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Militärrat übernimmt Macht nach Mubarak

Ausgelassen feiern die Ägypter den Rücktritt von Mubarak. Keystone

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak hat nach 18 Tagen Unruhen im Land seinen Rücktritt bekannt gegeben und die Führung des Landes in die Hände des Militärs gelegt. Der Bundesrat sperrt allfällige Gelder von Mubarak und dessen Umfeld auf Schweizer Konten.

Auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo brachen die Menschen nach der Ankündigung durch Vizepräsident Omar Suleiman in lauten Jubel aus.
 
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen setzte sich Mubarak am Nachmittag nach Scharm el Scheich ab.
 
Nach dem Rücktritt Mubarak hat der Oberste Militärrat unter dem bisherigen Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi die Macht in Ägypten übernommen.

Das Oberkommando der Streitkräfte werde Regierung und Parlament entlassen, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Arabija. Der Militärrat wolle die Macht dann zusammen mit der Spitze des ägyptischen Verfassungsgerichtes ausüben.

Gemäss dem Fernsehsender CNN sei US-Präsident Barack Obama von Mubaraks Rücktritt am Freitag vorab informiert worden.

Nach der grossen Enttäuschung auf Mubaraks Fernsehrede von Donnerstag abend hatten sich am Freitag nach dem Gebeten mehr als eine Million Menschen in Kairo und anderen Städten versammelt und weiterhin Mubaraks Rücktritt gefordert. 

Hunderte zogen zudem vor den Präsidentenpalast, den Regierungssitz und das Parlament. Die Armee schritt nicht ein, die befürchtete Eskalation blieb aus.

Konten gesperrt

Die Schweizer Landesregierung reagierte umgehend und sperrte allfällige Gelder Mubaraks und aus dessen persönlichem Umfeld auf Konten in der Schweiz.
 
Der Bundesrat habe eine entsprechende Verordnung erlassen, teilte Bundesratssprecher André Simonazzi am Freitagabend mit. Darin würden die Schweizer Banken aufgefordert, mögliche Vermögenswerte zu suchen und zu sperren.

Zudem ist der Verkauf und jegliche Veräusserung von Gütern – namentlich von Immobilien – dieser Personen verboten. Damit will der Bundesrat alle notwendigen Massnahmen ergreifen, um jegliche Gefahr einer Veruntreuung von staatlichen Vermögenswerten zu vermeiden. Die entsprechende Verordnung tritt heute in Kraft und hat eine Gültigkeit von drei Jahren.

Laut politischen Beobachtern sollen Mubarak und seine Familie Beträge in zweistelliger Milliardenhöhen im Ausland angelegt haben, darunter auch in der Schweiz.

Die Mubaraks scheinen die Schweiz zu schätzen: Präsidenten-Gattin Suzanne hat 2003 das Women’s International Peace Movement mit Zweigstelle in Genf gegründet, und Mubarak liess sich 1997 in einer Zürcher Klinik untersuchen.

Erste Anzeichen am Donnerstag

Am Donnerstagabend hatte es die alte Sphinx Mubarak am Staatsfernsehen noch einmal allen zeigen wollen. Er erklärte der Nation, er werde nicht zurücktreten, sondern nur einige Vollmachten an seinen Vize Omar Suleiman abtreten und sein Mandat bis September erfüllen.

Eine grosse Enttäuschung kam auf, und am Freitag waren überall in Ägypten Millionen von Menschen auf den Strassen.

Mubarak, langjähriger treuer Verbündeter des Westens, hatte auch unter den Führern der arabischen Welt eine Sonderstellung: Der 82-Jährige führte das bevölkerungsreichste arabische Land und pflegte gleichzeitig gute Beziehungen zu den USA und Israel.

Erste Anzeichen eines Machtwechsels gab es am Donnerstag, als das oberste Gremium der Streitkräfte ohne Mubarak, der auch Oberkommandierender der Truppen ist, tagte. Im Staatsfernsehen gab das Gremium seine «Unterstützung der legitimen Forderungen des Volks» bekannt.

Am Donnerstag Nachmittag hatte der für den Grossraum zuständige General Hassan al-Rueini vor Demonstranten auf den Tahrir-Platz erklärt: «Alle eure Forderungen werden heute erfüllt.»

Verteidigungsminister Hussein Tantawi traf sich mit hochrangigen Offizieren, wobei sowohl Mubarak als auch Vizepräsident Omar Suleiman fehlten. Die beiden trafen sich am Abend im Präsidentenpalast zu einem vertraulichen Gespräch.

Gleichzeitig nahmen die Befüchtungen zu, dass mit einem möglichen Militärputsch der Machtwechsel zu einer zivilen demokratischen Regierung verhindert werden könnte.

Gegen Abend gab es aus verschiedenen Quellen Hinweise auf einen baldigen Rücktritt Mubaraks. Seinen Informationen zufolge sei es «sehr wahrscheinlich», dass Mubarak noch im Laufe des Donnerstags sein Amt niederlegt, sagte etwa CIA-Direktor Leon Panetta vor einem Ausschuss des US-Repräsententenhauses in Washington. Er war offenbar einen Tag zu früh mit seiner Einschätzung.

Fast vier Wochen Unruhen

Dem Rücktritt sind fast vier von Unruhen gezeichnete Wochen vorausgegangen, die auf den Wechsel in Tunesien folgten. Seit Mitte Januar hatte sich die Lage immer weiter zugespitzt. Am 17./18. Januar versucht ein Ägypter vor dem Parlament in Kairo , sich selbst zu verbrennen. In Alexandria zündet sich ein Arbeitsloser an.

Am 25. Januar kommt es landesweit zu Demonstrationen. Mindestens vier Menschen werden getötet, Hunderte verletzt. Am 26. blockieren die Behörden Twitter und Facebook. Am 27. fallen die Kurse an der Kairoer Börse, der Handel wird ausgesetzt.

Friedensnobelpreis-Träger El Baradei trifft in Kairo ein, um sich an die Spitze der Demonstranten zu stellen.

Am 28. Januar kappt die Regierung das Internet und die meisten Mobiltelefon-Netze. Mehr als 100’000 Demonstranten fordern die Staatsmacht heraus, El Baradei kommt unter Hausarrest.

29. Januar. Mubarak bildete eine neue Führungsriege, Geheimdienstchef Omar Suleiman wurde sein Stellvertreter. Bis Ende Januar sind mindestens 150 Menschen gestorben. Plünderer terrorisierten. Auch die Muslimbrüder forderten Mubaraks Rücktritt. 

Februar beginnt mit dem «Marsch der Millionen»

Am 1. Februar wird zum «Marsch der Millionen» aufgerufen. Mubarak kündigt den Verzicht auf eine weitere Amtszeit und damit seinen Abgang im September an. Gegen Mitternacht kommt es zu Strassenschlachten.

US-Präsident Obama fordert Mubarak am 2. Februar auf, den geordneten Übergang zur Demokratie nicht zu verzögern. Währenddessen schlagen Mubaraks Anhänger auf Kamelen und Pferden auf Demonstranten ein, ausländische Journalisten werden attakiert.

Am frühen 3. Februar spitzt sich die Lage auf dem Tahrir-Platz dramatisch zu: Molotow-Cocktails, Steine, Maschinengewehr-Salven, brennende Autos.

 Am 4. Februar fordern in Brüssel die EU-Staats-und Regierungschefs einen umgehenden Regierungswechsel. Am 5. Februar kann laut New York Times Mubarak zur medizinischen Untersuchung nach Deutschland ausgeflogen werden. Doch Berlin dementiert.

Die USA verstärken am 8. Februar den Druck. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sagt, der Wandel müsse kommen, «je früher, desto besser».

Am 10. Februar beginnen sich die Hinweise auf einen baldigen Rücktritt Mubaraks zu verdichten.

Am 11. Februar schliesslich gibt er seinen sofortigen Rücktritt bekannt und übergibt die Macht an das Militär. Der 82-Jährige hatte das Land seit 30 Jahren autoritär regiert.

Geboren 1928; begann seine Karriere bei der Armee. Abschluss an der Militärakademie, Wechsel zur Luftwaffe, wo er Pilot wird, danach Ausbildner, Kommandant einer Fliegerstaffel und einer Luftwaffenbasis.

Aufstieg in der Militärhierarchie: Er wird Chef der ägyptischen Militärmission in der damaligen Sowjetunion, Leiter der Militärakademie.

1972  wird Mubarak Armeeminister.

1973, nach dem Jom-Kippur-Krieg, erhält er hohe Auszeichnungen.

1975 unter Anwar el Sadat wird Mubarak Vizepräsident. und 1978 Vizepräsident der Nationaldemokratischen Partei (NDP).

1981 steigt er nach der Ermordung Anwar el-Sadats zum Präsidenten des Landes auf, das er seither autokratisch führt.

Seit Beginn der Amtszeit werden ihm Korruption, Vetternwirtschaft, Verletzung der Menschenrechte und Wahlmanipulation vorgeworfen.

In Wahlen, die nicht demokratischen Prinzipien entsprachen, liess er sich 1987, 1993, 1999 und 2005 wiederwählen.

In Ägypten sind mehr als 100 Schweizer Unternehmen tätig, u.a. ABB, Clariant, Novartis, Nestlé, Bühler, SGS, Roche, Credit Suisse und UBS. Und natürlich die Mövenpick Hotels, deren Gründer Ueli Prager als erster bereits in den 1970er-Jahren das Land erschloss.

Mövenpick beschäftigt in Ägypten 2800 Mitarbeitende und hat bekannt gegeben, dass die Betriebe offen bleiben. Andere Firmen stellten sich auf kurzfristige Produktions-Unterbrechungen ein.

Nach Südafrika, Libyen und Algerien (Erdgas und Erdöl) war 2009 Ägypten der viertgrösste Handelspartner der Schweiz in Afrika.

Die Schweizer Exporte erreichten 656 Mio., die Importe 109 Mio. Franken.

Im Februar 2009 besuchte die damalige Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard mit einer Delegation von Wirtschaftsvertretern Ägypten.

Die Efta, deren Mitglied die Schweiz ist, hat mit Ägypten 2007 einen Freihandelsvertrag unterzeichnet.

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