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Neonazis bringen Rütlifeiern ins Wanken

Soll sich nicht mehr wiederholen: Neonazis stören die traditionelle 1.-August-Feier auf dem Rütli. Keystone

Die Störaktionen von 700 Neonazis an der 1.-August-Feier auf dem Rütli haben Folgen. Die Organisatoren denken gar über das Ende des Anlasses nach.

Die Nazi-Skinheads, fast doppelt so viele wie 2004, hatten während des Auftritts von Bundespräsident Schmid Hass-Tiraden skandiert und ihn persönlich beleidigt.

Seit 10 Jahren wiederholt sich nun am 1. August auf dem Rütli dasselbe widerliche Schauspiel: Neonazis, die sich unter die Gäste mischen, stören mit Hitlergruss, Hakenkreuzen und Hasstiraden die traditionelle Feier zum Geburtstag der Schweiz aufs Massivste.

Doch so zahlreich wie am Montag waren sie noch nie aufmarschiert: Rund 700 waren es, fast doppelt so viel wie letztes Jahr. Und wie sie sich bemerkbar machten, übertraf das Mass des Erträglichen: «Hau ab, du Schwein», skandierten die Rechtsradikalen zu Bundespräsident Samuel Schmid, oder «Lügner haben kurze Beine, zeige uns deine, Samuel Schmid».

Ruhige, klare Absage

Doch Schmid machte das einzig Richtige: Er behielt die Fassung auch angesichts der minutenlangen Tiraden. Und mehr noch: Er erteilte in seiner Rede dem rechtsextremen Gedankengut eine unmissverständliche Absage.

Fast geschockt zeigten sich ob des massierten Aufmarsches auch die Organisatoren. Für Rütlikommissions-Präsidentin Judith Stamm jedenfalls steht fest: Eine derart unwürdige Störaktion wie am Montag will sie an der Rütlifeier nicht mehr tolerieren. Die Alt Nationalrätin der Christlichdemokraten stellt deshalb zur Debatte, ob die Feier künftig ausfallen oder nur noch für geladene Gäste stattfinden soll.

Neue Dimension

«Ich habe mich getäuscht», sagte Stamm. Bisher habe sie stets dafür plädiert, dass das Rütli am 1. August für alle offen sein solle, und sie habe geglaubt, dass sich auch die Rechtsextremen an gewisse Grundregeln hielten. «Aber was am Montag passiert ist, war unwürdig.»

Zwar sei schon Kaspar Villiger während seiner Ansprache auf dem Rütli im Jahr 2000 von Rechtsradikalen ausgepfiffen worden. Aber damals seien die Störmanöver bloss punktuell gewesen. Zudem sei Villiger nicht derart respektlos persönlich angegriffen worden wie Samuel Schmid dieses Jahr.

Im September beraten

Für Stamm ist klar, dass die veranstaltende Rütlikommission über die Bücher muss. Sie werde wohl im September eine Sitzung abhalten.

Die Kommission, die aus Vertretern der Vierwaldstättersee-Kantone, des Bundes und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) besteht, muss dann entscheiden, ob und in welcher Form die nächste Rütlifeier stattfindet.

Rütli schliessen?

Probleme ergäben sich etwa, wenn die Feier für nächstes Jahr abgesagt würde. Wenn man das tue, müsse die Wiese faktisch vom 31. Juli bis 2. August geschlossen werden, sagte Stamm. «Denn es kann ja nicht sein, dass die Rechtsextremen dann einfach ihre private Feier auf dem Rütli abhalten.»

Heikel sei auch die Idee, nur noch geladene Gäste zur Feier zuzulassen. «Rechtlich wäre das wohl machbar, denn die Wiese ist Privateigentum des Bundes», sagte Stamm. Aber erstens würden auch unbescholtene Leute übergangen. Und zweitens müsste die Polizei die Rechtsextremen fernhalten. «Vielleicht drohen dann WEF-ähnliche Zustände.»

Dass es am Montag zu derart wüsten Beschimpfungen gegen den Bundespräsidenten kommen konnte, führte Stamm auch darauf zurück, dass Bundesräte immer häufiger an Diskussionsforen aufträten und dort auch angegriffen würden. Das gebe zwar einen bürgernahen Touch, aber der Respekt vor den Bundesräten werde abgebaut.

Rütli als Mobilisierungs-Plattform

Bereits zum zehnten Mal demonstrierten am Montag Rechtsextreme an den 1.-August-Feierlichkeiten auf dem Rütli. Ihre Zahl ist seit 1996 stetig angestiegen, wie Hans Stutz, langjähriger Beobachter der Schweizer Rechtsextremistenszene, am Dienstag sagte.

Die zunehmende Präsenz von Rechtsextremisten auf dem Rütli erklärt sich Stutz hauptsächlich durch die Art und Weise, wie im Vorfeld des Anlasses mobilisiert worden war. «Vor allem die Mobilisierungsfähigkeit in der rechtsextremen Szene hat zugenommen.»

Zu Kundgebungen aufgerufen werde im rechtsextremen Lager vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda, sagte Stutz. Mobilisiert werde ausserdem mit Flugblättern, wobei er vor dem Nationalfeiertag keine gesichtet habe. Weniger genutzt wird laut Stutz das Internet.

Grösse der Szene schwer abzuschätzen

Grössere Aufmärsche seien in Zukunft in der Schweiz ohne Weiteres möglich, aber eher unwahrscheinlich, sagte Stutz. Er sehe ausser dem 1. August keinen weiteren Anlass, der sich für grössere Kundgebungen der Rechtsextremen eigne.

Die Szene sei lose strukturiert, nur wenige Gruppen bestünden seit längerer Zeit, heisst es im Bericht «Innere Sicherheit der Schweiz 2004» des Bundesamts für Polizei (Fedpol).

Es sei daher schwierig abzuschätzen, in welchem Ausmass sich die Szene in letzter Zeit vergrössert habe, sagte Stutz. «Die Szene hat sich mit Sicherheit auf höchstem Niveau stabilisiert, allenfalls sogar vergrössert.»

swissinfo und Agenturen

Der Extremismus-Bericht von 2004 geht von rund 1000 Rechtsextremen in der Schweiz aus.
Es gibt Skinhead-Gruppierungen wie «Hammerskins» oder «Morgenstern».
Leute der rechtsextremen Gruppe «Blood & Honour» gründeten 2000 die Partei national orientierter Schweizer (PNOS), die als Hauptorganisatorin der Rütli-Aufmärsche gilt.
In der solothurnischen Gemeinde Günsberg wurde im letzten April ein PNOS-Vertreter in die Gemeindeexekutive gewählt.
Jüngst wurden vier Mitglieder der Parteileitung wegen Verstosses gegen das Antirassismus-Gesetzes zu Bussen verurteilt.

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