Massimo Rocchi – Schweizer aus Polit-Passion
Massimo Rocchi gehört mit seinen italienischen Wurzeln zu den beliebtesten Komikern in der Schweiz. Mit Ironie skizziert er Szenen des helvetischen Alltags und der Schweizer Politik und entblösst dabei die Gesellschaft.
swissinfo.ch: Eigentlich sind Sie ein Pantomime. Aber einer, der spricht und mit der Sprache spielt. Wie umschreiben Sie Ihre Kunst?
Massimo Rocchi: Danke für das Prädikat Kunst! Alle Theaterschulen, die ich besuchte, habe ich durcheinander gebracht, und jetzt bin ich eben hier. Meine Kunst ist etwas zwischen einer Chimäre und einem Harlekin. Ich weiss selber nicht, wie ich mich umschreiben soll. Im Telefonbuch steht ‹Schauspieler›. Mir würde ‹Komiker› mehr gefallen, aber das fände ich dann wieder überheblich.
Vielleicht bin ich ein ‹anthropologischer Barometer› – dick aufgetragen, nicht wahr? Es gefällt mir, herauszufinden, was gegenwärtig gesellschaftlich grad in der Luft liegt. Ich bin fasziniert vom Menschen, bin aber selbst ein seltsames Wesen, wohl das einzige, das die Angst fürchtet.
swissinfo.ch: Stellt die Mehrsprachigkeit der Schweiz für Sie ein Hemmnis oder eine Chance dar?
M. R.: Ausschliesslich eine Chance. Die Schweiz ist ein erfolgreiches Europa. Man spricht hier diverse Sprachen und versteht sich untereinander. Auch die Dialekte sind eine Gelegenheit, aber nicht die einzige. Der Dialog kann in der Schweiz ein Zeichen der Zuneigung, aber auch der Isolierung sein – wie überall in Europa.
swissinfo.ch: Massimo Rocchi hat in allen Sprachregionen Erfolg. Wie gelingt es Ihnen, Rösti- und andere Gräben zu überwinden?
M. R.: Für mich existiert kein ‹Röstigraben›. Ob Valle Maggia, Schwarzenburg oder Vallée de Joux, es ändert sich vielleicht das Äussere, aber die Essenz bleibt dieselbe. Das Aussehen der Kirchtürme variiert, doch die Gemüter und die Migros-Läden sind die gleichen. Das einzige wirklich Unterschiedliche liegt in den unterschiedlichen Steuersätzen.
Soviel ich weiss, gab es in der Schweiz nie einen König. Den Schweizern war die Unabhängigkeit immer wichtig. Monarchen haben sie nie wirklich gemocht. So hoffen wir, dass sie heute auch die Populisten nicht wirklich mögen, die ja eine Art Monarchie mit Krawatte darstellen.
swissinfo.ch: In Ihrem jüngsten Spektakel vergleichen Sie Europa mit einer Schallplatte und die Schweiz mit dem Loch in der Mitte, das es braucht, damit sich die Platte überhaupt dreht. Glauben Sie, dass sich die EU noch lange um dieses Loch herum dreht?
M. R.: Ich glaube nicht, dass die Schweiz der Europäischen Union betreten wird. Falls dies dennoch geschieht, wird sie ihren Franken beibehalten. In Brüssel gibt es viele Politiker, die jene Europäer nicht begriffen haben, für welche die Schweiz ein Traum, wenn nicht gar ein Mythos ist.
Doch die Schweiz wird sich ihr Fehlen in Brüssel erkaufen müssen, und zwar zu einem gesalzenen Preis. Einem Preis dafür, dass sie von der Sicherheit mitprofitiert, die in Europa geschaffen werden konnte. Erscheint Ihnen das etwas wenig?
swissinfo.ch: Sie sind nicht einfach so Schweizer, sondern weil Sie sich dafür entschieden haben. Weshalb wollten Sie das Schweizer Bürgerrecht?
M. R.: Weil ich nach so vielen Jahren Aufenthalt festgestellt hatte, dass ich mich hier eher zu Hause fühle als dort, wo ich geboren wurde. Meine Töchter sind Schweizerinnen, da wollte ich nicht hinten anstehen. Auch ich bin nun die Schweiz, ein kleines Stückchen Schokolade.
Auch ich kann nun wählen und abstimmen. Politik ist meine Leidenschaft. Giorgio Gaber (ein italienischer Cantautore und Schauspieler, A.d.R.) pflegte zu sagen: «Könnte ich eine Idee aufessen, hätte ich meine Revolution gemacht.» Wer wählt, der macht seine kleine grosse Revolution.
Ich bin auch glücklich, in einem Land zu leben, wo meine Meinung gefragt ist. Und eigentlich vertraue ich jemandem, der das Falsche wählt, mehr als einem, der das Richtige sagt, aber überhaupt nicht wählt…
swissinfo.ch: Und wie fühlen Sie sich im Land ihrer Adoption?
M. R.: Ich bin ein Svizzero, ein Svitaliano, so wie es Sviturcos gibt oder Albanvetier oder was weiss ich. Ich empfinde Dankbarkeit, Leidenschaft, manchmal aber auch Ungeduld.
swissinfo.ch: Auf der Bühne teilen Sie ja auch an Politiker Peitschenhiebe aus. Welches sind die Vor- und Nachteile der Schweizer Politiker?
M. R.: Die gleichen wie Vor- und Nachteile der Wählerinnen und Wähler, die sie wählen. Heute wirkt ein Politiker sympathisch, wie ein Komiker wirken sollte. Und vom Komiker verlangt man Moral und Seriosität, was man von einem Politiker verlangen sollte.
Was möchten Sie, dass ich Ihnen sage? Vielleicht werde ich eines Tages selbst Parlamentarier… Schweizer Abgeordneter in Brüssel… in zehn Jahren… oder besser Lichtjahren!
swissinfo.ch: Irgendwie machen ja auch Sie Politik. Haben Ihre Kritiken einen Einfluss auf das Publikum?
M. R.: Das Publikum lacht und applaudiert. Aber wohl ein Drittel dieses Publikums wählt oder stimmt so ab, wie es diejenigen möchten, die ich auf der Bühne auslache.
Im Theater kann man alles kritisieren und über alles lachen. Aber das Theater kann die Welt nicht ändern.
swissinfo.ch: Ist die politische Satire in einem Land wie der Schweiz, wo es wenig Leute gibt, die als Opfer in Frage kommen, schwieriger als beispielsweise in Italien?
M. R.: Es ist, als ob man mit einem halben Kilo Pasta eben für zehn Personen kochen müsste. Gewisse Aussagen von Politikern sind leerer als ein hohler Zahn.
swissinfo.ch: Was erwarten Sie als aufmerksamer Beobachter der Schweizer Politik von den Parlamentswahlen im Herbst?
M. R.: Würden meine Voraussagen zutreffen, ginge ich in einen Verwaltungsrat oder begänne, Karten zu legen.
Aber etwas wünsche ich mir: Ich hätte gerne, dass die Schweiz beim Schachspiel nicht immer nur die schwarzen Figuren bewegt, sondern auch die weissen. Wir müssen der Jugend zeigen, dass man zwar spielen kann, dass es aber auch Mut bracht, Entscheide zu treffen.
Die Jungen sind bereit. Die neue Generation, die Secondos und die Terceros wünschen sich von uns Erwachsenen, dass wir ihnen nicht im Wege stehen.
Wir sind derart fixiert auf das Bild des Gesetzesbrechers, dass wir zu guter Letzt glücklich sind, wenn dann wirklich etwas passiert. Auch ich sehe ja, dass es in unserer Gesellschaft Deliquenz, Diebstahl und Aggression gibt.
Aber es sind Episoden und keine biblischen Plagen. So kommen auch die Grenzgänger in die Schweiz, um das zu putzen, was wir verdreckt haben.
Erwähnen möchte ich auch ein neues Phänomen, das ich noch genau nicht umschreiben kann und dessen Folgen noch nicht absehbar sind. Nämlich die neuen reichen Ausländer. Früher boten wir ausländischem Geld Sicherheit. Heute bleibt jener, der sein Geld hierher bringt, gleich selbst im Land.
Was passiert mit dieser neuen Art der Immigration von Wohlhabenden? Einst hiess es, «das Boot ist voll»; wird es in einigen Jahren heissen: «Die Jacht ist voll?»
Massimo Rocchi wird 1957 in Cesena in der Emilia Romagna geboren.
Nach der Matura folgt eine Theaterausbildung an der Uni Bologna, und eine Mimen-Ausbildung in Frankreich, mit Diplom 1982.
1986 kommt Rocchi nach Bern. Er realisiert «Spiagge Italiane», gefolgt 1989 von «Mammamia», beide auf italienischen und Schweizer Bühnen gespielt.
Damit beginnt eine Serie von Kreationen, mit denen sich Rocchi in allen Sprachregionen der Schweiz und darüber hinaus einen Namen macht.
Seine Theater-Spektakel haben auch in Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich Erfolg.
Ausser für das Theater hat Rocchi auch für den Nationalzirkus Knie und für verschiedene Fernseh-Programme gearbeitet.
Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem 2005 den SwissAward Showbusiness, und 2006 den Kabarett-Preis «Cornichon».
Rocchi karikiert gerne Nationalitäten-Klischees, sprachliche Eigenheiten und Absurditäten. Dabei nutzt er Deutsch, Hochsprache und Dialekt, Französisch, Italienisch und Spanisch, und zwar oft innerhalb desselben Programms.
Seit 2010 geht Rocchi mit rocCHipedia auf Tournée.
Der gebürtige Italiener ist jetzt Schweizer, hat seine neue Heimat gründlich studiert und ist in die Eigentümlichkeiten der Eidgenossen eingetaucht.
Dabei hat er eine umfassende Schweiz-Enzyklopädie frei nach Rocchi erschaffen.
Er berichtet von der Entstehung der Schweizer Alpen, den Urkantonen, den alten Eidgenossen, von Calvin und Konkordanz und den Bundesräten.
rocCHipedia ist eine Geschichtsstunde der etwas anderen Art, aber didaktisch und pädagogisch höchst modern und qualitätskontrolliert.
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
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