Nationalrat nimmt Bundesrat in die Mangel
Die Debatte im Nationalrat zeigte: Die Frustration über die Ereignisse rund um das Bankgeheimnis ist gross. Der Bundesrat, die USA und der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück wurden hart angegriffen.
Von verschiedener Seite wurde die mangelnde Strategie des Bundesrats scharf kritisiert.
Der Bundesrat sei «nicht kriegstauglich» , «mutlos» und «führungsschwach», sagte Hans Fehr, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Der Bundesrat gebärde sich wie in einem Hühnerhof, in den ein Fuchs einbreche.
Untätigkeit wirft dem Bundesrat der sozialdemokratische Nationalrat und Parteipräsident Christian Levrat vor. Der Bundesrat habe monatelang Warnungen ignoriert, so Levrat. Er handle erst mit der Pistole auf der Brust, ohne Gegenleistungen zu erhalten.
«Machen Sie endlich eine realistische Politik, die Schweiz ist auf den Aussenhandel angewiesen», forderte die sozialdemokratische Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer.
Gemäss dem christlichdemokratischen Nationalrat Ruedi Lustenberger stellt sich aufgrund der Vorgehensweise der Landesregierung gar die Frage, «mittelfristig das Thema Regierungsreform wieder auf den Tisch des Parlamentes zu bringen».
Offensive Politik gefordert
Wie bereits am Dienstag der Ständerat plädierte auch der Nationalrat für eine offensive Politik des Bundesrats. Er verlangte, dass der Bundesrat etwa von England und Amerika ebenfalls fordert, ihre Steuerschlupflöcher auf den Kanalinseln oder in Delaware zu stopfen.
Während die SVP-Vertreter den Bundesrat jedoch aufforderten, bei den Verhandlungen ums Bankgeheimnis keine Zugeständnisse zu machen, forderte die Linke, die Ausweitung der internationalen Zusammenarbeit bei Steuerdelikten rasch umzusetzen und nicht mit «Schlaumeiereien» weiterzufahren.
Die vollständige Aufhebung des Bankgeheimnisses durch den automatischen Informationsaustausch stiess allgemein auf Widerstand.
Staatspolitischer Aspekt
Der staatspolitische Aspekt gehe in der heutigen Debatte vor lauter Milliarden unter, sagte der christlichdemokratische Nationalrat Ruedi Lustenberger mit Verweis darauf, dass «Bundesrat und die Finanzmarktaufsicht Finma die dritte Staatsgewalt in unserem Land ausgehebelt haben». Diese Angelegenheit sei eines Rechtsstaats unwürdig.
Die Demokratie dürfe nicht zur Diskussion stehen, darüber waren sich die Parteien jedoch einig.
Die Debatte zeigte, dass die Nationalräte die jüngsten Entwicklungen noch nicht verdaut haben: Sowohl der Entwurf der schwarzen Liste der Organisation für wirtschaftliche Zusasmmenarbeit und Entwicklung (OECD) mit nicht kooperativen Steuerparadiesen, der ohne das Wissen der Schweiz – selbst OECD-Mitglied – erstellt wurde, als auch die Äusserungen des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück waren immer wieder Thema. Steinbrück hatte am Wochenende mit seinem Indianer-Vergleich einmal mehr für rote Köpfe gesorgt.
Thomas Müller von der Christlichdemokratischen Partei (CVP) liess sich in Bezug auf Steinbrück sogar zum Nazi-Vergleich hinreissen: «Er erinnert mich an jene Generation von Deutschen, die vor sechzig Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind.»
«Das ist erst der Anfang»
Bei der Nationalratsdebatte tauchte wiederholt die Frage auf: Ist das Gröbste nun vorbei, oder kommt es noch schlimmer?
«Man sagt, die Schweiz sei jetzt aus der Schusslinie. Ich sage Ihnen, dass das erst der Anfang ist, das Ende kommt noch», sagte SVP-Nationalrat Hans Fehr. Fehr rechnet mit der Forderung einer europaweiten Steuerharmonisierung und dem automatischen Informationsaustausch. Wer sich einmal erpressen lasse, werde immer wieder erpresst, so Fehr.
Dass der Druck weiter ansteigen wird, davon ist auch SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer überzeugt. «Die Staaten müssen Billionen von Steuerfranken investieren, um einen Totalabsturz der realen Wirtschaft zu verhindern.»
«Geht um Geldbeschaffung nicht Ethik»
Die Entscheidungen, die der Bundesrat letzte Woche getroffen habe, seien unbequem, aber unausweichlich gewesen, sagte Merz nach der rund dreistündigen Debatte in sachlichem Ton. Weiter erklärte er, dass es sich beim zusätzlichen Druck «um klare Interessenpolitik zur Geldbeschaffung» und nicht nur um Ethik handle.
Der Zeitpunkt für eine solche Entscheidung sei wichtig gewesen, sagte Merz in Bezug auf die Lockerung des Bankgeheimnisses letzten Freitag. Hätte man im letzten Dezember «in vorauseilendem Gehorsam» eine solche Entscheidung getroffen, wäre das nirgends verstanden worden, so Merz. «Wir hätten anderen Finanzplätzen in die Hände gespielt.»
Die Schwarze Liste der OECD sei ernst zu nehmen, weil von Sanktionen der Werkplatz betroffen wäre. Merz versicherte, dass das Bankgeheimnis im Inland unangetastet bleibe und die Schweiz bei der Umsetzung der ausgeweiteten Amtshilfe auch Gegenforderungen stellen werde.
Trotz aller Kritik an seiner Person zeigte er sich in der für ihn typischen Höflichkeit «dankbar» für die Debatte. Er sei zuversichtlich, «dass wir gerade in den relevanten Fragen auch in Bezug auf unseren Finanzplatz und das Bankgeheimnis gemeinsame Wege finden werden».
swissinfo, Corinne Buchser
Die Schweiz ist nicht nur wegen des Bankgeheimnisses, sondern auch wegen ihrer Steuerpolitik seit längerem im Fadenkreuz anderer Staaten oder Staatengemeinschaften. Die wichtigsten Steuerkonflikte der letzten zehn Jahre:
2000: Die OECD setzt die Schweiz auf eine Liste mit 47 Ländern mit «potenziell schädlichem Gebaren» in Steuerfragen.
2004: Schweiz macht Zugeständnisse bei der Besteuerung von Holdings und wird wieder von der Liste gestrichen.
2001-2005: Bei den Verhandlungen mit der EU über die bilateralen Verträge II kommt es in der Frage der Zinsbesteuerung zu Spannungen zwischen der Schweiz und der EU. Mit dem Abschluss der Bilateralen II kann dieser Streit beigelegt werden.
Seit 2005: Streit zwischen der Schweiz und der EU über kantonale Steuerprivilegien für Unternehmen. Die Schweiz weist wiederholt EU-Vorwürfe zurück, diese verstiessen gegen das Freihandelsabkommen von 1972.
2007: Die EU-Kommission erhält vom Ministerrat ein Verhandlungsmandat über den Steuerstreit mit der Schweiz. Der Bundesrat zeigt sich aber nur zu einem Dialog, nicht zu Verhandlungen bereit.
2008: Die Schweiz gerät in den Strudel des deutsch-liechtensteinischen Steuerstreits. Deutsche Politiker verschärfen ihre Drohungen gegenüber Steueroasen «wie der Schweiz».
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