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Libanon: Schweiz beschränkt sich auf humanitäre Arbeit

Laut Micheline Calmy-Rey ist es noch zu früh, um über Schweizer Soldaten in Libanon zu sprechen. swissinfo.ch

Die Schweiz limitiert ihr Engagement im Nahost-Konflikt vorderhand auf den humanitären Aspekt und verstärkt die Nothilfe. Darauf hat sich die Landesregierung in einer Sondersitzung geeinigt.

Der Bundesrat bewilligte dazu fünf Mio. Franken, die vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eingesetzt werden können.

Das IKRK habe vor den fünf Millionen bereits 1,5 Mio. Franken für humanitäre Aufgaben erhalten, sagte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey nach der ausserordentlichen Regierungssitzung in Bern. Weitere Gelder könnten für andere humanitäre Organisationen freigegeben werden.

Zur Sondersitzung in Bern haben die Regierungsmitglieder ihre Ferien unterbrochen. Wirtschaftsminister Joseph Deiss war telefonisch zugeschaltet, da er sich wegen eines Rückenleidens in Spitalpflege befindet.

Intensiv habe die Landesregierung über die – neutralitätsrechtlich wichtige -Frage diskutiert, ob es sich beim gegenwärtigen Konflikt um einen Krieg zwischen zwei Staaten handle, so Calmy-Rey weiter. Dies sei eine rechtliche Frage, man könne unterschiedliche Meinungen haben, betonte die Aussenministerin.

Das ändere auch nicht viel für die Schweiz, da kein Kriegsmaterial an die Konfliktparteien geliefert werde. Zudem sei die militärische Zusammenarbeit mit Israel seit 2001 bereits eingeschränkt, fügte sie bei.

Diplomatische Lösung

Das wichtigste für den Bundesrat sei das Elend der betroffenen Menschen, und dass dieser Konflikt bald beendet werde. Der Bundesrat engagiere sich deshalb für eine diplomatische Lösung des Konfliktes im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO).

Man stehe hinter dem Plan von UNO-Generalsekretär Kofi Annan. Dieser sieht unter anderem die Freilassung und Übergabe der beiden in Libanon gefangenen israelischen Soldaten an das IKRK vor, die Stationierung einer internationalen Stabilisierungstruppe sowie Hilfen für den Wiederaufbau Libanons.

Toni Frisch besorgt

Bei der humanitären Hilfe hat die Schweiz rasch reagiert. So engagiert sie sich derzeit beim Aufbau eines Lagers für Vertriebene in Libanon. Zu diesem Zweck ist Toni Frisch, Chef des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH), nach Beirut gereist.

«Zu schaffen macht uns die hohe Zahl der Flüchtlinge», sagte Frisch telefonisch gegenüber swissinfo. Hunderttausende – ein Viertel der Bevölkerung – würden Unterkünfte, Wasser und medizinische Hilfe benötigen.

Die Schweizer Experten würden sich einerseits um die Evakuierung von Schweizer Bürgern kümmern, andererseits den Bedarf an Hilfsgütern abklären, so Frisch weiter.

Insgesamt hat die Schweiz bisher 30 Experten nach Libanon entsandt. Sie lieferte 800 Kilo Medikamente und 7 Tonnen andere Hilfsgüter.

Nur noch wenige Schweizer in Libanon

Der Bundesrat habe die erfolgreiche Evakuierung der Schweizer Staatsangehörigen aus dem Kriegsgebiet begrüsst, sagte Calmy-Rey nach der Sondersitzung. Bislang seien in 14 Operationen 875 Schweizerinnen und Schweizer aus Libanon evakuiert worden.

Dazu charterte das Aussenministerium (EDA) eine Fähre, Busse und Flugzeuge. Die Evakuierungen kosteten bisher 2,5 Mio. Franken. 215 Schweizer hätten das Land nicht verlassen wollen, 10 von ihnen aus dem Süden, sagte die Ministerin weiter.

Kein Militär

Die Entsendung von Schweizer Soldaten in den Nahen Osten ist zurzeit kein Thema. Man wisse nicht, ob und wie eine internationale Truppe aussehen werde. Die vorliegenden Informationen seien viel zu vage, als dass man überhaupt darüber diskutieren könne, sagte die Aussenministerin.

Angesprochen worden sei hingegen die Frage, ob es nützlich sei, Schweizer Soldaten zum Schutz der Botschaft in Beirut zu entsenden. Im Krisenstab sei man der Ansicht, dass dies momentan nicht nützlich sei.

swissinfo und Agenturen

Die Schweizer Regierung hat bisher 6,5 Mio. für Nothilfe an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bewilligt.
Das Schweizer Aussenministerium hat bisher 875 Personen aus Libanon evakuiert, darunter 80 Menschen anderer Nationen.
Die Evakuaierungen haben bisher 2,5 Mio. Franken gekostet.

Die grossen Schweizer Parteien haben den Entscheid der Regierung unterschiedlich kommentiert. Positiv haben alle das Engagement in der humanitären Hilfe bezeichnet. Was die politische Position betrifft, herrschen dagegen grosse Differenzen.

Die Sozialdemokraten (SP) kritisierten die «Passivität» der Regierung. Diese hätte die Verletzungen des Völkerrechts verurteilen und die militärische Zusammenarbeit mit Israel sofort stoppen sollen.

Die Grünen (GPS) zeigten sich «sehr enttäuscht» vom zurückhaltenden Ton der Schweizer Regierung. Auch sie plädieren für einen sofortigen Ausstieg aus der militärischen Kooperation mit Israel.

Die Zurückhaltung wurde dagegen von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) gelobt. Sie ist mit dem Bundesrat gleicher Meinung, dass keine Soldaten für den Schutz der Botschaft in Beirut nötig sind.

Zustimmung gabs auch von Seiten des Freisinns (FDP) und der Christlichdemokraten (CVP), welche die Haltung der Regierung als «realistisch» einstuften.

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