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Nach schrillen Drohungen wieder versöhnliche Töne

Rainer Brüderle: "Fast alle Deutschen wollen in der Schweiz leben." Keystone

"Der Steuerstreit ist weitgehend beigelegt, und ich gehe davon aus, dass das neue Doppelbesteuerungs-Abkommen bis Ende Jahr volle Gültigkeit erlangen wird", sagte der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle am Rande einer Tagung in Zürich gegenüber swissinfo.ch.

Die Kavallerie, die gegen die Indianer in der Steueroase Schweiz loszieht: Diese hemdsärmlige Drohung vom deutschen Ex-Finanzminister Peer Steinbrück war einmal. Genauer im März 2009.

Vor den Mitgliedern der Handelskammer Schweiz Deutschland schlug der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle nicht nur versöhnliche, sondern gar charmante Töne an. «Alle oder fast alle Deutschen möchten in der Schweiz leben», sagte er und hob Sicherheit und Stabilität als typische Schweizer Werte hervor.

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern bezeichnete er als «intensiv und zukunftsträchtig».

Dennoch: In der Sache des Streitobjekts, dem Schweizer Bankgeheimnis, äusserte sich der deutsche Minister im Gespräch mit swissinfo.ch unmissverständlich: Die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung irritiere und sei schwer nachzuvollziehen.

Eine klare Absage erteilte er einer Abgeltungssteuer für deutsches Schwarzgeld auf Schweizer Konten, wie sie die Schweizer Banken vorschlagen. Sie brächte Geld in die deutsche Staatskasse, beliesse aber deutsche Inhaber von Schweizer Bankkonten in der Anonymität. «Eine isolierte Überweisung von Geld ohne Informationen wirkt wie ein Ablasshandel», so Brüderle.

swissinfo.ch: Welche Bedeutung haben für Sie die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz, insbesondere im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?

Rainer Brüderle: Sie sind ein Stabilitätsfaktor für beide Länder. Sie sind sehr intensiv und haben in den letzten fünf, sechs Jahren um 50% zugenommen.

Auch im Krisenjahr 2009 gab es relativ wenig Einbrüche. Beim Maschinenbau waren die Rückgänge weltweit um die 50%, in der Schweiz waren es 10%.

swissinfo.ch: Ist die Nicht-Mitgliedschaft der Schweiz in der EU aus deutscher Sicht ein Nachteil für die Wirtschaftsbeziehungen?

R.B.: Ich glaube nicht, sie tut den guten und zukunftsträchtigen Wirtschaftsbeziehungen keinen Abbruch. Die Schweiz übernimmt fast durchgängig den Aquis Communautaire, das Regelwerk der EU. Wenn die Schweiz Mitglied wäre, hätte sie den Vorteil, dass sie mitentscheiden könnte. Dabei hätte sie eine gewichtige Stimme.

Aber es gilt die Entscheidung der Bürger in der Schweiz zu respektieren. Wenn sie eines Tages anders entscheiden, sind sie herzlich willkommen.

swissinfo.ch: Haben die Wirtschaftsbeziehungen in der Polemik um den so genannten Steuerstreit gelitten?

R.B.: Auch das glaube ich nicht, er ist weitgehend gesettled (beigelegt, die Red.). Das neue Doppelbesteuerungsabkommen ist im Kern erstellt und paraphiert. Ich gehe davon aus, dass es bis Ende Jahr seine volle Gültigkeit erlangen wird.

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swissinfo.ch: Haben Sie Verständnis für das schweizerische Bankgeheimnis bzw. für die spezifische Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung?

R.B.: Diese Differenzierung irritiert und ist schwer nachzuvollziehen. In der deutschen Rechtsphilosophie ist Betrug ein Straftatbestand.

Dabei müssen Sie auch die Debatte in Deutschland verstehen: Bezüger kleiner Einkommen müssen Einschnitte bei der Gesundheits-Ausstattung in Kauf nehmen, der Zuschuss für Gebisse wird reduziert und Urlaubsgelder werden gestrichen. Dann kriegen Sie mit, dass hohe Vermögen in grossem Stil Steuern hinterziehen. Das löst keine Freude aus.

swissinfo.ch: Die Schweiz ist für Deutsche Auswanderungsdestination Nr. 1 – ist es für die deutsche Wirtschaft ein Problem, dass viele gut qualifizierte Leute in die Schweiz auswandern, Stichwort Brain-drain?

R.B.: Es ist ein Stück Brain-drain. Aber umgekehrt sind auch Schweizer bei uns in Deutschland aktiv, es ist eine Interaktion. Ich sehe die Schweiz als gemeinsamen Wirtschaftsraum, zusammen auch mit Österreich. Wir haben eine gemeinsame Sprache und ähnliche Wertvorstellungen.

Ich bin ein Anhänger des Föderalismus, auch innerhalb Deutschlands und Europas. Ich will keinen Bundesstaat Europa, sondern eine Europäische Union, die eigenstaatlich funktioniert. Da ist immer eine Herausforderung dabei, dass man eigene Bedingungen verbessert.

Die Schweiz zeigt, dass Eigenstaatlichkeit auch ein gutes Wettbewerbs-Element ist, Sie kann andere Wege gehen mit geringerer Belastung.

swissinfo.ch: Weshalb versucht das Bundesarbeitsamt aktiv in der Schweiz Arbeitskräfte zu rekrutieren, obwohl es in Deutschland viele Stellensuchende gibt?

R.B.: Fachkräfte sind immer ein Engpassfaktor, Spezialisten werden immer gebraucht. Die Konjunktur zieht an, die Kurzarbeit ist weitgehend abgebaut. Es gibt strategische Sektoren wie die Informations- und Kommunikationstechnologie, in denen es relativ wenig Spezialisten gibt. Die sucht man, wo es sie gibt.

Deutschland hat das auch schon früher gemacht: Beispielsweise haben wir in Italien Fachkräfte für den Autobau angeworben.

Renat Künzi, Zürich, swissinfo.ch

Beide Räte des Schweizer Parlaments haben in der abgelaufenen Sommersession die neuen Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) gemäss den OECD-Richtlinien angenommen.

Die Ständeräte hiessen 9 einstimmig gut. Beim Abkommen mit den USA gab es eine Gegenstimme sowie eine Enthaltung.

Die neuen DBA betreffen die USA, Grossbritannien, Mexiko, Dänemark, Frankreich, Norwegen, Finnland, Luxemburg, Österreich und Katar.

Alle diese Abkommen unterliegen dem fakultativen Referendum.

Im Gegensatz zu Deutschland und anderen Ländern unterscheidet die Schweiz zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung.

Wird Betrug nachgewiesen, wie bei der Geldwäscherei, gewährt die Schweiz Amtshilfe.

Wer hingegen Steuern auf legal verdientem Geld nicht zahlt, der hinterzieht – Amtshilfe wird in diesem Fall kaum gewährt.

Die EU und die USA wehrten sich jahrelang gegen diese Unterscheidung.

Die OECD setzte die Schweiz deswegen auf eine graue Liste von Steueroasen.

Die Schweiz konnte sich davon wieder entfernen, indem sie die Ausarbeitung neuer Steuerabkommen gemäss den OECD-Richtlinien zusicherte.

Zentraler Punkt ist Art. 26 über den erweiterten Informationsaustsch, der Steuerhinterziehung dem Steuerbetrug gleichsetzt.

Praktische Folge: Die Schweiz muss bei beiden Vergehen Amtshilfe leisten, falls eine konkrete Nachfrage vorliegt.

Damit ist das Schweizer Bankgeheimnis faktisch gefallen, zumindest für Bürger aus dem Ausland.

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