Nicolas Walder: «Die Fünfte Schweiz hat im Parlament weniger Hebel als die Kantone»

Der Grüne Nationalrat Nicolas Walder setzt sich im Parlament auch für die Interessen der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland ein. In unserem Fragebogen "Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus" sagt er, was ihn antreibt.
Nicolas Walder wuchs in Carouge GE auf, studierte Soziologie und arbeitete mehrere Jahre für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz IKRK in Krisengebieten. Für die Grüne Partei sitzt er seit 2019 im Bundeshaus, dies auch als Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats.
Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus: Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, die ihren im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürgern Wahlkreise einräumen, haben die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer keine direkte Vertretung unter der Bundeskuppel. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Mehr als 60 Mitglieder von National- und Ständerat (von 246) sind in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer» versammelt. In jeder Sessionswoche lassen wir einen von ihnen in unserem neuen Format «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» zu Wort kommen.
SWI swissinfo.ch: Welches ist für Sie das wichtigste Thema der Session für die Fünfte Schweiz?
Nicolas Walder: Ich würde sagen, die Auszahlung der 13. AHV-Rente, die zu Beginn dieser Session vom Nationalrat bestätigt wurde. Wir haben auch über mehrere Doppelbesteuerungsabkommen diskutiert, darunter dasjenige mit Deutschland. Dies ist nicht nur für die Auslandschweizer, sondern auch für die Schweiz als Ganzes von besonderer Bedeutung.
Wie sind Sie mit der Auslandschweizergemeinschaft verbunden?
Ich bin in Genf in internationalen Kreisen aufgewachsen und habe als Delegierter des IKRK mehrere Jahre im Ausland gelebt. Ins Ausland zu gehen, bedeutet nicht, sein Land zu verleugnen oder zu verraten. Es lässt unser Land strahlen und zeigt im Gegenteil, dass die Schweiz weltoffen ist.
Warum setzen Sie sich für die Fünfte Schweiz ein?
Hier im Parlament hat die Fünfte Schweiz nicht die gleichen Hebel, um ihre Rechte zu verteidigen, wie andere Interessengruppen, zum Beispiel die Kantone. Mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen tragen die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer jedoch viel zu unserem Land und zur Debatte bei. Das ist eine echte Bereicherung. Die im Ausland lebenden Personen haben auch eine viel realistischere Vorstellung von der Schweiz, wie sie im Ausland wahrgenommen wird.
Welche Erfolge konnten Sie erzielen mit Ihrem Engagement für die Fünfte Schweiz?
Eines der grossen Anliegen der parlamentarischen Gruppe «Auslandschweizer» ist es, in allen Parlamentsdebatten darauf hinzuweisen, dass zehn Prozent der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland leben. Auch wenn es nicht einfach ist, Vorstösse zugunsten der Fünften Schweiz ins Parlament zu bringen, so vermitteln wir dennoch Botschaften und verbessern so hoffentlich auch die Wahrnehmung dieser Gemeinschaft.
Es gibt auch einige Dossiers, die dank des Engagements unserer Gruppe etwas schneller vorankommen. Ich denke dabei vor allem an die elektronische Stimmabgabe. Man hat den Eindruck, dass es nicht vorangeht, aber es ist immerhin ein Dossier, das dank unserer Interventionen wieder Schwung erhalten hat. Noch vor kurzem war es ja praktisch klinisch tot.
Mussten Sie auch Niederlagen einstecken?
Im letzten Herbst haben wir eine Schlacht um die Krankenversicherung für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer verloren.
Auch in Fragen der Staatsangehörigkeit ist es im derzeitigen Klima schwierig, Fortschritte zu erzielen. Dennoch geben wir nicht auf. So wollen wir beispielsweise den Nachkommen von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern den Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern, nachdem unsere Landsleute in Lateinamerika eine Petition eingereicht haben. Ein entsprechender Vorschlag wird in dieser Session im Ständerat diskutiert.
Ein weiteres wichtiges Thema für die Fünfte Schweiz beschäftigt mich heute: die vom Bundesrat angekündigten Kürzungen des SRG-Angebots für das Ausland. Durch unsere nationalen Fernsehsender und Swissinfo sind die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer stark mit ihrem Land verbunden. Wir werden uns gegen diese Kürzungen wehren.
Wie sehen Sie die Schweiz derzeit in der Welt?
Sie wirkt etwas verloren. Sie sucht ihren Platz inmitten der Widersprüche. Für unser Land steht derzeit viel auf dem Spiel, wenn es um die Einhaltung des Völkerrechts geht, da illiberale Staaten an Macht gewinnen. Ich denke dabei insbesondere an Russland, das die Grenzen souveräner Staaten verletzt und sich mit Operationen zur Unterstützung der extremen Rechten in zahlreichen europäischen Ländern einmischt. Russland will damit versuchen, den sozialen Zusammenhalt zu untergraben. Das ist sehr besorgniserregend.
Was kann die Schweiz in diesem Zusammenhang tun?
Wenn wir zu den Zeiten zurückkehren, in denen Streitigkeiten mit Gewalt beigelegt wurden, werden kleine Länder wie die Schweiz die ersten Opfer sein. Denn auch wenn wir die zwanzigste Wirtschaftsmacht sind, bleiben wir politisch ein Zwerg.
Die Schweiz muss daher ihr Engagement zur Unterstützung des Völkerrechts und des Multilateralismus verdoppeln. Sie muss mehr in ihre Politik als Gastgeberland investieren und ihren Platz auf der internationalen Bühne stärken. Die Rolle der Schweiz ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Akteure sich treffen und miteinander sprechen. Genau das tut das internationale Genf mit seinen zahlreichen Konferenzen und seinem Geflecht aus internationalen Organisationen, diplomatischen Vertretungen und NGOs. Und das hat seinen Preis.
Leider kürzen dieselben Leute, die sagen, sie wollen die Gastgeberrolle der Schweiz mit einer strikten Auslegung der Neutralitätstärken, die Budgets für internationale Zusammenarbeit. Diese dienen ja gerade dazu, jene Akteure zu finanzieren, die das internationale Genf am Leben erhalten, etwa das IKRK.
Wenn Sie auswandern müssten, welches Land wäre es?
Ich liebe die Schweiz, hätte aber keine Mühe zum Beispiel in Kanada zu leben. Die Kanadier haben diese nordamerikanische Seite, die sie sehr zugänglich macht, und gleichzeitig die Aufrichtigkeit in der Freundschaft, die eher für Europäer charakteristisch ist. Es gibt eine natürliche Freundlichkeit, die dieses Volk ausstrahlt.
Editiert von Samuel Jaberg

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