Maria ist jetzt Bürgerin von Meggen
Seit dem Bundesgerichtsentscheid 2003 gelten Einbürgerungen an der Urne als verfassungswidrig. An der Gemeindeversammlung sind sie noch zulässig, abgelehnte Anträge müssen jedoch begründet werden. Ein Augenschein in Meggen, Luzern.
An der Gemeindeversammlung von Meggen herrscht kein Andrang, die vordersten Reihen sind leer. Auf der Bühne des Gemeindesaals, dort wo sonst Dorftheater aufgeführt werden, sitzen die Gemeindevertreter an einem langen Tisch.
Im Saal sind kaum junge Gesichter auszumachen. Es ist mucksmäuschenstill, mit verschränkten Armen und konzentrierten Gesichtern hören die Megger und Meggerinnen den Reden des fünfköpfigen Gemeinderats und der Rechnungskommission zu.
Bei Traktandum eins und zwei geht es ums Geld. Das heisst um 14 Mio. Franken Überschuss und einen Steuerrabatt. Die luzernische 6500-Seelen-Gemeinde Meggen ist reich. Nicht nur die herrliche Aussicht auf den Vierwaldstättersee, sondern auch der tiefste Steuersatz im Kanton locken Wohlhabende an.
«Bitte kurz aufstehen»
Nach den Finanzen ist Traktandum drei an der Reihe: die Einbürgerungsgesuche. Vier Personen haben den Schweizer Pass beantragt: Maria B. aus Brasilien (Name von der Redaktion geändert) und ihr minderjähriger Sohn, Monika C. aus Ungarn und der 11-jährige Gregory F. aus Amerika.
«Können Sie vielleicht kurz aufstehen, damit wir Sie alle sehen», sagt Gemeindepräsident Andreas Heer zu Maria, die als erste auf der Liste steht. Im Saal drehen sich die Köpfe kurz um und richten sich dann wieder nach vorn auf den Gemeindepräsidenten.
Heer gibt Einblick in den Lebenslauf der Einbürgerungskandidatin. Die Megger erfahren nicht nur, wo und wann Maria geboren wurde und wie sie aufgewachsen ist, sondern auch, dass sie von ihrem Schweizer Ehemann geschieden ist und ihre Kinder zwei verschiedene Väter haben.
Das Publikum erfährt auch, wie die Privatkundenberaterin ihre Freizeit verbringt. «Das Fotografieren und das Goldschmied-Handwerk zählen zu ihren Leidenschaften», so Heer. Für eine Mitgliedschaft in Vereinen bleibe neben dem Familienleben wenig Zeit.
Rosen und Applaus
«Ihr Lebensmittelpunkt ist in Meggen. Sie kann sich nicht vorstellen, wieder in Brasilien oder in einem anderen Land als der Schweiz zu leben», schliesst Heer Marias Biografie.
Nach der Präsentation der Lebensläufe bittet der Gemeindepräsident die Einbürgerungskandidaten den Saal zu verlassen. Er habe sich bei einem persönlichen Gespräch mit den Gesuchsstellern ein «sehr gutes Bild machen können», sagt er. Der Gemeinderat stehe hinter den Anträgen.
Niemand der 105 anwesenden Megger stellt einen Gegenantrag. Damit gelten die Einbürgerungsgesuche als angenommen. Hätte jemand einen Gegenantrag gestellt, hätte er diesen begründen müssen und es wäre darüber abgestimmt worden.
«Du kannst sie reinlassen», sagt Heer zu einer Gemeindeangestellten. Applaus. Der Gemeindepräsident gratuliert den frischgebackenen Schweizern und übergibt ihnen eine gelbe Rose.
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Volksinitiative
Auch Finanzen unter der Lupe
«Ich versuche immer, das Einbürgerungsverfahren möglichst würdevoll durchzuführen», sagt Heer nach der Gemeindeversammlung gegenüber swissinfo.
Haben in Meggen, das lediglich einen Ausländeranteil von 10% aufweist, auch arme Ausländer eine Chance auf Einbürgerung? «Es geht grundsätzlich darum, herauszuspüren, ob sich die Gesuchsstellenden in der Schweiz integriert fühlen», so Heer. Doch müssten sie nicht nur in Bezug auf Integration und Sprache, sondern auch im Bereich Steuern und Finanzen ihren Verpflichtungen nachkommen.
Für den freisinnigen Gemeindepräsidenten hätte eine Annahme der Initiative «Für demokratische Einbürgerungen», die am 1. Juni 2008 vors Volk kommt, keinen Einfluss auf Meggen. «Wir würden einbürgern wie bisher.» Die Initiative fordert, dass jede Gemeinde selbst bestimmen kann, wie sie einbürgern will, und dass deren Entscheide nicht mehr angefochten werden können.
Schweizerischer als Schweizer
«Ich habe draussen gezittert», sagt die 37-jährige Maria, die seit 23 Jahren in der Schweiz lebt. Der Schweizer Pass sei ihr wichtig, denn sie sei sehr verwurzelt in der Schweiz. Ihre Mutter und ihre Schwester lebten hier und ihre beiden Söhne gingen hier zur Schule.
Hat sie das Ganze nicht als Schaulaufen empfunden? «Es werden schon intime Fragen gestellt. Aber ich lebe mein Leben offen, ich habe da nichts zu verstecken», sagt Maria.
Als Einbürgerungskandidat müsse man fast schweizerischer sein als die Schweizer, bestätigt sie. Aber wenn ein Ausländer Brasilianer werden will, werde er auch gefragt, ob er sich für Fussball interessiere.
swissinfo, Corinne Buchser, Meggen
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Bundesgericht
Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, muss mindestens 12 Jahre im Land wohnhaft und gut integriert sein sowie sich an die schweizerische Rechtsordnung halten.
Die Einbürgerung erfolgt durch den jeweiligen Kanton und die Wohngemeinde.
2007 wurden etwas über 45’000 Einbürgerungen vorgenommen, leicht weniger als 2006. In der Schweiz leben mehr als 20% Ausländerinnen und Ausländer.
Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen oder an der Urne wurden von einigen Gemeinden vorwiegend in der Deutschschweiz praktiziert. Zu reden gaben besonders die Ablehnungen in Emmen (Luzern).
Chancenlos waren dort Kandidaten mit Namen, die auf eine Herkunft aus Ländern des ehemaligen Jugoslawiens schliessen liessen.
2003 entschied das Bundesgericht, ablehnende Entscheide müssten begründet werden. Seit dem Lausanner Urteil sind damit Einbürgerungen an der Urne faktisch illegal.
Um das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts umzustossen, lancierte die SVP die Einbürgerungs-Initiative, über die das Schweizer Volk am 1. Juni 2008 abstimmen wird.
«Gehören Einbürgerungen an die Urne?» fragte swissinfo die Leserschaft zwischen dem 21.4. und dem 1.5.2008.
An der nicht repräsentativen Umfrage beteiligten sich 536 Personen. Das Resultat: 206 (38%) sagten Ja, 317 (59%) Nein. 13 Personen (2%) wussten noch nicht, wie sie abstimmen wollen.
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