Muslimische Konvertiten wecken Ängste
Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) kann laut dem Chef des Bundesamtes für Migration die Sicherheit der Schweiz gefährden. Die Spitze der in Biel gegründeten Organisation, zwei junge Schweizer Konvertiten, stellen dies vehement in Abrede.
Unter den Konvertiten gebe es Personen, die eine völlig andere Gesellschaft anstrebten, sagte Alard du Bois-Reymond, Leiter der Bundesbehörde für Migration und Integration, jüngst gegenüber der NZZ am Sonntag. In Grossbritannien und Deutschland hätten solche Forderungen zu einem ideologischen Nährboden für potenzielle Terroristen geführt.
Die Weltwoche hatte Nicolas Blancho, den Präsidenten des Islamischen Zentralrats Schweiz, den «gefährlichsten Islamisten der Schweiz» und «Bin Laden in Biel» genannt.
Zu den Zielen der Organisation gehört die Gründung von Koranschulen. Aus Sicht der Muslime wären damit Probleme, die muslimische Kinder an öffentlichen Schulen hätten, wie etwa der gemeinsame Schwimmunterricht von Knaben und Mädchen, behoben.
«Öffentlich»
Den Vorwurf der Terrorismusunterstützung weist IZRS-Sprecher Qaasim Illi, auch er ein junger Schweizer, der zum Islam übertrat, weit von sich. Es gebe keine Parallelen zu Konvertiten in anderen Ländern, die in terroristische Aktivitäten involviert waren, sagt er gegenüber swissinfo.ch.
«Traten sie öffentlich auf, arbeiteten sie für ein Ideal oder einen politischen Zweck, worüber sie in der Öffentlichkeit sprachen? Natürlich nicht», so Illi. Der Zentralrat dagegen habe sich von Anfang an an die Öffentlichkeit gewandt. «Unsere Regeln beruhen auf dem Gesetz, nicht dem Terrorismus.»
Der umstrittene Zentralrat wurde im letzten November kurz vor der Abstimmung über das Verbot von Minaretten gegründet.
Ziel sei die Bündelung der Interessen der Muslime, um in künftigen Abstimmungen über Fragen, die den Islam betreffen, wirksamer auftreten zu könnenm wie etwa den Bann von Burkas oder Schleiern.
Illi weist auch den von Medien erhobenen Vorwurf zurück, dass der Zentralrat für die Einführung der Scharia sei. «Wir fordern unsere Rechte ein, aber wir respektieren diejenigen der anderen. Will eine Muslimin in der Schweiz keinen Schleier tragen, muss sie dies auch nicht tun. Sie kann sogar zum Christentum übertreten», sagt der Sprecher.
Dem steht gegenüber, dass Blancho und Illi Kontakte etwa zum umstrittenen deutschen Konvertiten Pierre Vogel pflegen.
Umgekehrt erlaube das politische System, dass Muslime hier leben könnten, wie sie dies wünschten, sagt Illi. «Wir können uns einen Bart wachsen lassen und uns kleiden, wie wir wollen. Wir wollen als Muslime erkannt werden, statt als Terroristen zu gelten», sagt der Student der Islamwissenschaften an der Uni Bern.
«Gefährlich»
Illis Äusserungen können zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisation inner- und ausserhalb der muslimischen Gemeinde in der Schweiz heftig umstritten ist.
Blancho und Illi zeigten zwar ein freundliches Gesicht, seien aber dennoch gefährlich, sagt Saida Keller-Massahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam. Das Forum fordert gar ein Verbot der Organisation.
«Sie ködern junge Muslime und Nicht-Muslime, die auf der Suche nach klaren Prinzipien sind», so Keller-Massahli. Beide würden zudem die Welt nur in Schwarz/Weiss sehen.
Für Dialog
Laut Hisham Maizar, dem Präsidenten der Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (Fids), zieht der Zentralrat «junge Menschen ohne Perspektiven» an. Er warnt, dass ein Verbot die Organisation nur noch attraktiver machen würde. Gemäss eigenen Angaben zählt der IZRS gut 950 Mitglieder.
Larbi Guesmi, der in der muslimischen Gemeinde Neuenburgs Gebete liest, ist für eine differenzierte Sichtweise. «Ich halte Blanchos Ideen nicht für extremistisch, sondern eher für ungewöhnlich. Es bleiben aber Ideen, über die man diskutieren kann, wie dies in einer pluralistischen Gesellschaft normal ist», sagt Guesmi gegenüber swissinfo.ch.
Gelassen sieht die Sache auch die Islamwissenschafterin Susanne Leuenberger von der Universität Bern. Sie gehe davon aus, dass der Islamische Zentralrat tatsächlich nur für das stehe, was dieser öffentlich verkünde.
«Man kann allen versteckte Intentionen unterstellen, auch der Regierung», sagt Leuenberger, die an verschiedenen Veranstaltungen des IZRS teilnahm und eine Arbeit zum Thema schreibt.
Vor allem ältere Muslime aus etablierten Organisationen werfen der neuen Konkurrenz vor, sie würde orientierungslose junge Menschen ködern. Illis Formulierung fällt anders aus. «Wir sind für Junge attraktiv, weil wir ihre Probleme Ernst nehmen.»
Demgegenüber hält Larbi Guesmi fest, dass junge Menschen stets «ihre eigenen Forderungen» hätten, was der Gesellschaft manchmal Mühe bereite.
Julia Slater, swissinfo.ch
(Übersetzung aus dem Englischen: Renat Künzi)
In der Schweiz leben rund 400’000 Musliminnen und Muslime. Die meisten stammen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei.
Nur rund 15% der Muslime praktizieren ihren Glauben und sind in religiös ausgerichteten Vereinen organisiert.
In der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) sind rund 140 Vereine zusammengeschlossen.
85% der Muslime sind nicht organisiert, leben ihren Glauben privat oder sind gar nicht gläubig. Sie werden in der Öffentlichkeit nicht als Muslime wahrgenommen.
Das Forum für einen fortschrittlichen Islam versteht sich als Ort der Diskussion, in dem sich Schweizer Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Konfession zusammenschliessen, Muslime wie auch Christen und Juden.
Sie verstehen den Koran als Text seiner Zeit. Die daraus entstandenen Traditionen sind reformierbar und sollen an die Gegenwart angepasst werden.
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