New Glarus – Wo Amerikaner auch Schweizer sind
In New Glarus, einer 1845 von Glarner Immigranten gegründeten Siedlung in Wisconsin, ist die Schweiz bis heute allgegenwärtig. Noch immer leben dort direkte Nachfahren der ersten Siedler.
Sie haben Familiennamen wie Hoesly, Gmur, Kubly, Durst, Voegeli, Streiff, Elmer, Luchsinger. Schweizer Traditionen spielen im Leben vieler New Glarner bis heute eine wichtige Rolle, auch wenn sie ohne Zweifel Amerikaner sind.
Sie singen Schweizer Volkslieder, jodeln, spielen Alphorn oder machen bei den Tell-Spielen mit – und in der Dorfmetzgerei liegen Bratwurst, Wienerli und Landjäger in der Vitrine.
Das Dorf hat mit dem «Historical Village» auch ein Freilichtmuseum, wo Besucherinnen und Besucher einen Einblick in die Geschichte von New Glarus erhalten.
Zu sehen sind etwa eine Käserei, ein Bienenhaus oder die Druckerei, in der von 1897 bis 1967 die lokale Zeitung gedruckt wurde. Zuerst nur in Deutsch, eine englische Version gab es erst ab 1912.
«Miss Glarus»
«Meine Schweizer Wurzeln, die Traditionen der alten Heimat sind mir wichtig», erklärt Kaye Gmur. Sie spricht etwas Schweizerdeutsch, mit Hochdeutsch vermischt, und kann sich ganz gut mit Schweizern verständigen.
Ihr Vater ist ein Luchsinger, die Familie lebt seit 1848 in New Glarus. Kayes Grossmutter väterlicherseits war eine geborene Elmer; ihre Vorfahren waren Ende des 19. Jahrhunderts eingewandert. Kayes Mutter hat norwegische Wurzeln.
Kaye, Mutter von drei Kindern und mehrfache Grossmutter, ist sehr engagiert im kulturellen Schweizer Leben von New Glarus. Sie leitet den Kinderchor, in dem die Kinder Lieder lernen wie «Vo Luzärn gäge Wäggis zue» oder «Äs Buurebüebli man I nid» (auch in Englisch).
Im Rahmen des Tell-Festivals ist Kaye Gmur für die Auftritte der Schweizer Trachtenmädchen zuständig. Ihre Schwestern nennen Kaye wegen ihrer vielen «Schweizer» Aktivitäten scherzhaft «Miss Glarus».
Regelmässige Besuche in der Schweiz
Kaye ist in New Glarus geboren und aufgewachsen. Nach der Schule lebte sie eine Zeitlang in anderen Regionen der USA, liess sich aber schliesslich hier nieder. Auch ihr Mann hat Schweizer Wurzeln.
Kaye Gmur kennt die Schweiz auch aus eigener Erfahrung: «Im Winter 1980/81 arbeitete ich im Hotel Belleville in Braunwald.» Und seit 2000 hat Kaye Gmur die Schweiz praktisch einmal pro Jahr besucht, als Reiseleiterin.
Im Februar 2008 war sie zum ersten Mal an der Fasnacht in Basel. «Das war fantastisch. Ich hatte sehr viel Spass.»
Sie weiss, dass das Schweizer Image von New Glarus kein Abbild der heutigen Schweizer Realität ist. Die heutige Schweiz in den USA besser bekannt zu machen, ist denn auch ein Ziel des Swiss Center of North America, wo Kaye als Sekretärin arbeitet.
Kaum mehr neue Einwanderer
Neben den Nachfahren der frühen Einwanderer gibt es in New Glarus auch Schweizer, die erst in erster Generation hier leben. «Leider konnten wir in den letzten Jahren aber kaum neue Einwanderer aus der Schweiz anziehen», bedauert Hans Lenzlinger.
«Die wenigen, die kamen, kann man fast an einer Hand abzählen.» Das sei schade, denn das Dorf verliere mit der Zeit so auch etwas von seiner Authentizität.
Lenzlinger ist nicht allein. Auch andere, meist ältere New Glarner, erklären, es wäre schön, wenn sich mehr «neue» Schweizer im Dorf niederliessen.
Der umtriebige Toggenburger Lenzlinger lebt seit 1970 in New Glarus. Ihm gehört heute das grösste Hotel im Ort, das «Chalet Landhaus Inn» sowie das alte «Hotel New Glarus», wo er mit Erfolg ein Restaurant mit Schweizer Küche betreibt.
Lenzlinger ist auch einer der Vertreter aus den USA im Auslandschweizer-Rat, dem «Parlament» der Fünften Schweiz.
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ASO
Tony und das Jodeln
Zu den «neuen» Einwanderern gehören Tony und Esther Zgraggen. Tony, ein 54-jähriger Urner, lebt seit rund 30 Jahren hier.
Er war als Austauschstudent von der ETH, wo er Agrarwissenschaften studiert hatte, nach Wisconsin gekommen.
Im Verlauf dieses Jahres hatte er New Glarus entdeckt, das ihn durch seinen heimatlichen Stil anzog. Dort lernte er seine erste Frau, eine Amerikanerin, kennen, und wurde so auch Bürger der USA.
Im Herzen ist Zgraggen aber bis heute ein Schweizer geblieben, der sich über das Geschehen in der alten Heimat auf dem Laufenden hält.
Dazu kommt seine Liebe für volkstümliche Schweizer Musik. «Das Jodeln erinnert mich an die Täler und Berge in der Schweiz, die mir bis heute wichtig sind.»
Seit 1980 ist Tony Zgraggen Mitglied des lokalen Jodler-Clubs, mit dem er im Sommer 2008 ans Eidgenössische Jodlerfest in Luzern reiste.
Zgraggens heutige Frau Esther zog Mitte der 1980er-Jahre aus der Region Thun nach New Glarus, wo das Paar eine Zeitlang einen Hof in Pacht betrieb. Da sich ihr Wunsch «nach einem eigenen Hof leider nicht erfüllt hat», hätten sie nach anderen Lösungen gesucht.
Schliesslich konnten sie einen Laden mit Schweizer Produkten übernehmen. Zudem besitzt Zgraggen ein Postauto, mit dem er Reisegruppen oder Festgesellschaften herumfährt.
swissinfo, Rita Emch, New Glarus
Die Zahl der Amerika-Schweizer wird auf rund 1,2 Millionen geschätzt.
Die grösste Dichte von Amerikanern mit Schweizer Wurzeln findet sich in Kalifornien, New York, Ohio, Wisconsin und Pennsylvania.
73’978 Schweizer Staatsangehörige waren Ende 2007 in den USA registriert.
Davon waren 52’415 Doppelbürgerinnen und Doppelbürger.
Die Institution, die in New Glarus aufgebaut wird, soll nicht nur die Geschichte der Schweizer Immigranten in Nordamerika (inklusive Kanada) dokumentieren und die Beziehungen zwischen Schweizern, Amerika-Schweizern und Amerikanern vertiefen helfen, sondern auch ein Bild der heutigen, modernen Schweiz vermitteln.
Untergebracht ist das Forschungs- und Kultur-Zentrum in einer früheren Klinik am Rand von New Glarus, in der eine Bibliothek eingerichtet wird.
Dazu kommen Sitzungssäle, ein Ausstellungsraum sowie moderne Kommunikationsmittel.
Die Idee zur Gründung des Zentrums geht zurück auf die Schweizerisch-Amerikanische Historische Gesellschaft. 1999 wurde entschieden, das Zentrum in New Glarus einzurichten.
Zu den grössten Sponsoren des Zentrums gehören der Bundesstaat Wisconsin, Präsenz Schweiz, der Kanton Glarus, die US-Regierung sowie private Unternehmen wie Novartis, Victorinox, Philippe Morris Europa und die US-Niederlassung von Nestlé.
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