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Mehr Rechte für das Volk

Hauptkritik: 100'000 Unterschriften für die "allgemeine Volksinitiative". Keystone

Die Bürgerinnen und Bürger sollen auf Gesetzesebene und in der Aussenpolitik mehr Mitsprache erhalten. Dies mit einer Revision der Volksrechte.

Die Vorlage kommt am 9. Februar zur Abstimmung. Sie wird von links und von rechts bekämpft.

Nach jahrelangem Ringen in beiden Räten hat sich das schweizerische Parlament zu einer Mini-Reform der Volksrechte durchgerungen. In einer direkten Demokratie wie der schweizerischen kommt den Volksrechten eine Schlüsselstellung zu.

Ursprünglich war vorgesehen, eine umfassende Neugestaltung der Volksrechte zusammen mit der Erneuerung der Bundesverfassung an die Hand zu nehmen. Doch am Schluss blieben nur einige wenige Änderungen übrig.

Zwei neue Instrumente

Hauptpunkte der Reform sind zwei zusätzliche direktdemokratische Möglichkeiten: Die neue «allgemeine Volksinitiative» und die Erweiterung des fakultativen Staatsvertrags-Referendums.

Sie sollen die bisherigen Volksrechte – die eidgenössische Volksinitiative und das Referendum – ergänzen.

Derzeit kann mit einer Initiative nur eine Änderung der Verfassung verlangt werden. Dies führt seit Jahrzehnten zu einer Überfrachtung der Bundesverfassung, weil viele Änderungen eigentlich in einem Bundesgesetz umgesetzt werden könnten.

Bundesverfassung entlasten

Die «allgemeine Volksinitiative» soll hier nun Abhilfe schaffen. Sie schreibt nicht vor, ob eine Änderung auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe umgesetzt werden soll. Das Parlament soll dies stufengerecht selbständig entscheiden können.

Damit eine allgemeine Volksinitiative zustande kommt, werden 100’000 Unterschriften benötigt – gleich viele wie für die eidgenössische Volksinitiative. Allerdings kann bei dieser der genaue Text vorgegeben werden.

Dies ist auch der Hauptgrund für die ablehnende Haltung der Sozialdemokraten: «Bei der bisherigen Verfassungsinitiative mit 100’000 Unterschriften weiss ich ganz genau, was dem Volk einmal zur Abstimmung vorgelegt werden wird. Und das weiss ich bei der allgemeinen Volksinitiative nicht», sagte Nationalrat Andreas Gross gegenüber swissinfo.

Nicht zwingend zur Abstimmung

Hansheiri Inderkum, christlichdemokratischer Ständerat, glaubt jedoch nicht, «dass von der allgemeinen Volksinitiative wegen der 100’000 Unterschriften nicht Gebrauch gemacht wird».

Inderkum ist, zusammen mit der Mehrheit im Parlament, überzeugt, dass diese neue Initiative die Verfassung und das Stimmvolk entlasten wird. Denn eine «allgemeine» Initiative wird nur zur Abstimmung kommen, falls das Referendum dagegen ergriffen wird – oder falls die Initianten die Umsetzung erfolgreich beim Bundesgericht anfechten.

«Zu hohe Hürde»

Ursprünglich hatte der Bundesrat vorgeschlagen, für die allgemeine Initiative 70’000 Unterschriften zu verlangen. Die nun nötigen 100’000 Unterschriften seien ein Hindernis, meint Andreas Gross:

«Das Unterschriftensammeln ist heute wesentlich schwieriger geworden, weil das Urnenlokal als privilegierter Ort des Sammelns nicht mehr da ist.» Die Vorlage sei daher ein «unfertiges, niemanden befriedigendes Paket».

Es bleibe weiterhin nur potenten Interessengruppen vorbehalten, eine Initiative zu lancieren. «Das frustriert jene, die sich schon schlecht im Parlament vertreten fühlen.»

Ablehnung auch von rechts

Was der Linken zu wenig weit geht, ist der Rechten schon zu viel. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) lehnt die Vorlage ebenfalls ab: Sie befürchtet einen versteckten Angriff auf das Ständemehr.

Denn das Parlament erhalte mit der allgemeinen Volksinitiative die Möglichkeit, die Kantone, sprich Stände, je nach ihrem Widerstand über die Gesetzesstufe zu umgehen.

Dies, weil die allgemeine Initiative nur zur Abstimmung kommt, falls das Referendum dagegen ergriffen wird, und zur Annahme oder Ablehnung eines Referendums kein Ständemehr nötig ist.

Dies entspreche konkret einer Stärkung des Parlaments und einer Schwächung der kleinen Kantone. «Bei heiklen politischen Fragen wird man dazu tendieren, die Gesetzesebene zu wählen,» gibt die SVP zu bedenken.

Auch das parteiübergreifende bürgerliche Komitee «Nein zur Selbstbedienungs-Demokratie» setzt sich mit ähnlichen Argumenten gegen die Vorlage ein.

Staatsverträge vors Volk

Weniger umstritten ist die zweite Änderung, die Erweiterung des fakultativen Staatsvertrags-Referendums: Neu sollen Staatsverträge dem fakultativen Referendum unterstellt werden, wenn sie «wichtige rechtssetzende Bestimmungen» enthalten, oder wenn deren Umsetzung neue Bundesgesetze nötig macht.

Ein Beispiel: Der Vertrag zwischen der Schweiz und Thailand über die Überstellung von Straftätern würde in diese Kategorie fallen. Der Grund: Er enthält wichtige rechtssetzende Normen.

Solche Staatsverträge sollen durch das neue fakultative Referendum mit 50’000 Unterschriften zur Abstimmung gebracht werden können.

Das Luftverkehrs-Abkommen zwischen der Schweiz und Deutschland oder die Alpenkonvention würden aber voraussichtlich nicht unter das fakultative Staatsvertrags-Referendum fallen.

Mehr oder weniger Mitsprache?

Hansheiri Inderkum hält dieses Instrument für «zeitlich angemessen». Denn es sei wichtig, «dass wir eine Kongruenz haben bei der Mitwirkung im innerstaatlichen Recht und bei der Mitwirkung im Recht, das über Staatsverträge in die schweizerische Rechtsordnung einfliesst».

Andreas Gross jedoch befürchtet eine Verflachung der Rechte. Denn im Detail bedeute dieses Referendum, dass die Umsetzung eines Vertrages nur noch zusammen mit dem Vertrag als ein Paket zur Abstimmung komme. Bisher sei es möglich, einem Vertrag zuzustimmen, dessen Umsetzung jedoch zu bekämpfen.

«Das wird dazu führen, dass Europafreundliche, die die Form der Umsetzung in Zweifel ziehen, in den gleichen Kübel geworfen werden wie die Nationalisten.»

swissinfo, Christian Raaflaub

Zu den bisherigen Volksrechten – der Initiative und dem Referendum – sollen mit der Reform zwei neue Instrumente dazu kommen.

Mit der Volksinitiative ist es heute möglich, Änderungen in der Verfassung zu verlangen. Die neue «allgemeine Volksinitiative» will nun dem Parlament überlassen, ob die Änderung auf Verfassungs- oder Gesetzesebene umgesetzt wird.

Die Initianten erhalten ein Beschwerderecht, falls die Umsetzung nicht nach ihrem Sinn ausfällt. Wird dem Anliegen Folge geleistet, ist keine Abstimmung nötig.

Mit dem fakultativen Staatsvertrags-Referendum sollen alle völkerrechtlichen Verträge anfechtbar sein, welche «wichtige rechtssetzende Bestimmungen» enthalten.

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