«Lieber nicht in Aktionismus verfallen»
Mit einem Konjunkturprogramm von 5 Mrd. Franken fordern die Gewerkschaften eine Abfederung der Rezession. Doch Gebhard Kirchgässner ist skeptisch. Der St. Galler Wirtschaftsprofessor warnt vor Aktionismus, der wenig bringe.
Gebhard Kirchgässner präsidiert die Kommission für Konjunkturfragen in Bern. Der aus Konstanz stammende Wissenschaftler lehrt seit den 70er-Jahren Volkswirtschaft in der Schweiz.
Die Struktur der Schweizer Wirtschaft sei nicht mit jener von Nachbarländern wie Deutschland zu vergleichen. Deshalb wirken konjunkturelle Impulsprogramme, wenn überhaupt, anders als im Ausland.
Wegen der hohen Exportquote der Wirtschaft sei die Abhängigkeit der Schweizer Wirtschaft vom Ausland derart viel höher als in anderen Ländern, dass Impulsprogramme im Inland vergleichsweise weniger Wirkung zeigen.
swissinfo: Was halten Sie vom Impulsprogramm der Gewerkschaften, im Vergleich zu anderen Vorschlägen?
Gebhard Kirchgässner: Der Gewerkschaftsbund schlägt neben den eigentlichen Konjunkturankurbelungs-Programmen, also den öffentlichen Investitionen, noch andere Massnahmen wie bessere Kinderbetreuung oder Weiterbildung vor.
Diese mögen zwar für sich genommen sinnvoll sein, doch einen Zusammenhang mit der Konjunktur haben sie kaum.
Ausserdem spricht sich der Gewerkschaftsbund gegen Steuererleichterungen aus.
swissinfo: Gibt es Unterschiede zwischen diesen gewerkschaftlichen Vorschlägen im Inland und den konjunkturellen Paketen, die in anderen Ländern vorgeschlagen werden?
G.K.: Ein erster Unterschied liegt darin, dass in den inländischen Vorschlägen die Autoindustrie keine Rolle spielt, während diese Branche in Deutschland und den USA eine erhebliche Rolle spielt.
Auch sind die zusätzlichen Massnahmen, welche die Gewerkschaften neben der eigentlichen Förderung der öffentlichen Investitionen wünscht, in den Programmen anderer Länder – soviel ich weiss – nicht enthalten.
swissinfo: Die Schweizer Wirtschaft ist einerseits kleiner, andererseits aber viel globaler ausgerichtet als jene der Nachbarländer. Wie liesse sich im Schweizer Finanzbereich die Konjunktur ankurbeln?
G.K.: Gerade im Finanzbereich hat die Schweiz ähnliches gemacht wie andere Länder. Den Banken wurden entsprechende Garantien gegeben und Kredite zur Verfügung gestellt.
Hier ist die Situation der Schweiz nicht prinzipiell anders als in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die Massnahmen-Pakete ähnlich sind.
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swissinfo: Wie lässt sich der realen Wirtschaft helfen, und den vielen Exporteuren, die das Rückgrat des schweizerischen Wohlstandes ausmachen?
G.K.: Die Krise schwappt ja jetzt langsam, aber sicher vom Finanzbereich in die Realwirtschaft über. Hier gibt es dramatische Unterschiede zwischen der Schweiz und anderen Ländern.
In der Schweiz ist vor allem der Exportsektor betroffen. Und diesem Sektor kann mit der Förderung staatlicher Investitionen nur wenig geholfen werden. In Deutschland und den USA hingegen hat die Exportindustrie immer auch grosse Binnen-Märkte, wo nationale Programme wirksam sind.
swissinfo: Sollte sich die Schweiz deshalb, angesichts ihrer spezifisch aufs Ausland ausgerichteten Wirtschaft, mit der EU abzustimmen, bevor sie ein inländisches Impulsprogramm zusammenstellt?
G.K.: Eine Absprache mit Brüssel ist meines Erachtens nicht erforderlich. Das Problem bleibt, dass die Schweiz im realen Wirtschaftsbereich relativ wenig ausrichten kann.
Das sollte man sich eingestehen, und nicht in Aktionismus verfallen.
swissinfo: Mit Steuergeldern liesse sich dieses Impulsprogramm wohl kaum finanzieren, der Staat müsste sich verschulden. Weshalb können sich Regierungen in rezessiven Zeiten verschulden, während Privatunternehmen kaum noch Kredite erhalten?
G.K.: Formal geht dies ganz einfach. Der Staat kann Staatspapiere ausgeben, und solange diese Papiere von Privaten gekauft werden, kann er sich weiter verschulden.
Eine private Firma, die einen Kredit von einer Bank haben möchte, befindet sich in einer völlig anderen Situation.
swissinfo: Das gilt auf kurze Frist. Und wie sehen die langfristigen Auswirkungen aus?
G.K.: Gerade bei der Eidgenossenschaft ist der Schuldenberg in den letzten 20 Jahren massiv gestiegen. Deshalb macht es wenig Sinn, hier mutwillig zusätzliche Schulden anzuhäufen.
Wenn ohnehin geplante Investitionsprogramme weitergeführt werden, spricht nichts dagegen. Auch wenn während Rezessionen die Steuereinnahmen ohnehin zurückgehen, wirken solche Programme als automatische Stabilisatoren.
Für den Staat wenig sinnvoll wäre hingegen, sich in einem solchen Zeitpunkt darüber hinaus zusätzlich zu verschulden.
swissinfo-Interview: Alexander Künzle
Die Einschätzung von konjunkturellen Impulsprogrammen ist seit Jahrzehnten umstritten.
Der englische Ökonom der grossen Wirtschaftskrise, John Maynard Keynes, hat die Stützungsprogramme «erfunden». Er argumentierte, dass sich der Staat antizyklisch verhalten müsse:
Da die Bevölkerung während Krisen und Rezessionen nicht konsumiere und investiere, müsse die Regierung dies ersatzweise tun. Damit würden rezessive Ausschläge nach unten abgefedert.
(Neo-)Konservative Ökonomen hingegen sind solchen Programme gegenüber kritisch eingestellt.
Sie befürchten eine Überschuldung des Staathaushaltes, oder noch schlimmer inflationäre Effekte, falls die benötigten Summen direkt über die Notenpresse «finanziert» werden.
Beides trage dazu bei, jeweils auf Rezessionen folgende Aufschwünge zu verzögern.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB hat Anfang Woche seine Vorstellung vorgestellt, wie Gegensteuer zur laufenden Krise gegeben werden könnte.
Er befürchtet eine Zunahme der Arbeitslosigkeit.
Um die Massnahmen wissenschaftlich abzustützen, hat der SGB bei der KOF-ETH eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben.
Diese schätzt die Impulse pro Franken, die für das Programm ausgegeben werden, auf 1.60 Fr.
Das ergäbe 7 Mrd. Franken Investitionen für die 5 Milliarden des Programms.
Der Bundesrat hat Vorschläge im Umfang von 1,65 Mrd. Franken, die Sozialdemokratische Partei (SP) solche in der Höhe von mindestens 6 Mrd. Franken.
Die Schweizerische Volkspartei SVP schlägt 500 Franken für jeden Bürger vor, und eine Senkung der Mehrwertsteuer um ein Prozent.
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