts, dann hätte es auch diese Demo heute nicht gegeben», sagt Dominik.
An der Demonstration beteiligt sich auch die 10-jährige Hanna. «Die Erwachsenen bauen AKW, und wir Kinder müssen später damit leben. Deshalb sammle ich mit meinem Bruder Unterschriften gegen das AKW Mühleberg.» Sie ist von einem möglichen Wandel überzeugt: «Alle Jungen, die ich kenne, sind gegen das AKW. Bisher hat noch niemand eine Unterschrift verweigert.»
Das Komitee Jugendliche gegen Atom wurde von acht Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Japan gegründet. Es will zeigen, dass sich auch junge Menschen mit Engagement um die Umwelt sorgen können.
Für die Demonstration haben die jungen Leute Schilder und ein Transparent beschrieben, T-Shirts bemalt und Flyer gedruckt.
Der Demonstration am 6. April schlossen sich auch Greenpeace, die Jungsozialisten, die Sozialdemokratische Partei der Stadt Bern, die Grünen, die Jungen Grünen sowie die Junge Alternative an.
Auf dem Rasen am Viktoriaplatz, vor dem Sitz der BKW, der Betreiberin des Kernkraftwerks Mühleberg, haben sich Atomgegner eingerichtet. Seit Dienstag campieren sie in acht Iglu-Zelten vor der BKW.
Die Stadt Bern ist Besitzerin des Platzes. Sie will die Aktivisten vorderhand gewähren lassen. Erstens liege keine Gefährdung der Sicherheit vor, zweitens habe auch die BKW keinen dringenden Handlungsbedarf geltend gemacht, sagte der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause.
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