Merkel schafft schwarz-gelben Machtwechsel
Während die deutschen Sozialdemokraten ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik beklagen, kann die CDU/CSU von Bundeskanzlerin Angela Merkel - trotz leichten Verlusten - dank der FDP weiterhin Regierungsverantwortung wahrnehmen.
Laut den vorläufigen Wahlergebnissen kann die CDU trotz ihres schlechtesten Wahlergebnisses seit 60 Jahren zusammen mit Guido Westerwelles FDP, die ihr bestes Wahlergebnis überhaupt feiert, in den nächsten vier Jahren die Regierung bilden.
CDU und CSU kommen auf 33,8%. Dies ist der zweitschlechteste Wert in der Parteigeschichte. Die FDP legt um rund 5 Punkte zu und erreicht 14,6%. Die SPD bricht zweistellig auf 23% ein. Die Linkspartei kann nicht entscheidend von der Wirtschaftskrise profitieren, verbessert sich aber auf ein Rekordergebnis von knapp 12%. Die Grünen erreichen 10,7%.
Nach dem vorläufigen Endergebnis erhielten die CDU/CSU und ihr Wunsch-Koalitionspartner FDP bei der Bundestagswahl am Sonntag zusammen 48,4% der Stimmen.
Die Wahlbeteiligung erreichte mit 70,8% einen Tiefstand.
Strahlende Kanzlerin
Eine strahlende Kanzlerin in roter Jacke freute sich am Sonntagabend mit ihren Anhängern in der überfüllten Parteizentrale. «Erst einmal bin ich glücklich», sagte Merkel. Jetzt gebe es eine stabile Mehrheit, um die Probleme der Wirtschaftskrise zu meistern.
Sie betonte, sie wolle auch künftig die «Bundeskanzlerin aller Deutschen sein». Die Union wolle die grosse Volkspartei der Mitte für Ältere und Jüngere, für Arbeitnehmer und Unternehmer sein.
Laut Hochrechnung kommt die CSU im Freistaat Bayern auf lediglich 41% – das schlechteste Ergebnis seit 1949. Trotz dieser Wahlschlappe will CSU-Chef Horst Seehofer die versprochene baldige Steuersenkung in einer schwarz-gelben Regierung durchboxen.
Wahlgewinner Westerwelle
Merkel will rasch Einigkeit mit FDP-Parteichef Guido Westerwelle erreichen, wie die neue Koalition geschmiedet werden kann. Schon am Montag soll geklärt werden, wie weiter vorgegangen wird.
Westerwelle und seine Partei sind die eigentlichen Sieger dieser Wahl. Zwar hat der FDP-Chef mit seiner frühen strikten Festlegung auf das schwarz-gelbe Bündnis von CDU/CSU viel riskiert. Denn wäre die Mehrheit ausgeblieben, wäre ihm keine andere Wahl als die Fortsetzung der Opposition geblieben.
Doch mit einem hervorragenden Ergebnis hat er erstmals nach elf Jahren seine Partei wieder in eine Bundesregierung zurückgebracht.
Die gestärkten Liberalen werden dabei gegenüber den geschwächten Unions-Parteien ihre Ansprüche geltend machen. Besonders wichtig sei ein faires Steuersystem und die Wahrung der Bürgerrechte, sagte der FDP-Vorsitzende. «Wir wollen jetzt Deutschland mitregieren.»
Welche Minister von CDU und CSU im Amt bleiben und welche Ressorts die FDP übernimmt, bleibt vorerst offen. Westerwelle wird sehr wahrscheinlich Vizekanzler, und seinen Ambitionen auf den Posten des Aussenministers wird sich wohl kaum jemand entgegenstellen.
Bitterer Tag für die SPD
Die sozialdemokratische SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier muss nach elf Regierungsjahren in die Opposition wechseln. «Das Ergebnis ist ein bitterer Tag für die Sozialdemokratie», sagte Steinmeier bei der Eingestehung der Niederlage nach der Bekanntgabe der Hochrechnungen in Berlin.
Steinmeier schloss seinen Rücktritt aus. Er wolle in der nun anstehenden Opposition den Fraktionsvorsitz übernehmen, sagte er und als Oppositionsführer dazu beitragen, dass die SPD wieder attraktiver werde.
Berlins regierender SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit erwartet nach den herben Verlusten einen «Erneuerungs- und Verjüngungsprozess» in seiner Partei, warnt aber die Sozialdemokraten davor, die Schuld nur bei Einzelnen zu suchen.
Vielfältige Opposition
Die gebeutelten Sozialdemokraten stehen in ihrer Oppositionsrolle in Konkurrenz zu den Grünen und der Linken, die sich im 17. Bundestag ebenfalls auf den Oppositionsbänken wiederfinden. Vor allem im ehemaligen SPD-Parteichef und jetzigen Linken-Parteichef Oskar Lafontaine wird Steinmeier einen wichtigen Konkurrenten haben.
Kommt es nun zu einem Linksrutsch bei der SPD? Beim Parteitag im November wird sich zeigen, wie die SPD auf die schwere Niederlage reagiert.
Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, hält jetzt eine Annäherung von Sozialdemokraten und Linken für eine realistische Option. Da die SPD in die Opposition gehe, fänden dort auch Veränderungen statt. Grund für das Scheitern der SPD sei gewesen, dass sie aus seiner Sicht zu einer zweiten Union geworden sei und sich so überflüssig gemacht habe.
Claudia Roth, Vorsitzende der Grünen, nannte es ein «ganz wichtiges Ergebnis, dass ihre Partei zweistellig wurde. «Schwarz-Gelb hat eine starke Opposition verdient. Und die bekommt sie jetzt – knallgrün!», so Roth.
swissinfo.ch und Agenturen
Am 27. September waren 62 Millionen Deutsche im In- und Ausland aufgerufen, die Abgeordneten des 17. Deutschen Bundestags zu wählen.
Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden dann den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bestimmen.
Für die 598 Sitze im Bundestag, die durch Überhangmandate zunehmen können, bewarben sich 3556 Kandidaten. Zugelassen waren 27 Parteien. Angesichts von 20 bis 30% unentschlossenen Wählern hatten die Parteien bis zuletzt um ihre Gunst gebuhlt.
In der jetzigen Legislaturperiode sind im Bundestag sechs Parteien vertreten: CDU, CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke.
Am Wahltag standen 80’000 Wahllokale in 299 Wahlkreisen zur Verfügung.
Bundestagswahlen finden alle vier Jahre statt.
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