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LSVA: «Es würde das Verhältnis mit der EU belasten»

Die Verlagerung des Schwerverkehrs kommt ins Stocken. Ex-press

Der Bundesrat habe die Schwerverkehrsabgabe unrechtmässig erhöht, urteilt das Bundesverwaltungs-Gericht. Ein Zurückkrebsen bei der LSVA könnte zu zähen Verhandlungen mit der EU führen, sagt der Präsident der ständerätlichen Verkehrskommission Peter Bieri.

Das Transportgewerbe hat im Kampf um die Erhöhung der LSVA einen ersten Erfolg errungen: Laut einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts müssten Camioneure mit der Tariferhöhung mehr zahlen, als sie an Kosten verursachten.

Das Gericht hat damit eine Beschwerde des Nutzfahrzeugverbands Astag und zweier Transportfirmen gutgeheissen.

Die Stauzeitkosten – die Kosten wegen staubedingten Zeitverlusten anderer Verkehrsteilnehmer – dürften dem Lastwagengewerbe nicht speziell verrechnet werden, befand das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag. Die vom Bund im Jahr 2008 vorgenommene Erhöhung der LSVA um rund 10 Prozent sei deshalb nicht gerechtfertigt gewesen und müsse rückgängig gemacht werden.

Die Erhöhung der LSVA stiess bei den betroffenen Transportunternehmen von Anfang an auf grosse Kritik: Sie deckten die Oberzolldirektion (OZD) mit Einsprachen ein. Nachdem die OZD in drei Pilotverfahren die Einsprachen der Astag und der Camioneurfirmen abgelehnt hatte, waren diese an das Bundesverwaltungsgericht gelangt, das ihnen nun Recht gab.

«Rückschlag für Verlagerungspolitik»

Die Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene erleide durch das Urteil einen Rückschlag, teilte das Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) in einer Medienmitteilung mit. Die LSVA sei ein zentrales Element der Verlagerungspolitik, welche die Schweizer Stimmberechtigten an der Urne mehrfach bestätigt hätten.

Nach einem grundlegenden Volksentscheid von 1994 über eine leistungsabhängige Abgabe wurde im September 1998 das Gesetz angenommen, aufgrund dessen anstelle der pauschalen Abgabe seit dem 1. Januar 2001 die LSVA erhoben wird. Dabei segnete das Schweizer Volk namentlich den mit der dritten und letzten Erhöhung angestrebten Durchschnittswert von 325 Franken auf der Referenzstrecke Basel-Chiasso ab.

Weg ans Bundesgericht?

Die LSVA habe massgeblich zu einer Effizienzsteigerung im Transportgewerbe beigetragen und einen wesentlichen Beitrag zur Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene geleistet, so das UVEK. «Um das von der Verfassung vorgegebene Ziel der Verkehrsverlagerung zu erreichen, ist zusätzlich auf neue Instrumente zu setzen, allen voran auf die so genannte Alpentransitbörse».

Auch Verkehrsminister Moritz Leuenberger zeigte sich über das Bundesverwaltungsgerichts-Urteil enttäuscht. Er sei «praktisch sicher», dass das Urteil weitegezogen werde, sagte er am Mittwoch gegenüber Radio DRS. Ihn störe das Urteil aus Sicht der Verlagerungspolitik wie auch aus demokratischer Sicht.

«Willkürlich» und «widerrechtlich»

Anders sieht es Adrian Amstutz, Astag-Präsident und Berner Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Eine Umsetzung, die gegen geltende Rechtsbestimmungen verstosse und die LSVA von einem umwelt- zu einem fiskalpolitischen Instrument umgestalten wolle, sei unzulässig, sagte er am Dienstag an einer Pressekonferenz in Bern.

Auch für Astag-Vizepräsident Jean-Daniel Faucherre steht eindeutig fest, dass der Bundesrat willkürlich und widerrechtlich handelte, als er die LSVA-Tarife 2008 erhöhte. Die Richter hätten den Beweis angetreten, dass die Rechtsstaatlichkeit höher zu achten sei als «Wunschträume und Verlagerungsfantasien».

«Belastung für Verhältnis zu EU»

Doch was würde konkret passieren, falls der Bund das Urteil an das Bundesgericht weiterzieht und dieses den Transportbetrieben Recht gäbe?

Wenn der mit der EU im Landverkehrsabkommen vereinbarte Höchstbetrag von 325 Franken nicht aufrechterhalten werden könne, entgingen dem Bund jährliche Einnahmen von über 150 Mio. Franken, sagt Peter Bieri, der christlichdemokratischer Ständerat und Präsident der ständerätlichen Verkehrskommission, gegenüber swissinfo.ch. «Dies würde den Ausbau des Schienenverkehrs zur Verlagerung drastisch verzögern.»

Diese Gelder würden dann etwa nicht nur für den Bau der Neat, sondern auch von Hochgeschwindigkeits-Anschlüssen sowie für die Weiterentwicklung der Bahn 2000 fehlen, sagt Bieri.

Würde die vom Schweizer Volk und nach langem Ringen von der EU akzeptierten Lösung umgestossen – eine Lösung, die heute als Vorzeigeobjekt in Sachen Verlagerungspoltik gelte -, würde dies zu Verunsicherung führen, so Bieri.

«Es wird wiederum zu zähen Verhandlungen führen und das Verhältnis mit der EU wohl eher belasten», befürchtet Bieri.

Bieri stört sich an der Diskrepanz zwischen dem vom Volk und der EU akteptierten Landverkehrsabkommen, das auf einer politischen Betrachtungsweise basiert, und der nun herangezogenen ökonomischen Berechnungsweise mit naturwissenschaftlichen Argumenten und Fakten.

Es gehe einfach um die Frage, wie viel einem die Verlagerung des Schwerverkehrs wert sei. «Wer an der Autobahn wohnt, nimmt das Ganze anders wahr als jemand, der weit abseits lebt.»

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Mit der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) soll der Schwerverkehr die ihm zurechenbaren Wegkosten und Kosten zulasten der Allgemeinheit langfristig decken, soweit er für diese nicht bereits durch andere Leistungen oder Abgaben aufkommt.

Die LSVA ist eine vom Gesamtgewicht, der Emissionsstufe sowie den gefahrenen Kilometern in der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein abhängige Abgabe. Sie gilt für Motorfahrzeuge und deren Anhänger, die ein zulässiges Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen aufweisen.

In der Schweiz ist seit 1985 die Benutzung der Autobahnen abgabepflichtig. Für Personenwagen wird seither die Autobahnvignette benötigt, für Fahrzeuge über 3,5 t eine pauschale Schwerverkehrsabgabe.

Nach einem grundlegenden Volksentscheid von 1994 über eine leistungsabhängige Abgabe wurde im September 1998 das Gesetz angenommen, aufgrund dessen anstelle der pauschalen Abgabe seit dem 1. Januar 2001 die LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe) erhoben wird.

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