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Nein-Kampagne gegen IV-Revision

Behinderte fürchten, die 5. IV-Revision erschwere ihre gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Keystone

Die Revision der Invalidenversicherung werde auf dem Buckel der Schwächsten ausgetragen. Mit diesem Argument bekämpfen die Gegner die IV-Revision, die im Juni vor's Volk kommt.

Während bürgerliche Parteien und Regierung sich für die IV-Revision einsetzen, richten sich Sozialdemokraten, Grüne und Gewerkschaften dagegen.

Die 5. IV-Revision sei eine Sparübung auf dem Buckel der Schwächsten und leiste nichts für eine wirkliche Integration Behinderter in die Arbeitswelt. Mit diesem Hauptargument wirbt ein breit abgestütztes Referendumskomitee für ein Nein am 17. Juni.

Gegen die vom Parlament beschlossene 5. Revision der Invalidenversicherung hatten zunächst nur kleinere Behinderten-Organisationen das Referendum ergriffen. Inzwischen haben sich die SP, die Grünen und die Gewerkschaften mit ihnen in einer nationalen Koordination zusammengeschlossen.

Ein Etikettenschwindel

Alle wichtigen Behindertenorganisationen fänden die 5. IV- Revision schlecht, sagte Barbara Marti, Zentralsekretärin der Behinderten-Selbsthilfe Schweiz AGILE, am Freitag vor den Medien in Bern. Die Gesetzesvorlage sei ein Etikettenschwindel und diskriminiere Menschen mit Behinderungen.

Dem Stimmvolk werde mit dem Motto «Arbeit geht vor Rente» vorgegaukelt, es könnten mehr Behinderte in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Doch würden die Arbeitgeber zu nichts verpflichtet. Die Probleme der IV würden einzig in die Sozialhilfe verschoben, sagte die Grüne Zürcher Stadträtin Monika Stocker.

Wer «Eingliederung vor Rente» wolle, der müsse zuerst einmal investieren, sagte Stocker: in Ausbildung, Fortbildung und in soziale Betriebe. Denn der Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts grenze die Kranken und Teilleistungsfähigen «gnadenlos» aus. Bei der IV- Revision habe «Bern» schlicht die Hausaufgaben nicht gemacht.

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Invaliden-Versicherung

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Invalidenversicherung (IV) ist eine obligatorische Versicherung. Sie sichert den Versicherten die Existenzgrundlage, wenn sie invalid werden. Dies geschieht mittels Eingliederungsmassnahmen oder Geldleistungen. Die IV subventioniert auch speziell eingerichtete Institutionen. Die Versicherung wird zu rund 40% von Beiträgen der Erwerbstätigen und Arbeitgeber finanziert. Der Rest stammt aus öffentlichen Geldern.

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Versagen der Freiwilligkeit

Ohne mehr Beschäftigung von Behinderten durch die Wirtschaft verkomme die 5. IV-Revision zum reinen Sozialabbau und zur Schikane gegen die Betroffenen, doppelte der sozialdemokratische Berner Nationalrat André Daguet nach.

Ohne besseren Kündigungsschutz, bessere Arbeitsbedingungen und eine stärkere Einbindung der Arbeitgeber sei sie nutzlos.

Die Bereitschaft der Wirtschaft, Behinderte am Arbeitsplatz zu behalten oder sie gar einzustellen, sei in den letzten Jahren dramatisch gesunken, sagte Daguet. Mindestens 8% der Arbeitsplätze wären für Behinderte geeignet. Besetzt würden nur 0,8%. Das System der Freiwilligkeit habe offensichtlich versagt.

Die 5. IV-Revision bringe ein kompliziertes System von Früherfassung, Frühintervention und Integration, das an die überforderten IV-Stellen delegiert werde, sagte Marti. Dafür 500 Millionen auszugeben, sei eine Geldverschleuderung, solange keine Anreize geschaffen würden, Behinderte anzustellen.

Wie Kriminelle behandelt

Mit einem Nein am 17. Juni könne verhindert werden, dass jede kranke Person ohne ihre Einwilligung der IV gemeldet werden und damit gezwungen werden könne, unter Androhung massiver Sanktionen kaum zumutbare Massnahmen mitzumachen, sagte Marti. Datenschutzbestimmungen würden einfach ausgehebelt.

Ohne Zustimmung der betroffenen Person könne das Arztgeheimnis von der IV-Stelle aufgehoben werden, sagte Marti. Das sei sonst nur bei Verdacht auf eine Straftat möglich: «Somit werden Menschen mit gesundheitlichen Problemen als Kriminelle behandelt.» Das Gesetz habe die Tendenz, den Behinderten Schuld zuzuweisen.

Nur eine umfassende integrative Sozialpolitik verhindert nach Meinung des Referendumskomitees die Diskriminierung Behinderter.

Die 5. IV-Revision erschwere deren gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Sie richte sich damit gegen das in der Verfassung abgestützte Behindertengleichstellungsgesetz.

swissinfo und Agenturen

Schulden der IV Ende 2006: 9,3 Mrd. Fr.
Dafür bezahlte Zinsen: 221 Mio. Fr.
Neurentner 2006: 19’600
Neurentner im Rekordjahr 2003: 28’200
Laufende Renten 2006: 257’200

Am 17. Juni 2007 gelangt die fünfte Reform der Invalidenversicherung vors Volk. Gegen die Revision war von linker Seite das Referendum ergriffen worden.

Unter dem Motto «Arbeit vor Rente» sieht die Revision vor, den Zugang zur IV-Rente zu erschweren. Statt dessen soll vermehrt auf Eingliederung gesetzt werden.

Der Begriff der Invalidität wird restriktiver ausgelegt und gewisse Leistungen werden gekürzt. Insgesamt sollen damit bis 2025 jährlich bis zu 600 Mio. Franken eingespart werden.

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