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Micheline Calmy-Reys Botschaft an die Koreaner

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey überschreitet am 20. Mai 2003 die Demarkationslinie. Keystone

Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey spricht nach dem Überschreiten der Demarkationslinie zwischen den beiden Koreas mit swissinfo über ihre Eindrücke.

Calmy-Rey thematisierte in Nordkorea auch heikle Fragen wie den Atomstreit und die Menschenrechte.

Mit ihrer Reise nach Nordkorea wollte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey die Besorgnis der Schweiz und ihre Vermittlungs-Bereitschaft beim Atomstreit demonstrieren.

Bei ihrem dreitägigen Besuch in Pjöngjang bekräftigte Calmy-Rey zudem die Kooperations-Bereitschaft der Schweiz – unter der Bedingung, dass Nordkorea sich an gewisse Regeln hält.

Kurz vor ihrer Weiterreise nach Seoul äusserte sich die Aussenministerin in einem Interview mit swissinfo-Korrespondentin Juliet Linley.

swissinfo: Was sagen die Vertreter Nordkoreas zur Patt-Situation mit den USA?

Micheline Calmy-Rey: Die Gespräche waren sehr offen. Wir hatten den Eindruck, dass sie uns genau sagten, wie die Dinge stehen. Die Schweiz ist ein kleines Land, das sich auf internationales Recht und die friedliche Beilegung von Konflikten konzentriert. Ich sagte den Nordkoreanern, sie sollten dies auch tun, denn das sei wichtig für eine friedliche Lösung.

Wie beurteilen Sie die Bereitschaft Nordkoreas zu weiteren Verhandlungen?

MCR: Ich habe den Eindruck, dass die kürzlichen Gespräche Nordkoreas mit Peking ein positives Zeichen sind, und dass Pjöngjang nun auf eine Antwort von den USA wartet. Es besteht ein Dialog, und das ist wichtig.

Pjöngjang steht auf Washingtons Liste der “Achse des Bösen”. Glauben Sie, dass die Regierung Bush nun, nach Irak, Nordkorea ins Visier nimmt?

MCR: Die Regierungsvertreter deuteten mir gegenüber an, sie seien wegen der Offensive gegen den Irak zum Schluss gekommen, dass die Situation auch für sie gefährlich sei. Sie sind sich bewusst, dass sie in der Klemme sind. Sie wären aber offener, wenn man sie nicht in eine Ecke drängte.

Welche konkreten Resultate können nach dem Abbau der Spannungen erreicht werden?

MCR: Ich erklärte den Nordkoreanern, dass wir in diesen schwierigen Zeiten gegebenenfalls gerne bereit sind zu helfen. Aber alle Parteien müssen damit einverstanden sein. Inzwischen werden wir den politischen Dialog mit Pjöngjang weiterführen.

Was sagt Nordkorea zur immer wieder kritisierten Menschenrechtslage im Land?

MCR: Natürlich sprachen wir über Menschenrechte. Die Nordkoreaner sind offen für Gespräche über diese Frage. Es bleibt abzuwarten, was nun genau getan werden kann, aber es ist schon ein erster Schritt. Die Schweiz ist seit jeher der Ansicht, dass Dialog mehr bringt als Isolierung. Und hier hatten wir den Eindruck, dass wir Fortschritte gemacht haben. Das macht uns Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Nord- und Südkorea.

Wie wichtig ist die humanitäre Hilfe der Schweiz in Nordkorea?

MCR: Die Schweiz war das erste Land, das Nordkorea humanitäre Hilfe leistete. Die Menschen sagten uns, dass sie sehr dankbar seien für diese Hilfe. Dank ihr konnte Vertrauen aufgebaut werden, und dieses Vertrauen ermöglichte es uns, interessante Gespräche zu führen, sogar über politische Angelegenheiten und die atomare Frage.

Welchen Eindruck hatten sie vom Entwicklungsstand des Landes?

MCR: Die Leute verändern sich, sie befinden sich eindeutig in einer Übergangsphase. Die Lokalbehörden baten uns verschiedentlich um Hilfe bei Buchhaltungs- und Finanzfragen. Man bat uns, Fachleute zu senden oder ihre Landsleute in der Schweiz auszubilden. Und wir sind gerne bereit, zu helfen. Wir müssen sehen, wie das am besten geht. Es gibt viele Arten der Entwicklungshilfe.

Wie ernst ist die Situation im Bereich der Ernährungssicherheit?

MCR: Ich besuchte Städte und fuhr über Land. Ich sah viele Leute auf den Strassen, und ich hatte nicht den Eindruck, dass sie am Verhungern seien. Ich sah keine Kinder mit aufgeschwollenen Bäuchen. Trotzdem ist die Ernährungssicherheit noch nicht erreicht.

Wie gross ist die Bewegungsfreiheit in Nordkorea?

MCR: Die Angehörigen der Schweizer Hilfswerke hier können sich nicht so frei bewegen, wie sie möchten. Und es kann schwierig sein, zu helfen, wenn man so eingeschränkt ist. Wir sprachen deshalb mit der Regierung darüber, und sie versprach, die Frage zu prüfen.

Ist die Wiedervereinigung der Halbinsel noch immer ein Ziel von Pjöngjang?

MCR: Die Nordkoreaner sagten uns, ihr Ziel sei die Schaffung eines Staatenbundes. Ich kann nur sagen, die Tatsache, dass ich über die Demarkationslinie in Panmunjon reisen konnte, ist bereits ein Zeichen der Öffnung. Nordkorea musste für mich einen formellen Antrag stellen. Das zeigt, dass es offen ist für den Dialog.

swissinfo, Juliet Linley in Panmunjom

Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Nordkorea überschritt Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am Dienstag die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea.
Danach reiste die Bundesrätin weiter nach Seoul, der 40 Kilometer südlich gelegenen Hauptstadt Südkoreas.
Dort wird Calmy-Rey Aussenminister Yoon Young Kwan treffen. Vorgesehen ist auch ein Höflichkeitsbesuch bei Präsident Roh Moo Hyun.
In Peking, der letzten Station ihrer zehntägigen Asienreise, will Calmy-Rey Gespräche über bilaterale Fragen sowie die Lage in der Region führen.

Mit Südkorea unterhält die Schweiz seit 1962, mit Nordkorea seit 1974 diplomatische Beziehungen.
Sie beteiligt sich mit 4 bis 5 Mio. Fr. jährlich an der Entwicklungshilfe für Nordkorea.
Die koreanische Halbinsel ist seit 1945 geteilt. Die beiden Staaten führten von 1950 bis 1953 einen blutigen Krieg. Bis heute gibt es keinen Friedensvertrag.
Die Schweiz beteiligt sich seit 1953 an der Neutralen Überwachungs-Kommission (NNSC), um den Waffenstillstand zu kontrollieren. Auf der südkoreanischen Seite, in Panmunjom, sind seit 1953 Schweizer und Schweden stationiert.

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